Andachtsraum Ruhewald Schloss Tambach
Verzerrte Spitzbogentonne mit Holzschindeldeckung
Eingebettet in die hügelige Waldlandschaft um die fränkische Stadt Coburg liegt das Barockschloss Tambach. Bis heute ist das für kulturelle Veranstaltungen und seinen Wildpark bekannte Schloss in Familienbesitz. Auf einem Teil des Grundstücks wurde vom derzeitigen Besitzer der „Ruhewald Schloss Tambach“ eingerichtet. Bei ihm handelt es sich um eine naturbezogene und kostengünstige Alternative zu Friedhöfen: Die Asche der Verstorbenen wird in biologisch abbaubaren Urnen an den Wurzeln eines Baumes begraben und die Grabstellen dann der Natur überlassen. Die Hinterbliebenen können in einem Sakralraum Abschied nehmen, den die Planer von Sacher Locicero Architecs entwarfen. Ein Besuch lohnt sich aber auch ohne persönlichen Bezug zum Ruhewald: Der spitzbogige Holzbau steckt voller Symbolik und ist als architektonisches Bindeglied zwischen Mensch und Natur konzipiert.
Gallerie
Gräber und ihre Kultstätten gehören zu den ältesten Zeugnissen menschlicher Kulturgeschichte. Die Planer zeigten darum keine Scheu, sich bei ihrem Entwurf durch Theorien Vitruvs inspirieren zu lassen, dem Verfasser des ältesten Architekturtraktats. An den darin formulierten Proportionsverhältnissen, die im Zusammenhang mit dem Goldenen Schnitt stehen, orientieren sich Länge, Breite und Höhe des 36 Quadratmeter großen Andachtsraumes. Sie entsprechen dem Teilungsverhältnis des vitruvianischen Menschen, bekannt aus der berühmten Skizze Leonardo da Vincis.
Sichtlich beeinflusste auch der nahe gelegene Bamberger Dom den Entwurf: Vom Fürstenportal der romanischen Kirche übernahmen die Architekten das Prinzip der aneinandergereihten, sich verjüngenden Bögen, die das Tympanonfeld rahmen. Die charakteristische Dachform wurde daraus entwickelt indem einerseits die romanischen Rundbögen in dynamischere Spitzbögen übertragen und diese dann auseinandergezogen wurden. Als weiteren Einflussfaktor geben die Planer die Zahl Sieben an, die in vielen Kulturen und Glaubensrichtungen, insbesondere in den drei Buchreligionen, eine starke Symbolkraft besitzt und sich in der Kapelle in Form der sieben Spitzbögen aus geleimtem Brettschichtholz wiederfindet.
Der Boden des Andachtsraums besteht aus 42 mm starken Lärchenholzdielen. An den Rändern zwischen den Bögen eingelassene LED-Lampen beleuchten den Raum abends und an trüben Tagen. Eine Photovoltaikanlage versorgt sie mit Strom. Drei schlichte Holzbänke sowie drei Altartische, die bei den Verabschiedungen als Stellfläche dienen, sind die einzige Möblierung.
Um einen Übergang vom Andachtsraum zum umgebenden Wald zu
schaffen, wurde auch der Vorplatz in spitzbogiger Form angelegt.
Fragmentartig sind auf dem Boden Porphyr-Bruch-Platten in
Trassmörtel verlegt und mit einem Mineralgemisch aus Basaltsplit
verfugt. Sitzsteine laden auch außerhalb der Öffnungszeiten zum
Verweilen ein.
Dach
Die Form des Andachtsraums entspricht der einer verzerrten Spitzbogentonne. Gedeckt ist dieses Nurdachhaus mit 15.000 gespaltenen Lärchenholzschindeln in Dreifachdeckung, deren farbliche Veränderung im Laufe der Zeit durch Verwitterung Teil des Gestaltungskonzeptes ist. Die Länge der Schindeln beläuft sich auf 30 cm. Darunter befindet sich eine hinterlüftete 30 mm Vollholzschalung, die zusätzlich mit einer Vordeckbahn bespannt ist.
Während die Längsseiten des verzerrten Spitztonnengewölbes geschlossen sind, bieten die verglasten Giebelseiten einen nahezu nahtlosen Übergang zwischen innen und außen. Auf diese Weise ist die Natur mit ihren jahres- und tageszeitlichen Wechseln auch im Innenraum wahrnehmbar. Die Verglasungen bestehen aus teilvorgespanntem Glas mit Verbundfolie aus Polyvinylbutyral (2 x 10 mm TVG mit 1,52 mm PVB-Folie klar). Das in die Glaswand integrierte Eingangsportal ist außenseitig mit Kupferblechplatten verkleidet.
Die Brettschichtholz-Bogenbinder (BSH) wurden mit einer CNC-Fräse hergestellt, da sich die Querschnitte der einzelnen Binder sowohl in der Höhe wie auch im Biegeradius permanent verändern. Der niedrigste Bogen an der Eingangsseite ist 4,79 m hoch, was exakt dem Seitenmaß der Kapelle entspricht. Der höchste Bogen gibt mit 7,75 m die genaue Länge der Kapelle wider. Verankert sind die Bogenbinder mit Stahlschuhen auf einem Holzbodenrost aus BSH Leimbindern Fichte der Klasse GL24h (sh. Artikel zum Thema: Brettschichtholz), der seinerseits auf sechs Fundamentpfählen aufliegt.
Bautafel
Architekten: Sacher Locicero Architects, Gerhard Sacher, Graz
Projektbeteiligte: Petschnigg ZT, Unterpremstätten (Statik); Patrik Klammer, Graz (Modellbau); Dachdeckermeistebetireb Zetzmann, Coburtg (Dachdecker/Schindeldeckung); Finzel und Lindenlaub Holzbau, Itzgrund (Zimmerei); Lothar Heß, Maroldswaisach (Geländemodelierung); Metallbau Stadler, Coburg (Glas-/Stahlbau); Elektro Schulz, Ebersdorf b.Coburg, (Eelektroarbeiten); Hauch & Co., Coburg (Baumeister);
Bauherr: Heinrich Graf zu Ortenburg
Standort: Schlossallee 7, 96479 Weitramsdorf OT Tambach
Fertigstellung: August 2018
Bildnachweis: Sebastian Kolm, Grub am Forst; Sacher Locicero Architects, Graz