Wohnhäuser Weltpostpark in Bern
Wärme aus Eis und Abwasser
Das Obere Murifeld im Osten Berns zeichnet sich zum einen durch
eine sehr heterogene Bebauung – vom größeren Bürobau bis zum
Einfamilienhaus mit Garten – sowie eine vergleichsweise hohe
Armutsquote der Bevölkerung aus. In diesem Umfeld haben SSA
Architekten die Wohnüberbauung Weltpostpark errichtet, ein
Ensemble aus drei sechsgeschossigen Wohnungsbauten mit
Klinkerfassade. Die Kombination aus Eisspeicher, Solarkollektor, Wärmepumpe
und der Nutzung der Abwasserwärme sorgt dafür, dass die Gebäude zu
hundert Prozent aus regenerativen Energien versorgt werden.
Gallerie
Die Umgebung aus Büro- und Gewerbebauten, Ein- und
Mehrfamilienhäusern, einer Hochhaussiedlung sowie einem nahen,
kleinen Wäldchen östlich des Grundstücks nahmen die
Architekturschaffenden in ihr Konzept für die drei Wohngebäude auf:
In der Höhe folgen sie den Bürobauten in direkter Nachbarschaft.
Jedes der drei Gebäude übernimmt dann aber eine eigene, der
Umgebung angepasste Funktion. So bildet das L-förmige Volumen des
westlichen Gebäudes (Haus A) mittels einer sich freundlich
öffnenden Geste einen Übergang zur kleinteiligen Wohnbebauung im
Westen. Der Zeilenbau im Norden (Haus B) schirmt die Anlage von der
dahinterliegenden Autobahn ab. Der U-förmige Baukörper an der
Weltpoststraße (Haus C) bietet im Erdgeschoss Gewerberäume an und
öffnet das Areal so für die Stadt.
Hochwertige Wohnungen im preisgünstigen Segment
Urbanität sollen auch die Klinkerfassaden der drei Häuser
vermitteln. Die Mauersteine sind nicht wie üblich mit der glatten
Schauseite, sondern mit der rohen Fußseite nach außen vermauert.
Außerdem changieren die Farbtöne: Bei Haus A gehen sie ins
Rotbraun, bei Haus B ins helle Rot, und für Haus C haben die
Verantwortlichen einen graubraunen Klinker gewählt. Die
Außenansicht wird außerdem von auskragenden Metallzargen geprägt,
die die tiefen Laibungen der Loggien und die raumhohen Fenster
betonen. Das Freiraumkonzept bildet parkähnliche, verkehrsfreie
Wohnhöfe mit hindurchfließendem Grünraum und unterschiedlichen
Aufenthaltsbereichen.
Die Wohnungsnachfrage in Bern ist groß, vor allem im
preisgünstigen Segment. So liegt die Kaltmiete bei einem Teil der
Vierzimmerwohnungen im Weltpostpark unter 2.000 CHF (etwa 1.850
EUR), was für eine Neubauwohnung in der Schweiz sehr günstig ist.
Dies entspricht dem Ziel der Stadt Bern, die Anzahl an
Mietverträgen im preisgünstigen Segment bis 2025 um 1.000 zu
erhöhen. Gleichzeitig legte die Bauherrschaft aber großen Wert auf
eine hohe bauliche Qualität, weil sich dadurch die
Instandhaltungskosten langfristig reduzieren. Durch den Mix aus
Einzimmerstudios bis hin zu flexibel nutzbaren Fünfzimmerwohnungen
entsteht eine soziale Durchmischung. Die meisten der 170 Wohnungen
sind durchgesteckt, sodass von zwei Seiten Tageslicht einfällt und
ein Querlüften der Räume ermöglicht wird.
Nutzung thermischer Energie aus Grauwasser
Im Berner Murifeld sind keine Erdsonden zugelassen, auch das
Grundwasser eignet sich nicht für eine Nutzung als Energiequelle.
Auch eine Wärmeversorgung mit Gas kam für die Planenden nicht
infrage, weil sie nicht CO2-neutral ist. Ebensowenig
stellte eine Pelletheizung aufgrund der bereits vorhandenen
Feinstaubbelastung durch die nahe Autobahn eine geeignete Lösung
dar. So wurde für die Heizung und Warmwasserbereitung
schlussendlich ein Energiekonzept umgesetzt, das auf vier
Eisspeichern beruht, verknüpft mit einer
Sole-Wasser-Wärmepumpen-Anlage. Die thermische Energie dafür kommt
von Solar-Luft-Absorbern sowie zusätzlich von der Abwärme aus dem
Grauwasser, also dem gering verschmutztes Abwasser aus Bädern,
Duschen oder Waschmaschinen, das in den Gebäuden anfällt und in dem
meist noch jede Menge thermische Energie steckt. Sie wird mittels
eines Wärmetauschers für das Heiz- und Warmwassersystem
bereitgestellt. So können auch Spitzenlasten abgedeckt werden, wenn
morgens zum Beispiel viele Bewohner gleichzeitig Heißwasser zum
Duschen benötigen.
Heizen mit Eis
Während der Heizperiode wird dem Eisspeicher soviel Wärmeenergie entzogen, dass sich darin bis zum Frühjahr Eis bildet. Besonders interessant ist dabei die Schwelle, an der das Wasser gefriert; der sogenannte Kristallisationspunkt. Dabei wird die gleiche Menge Energie freigesetzt, die man zur Erwärmung derselben Menge Wasser von null auf achtzig Grad benötigen würde. Das Eis dient im Sommer zur Kühlung der Wohnungen. Dann wird die Wärme aus den Räumen ab- und dem Eisspeicher zugeführt, wodurch das Eis auftaut. So beginnt der Kreislauf wieder von vorn.
Sowohl der Eisspeicher als auch die Nutzung der Abwasserwärme sind bekannte Systeme, die in dieser Form jedoch noch nicht kombiniert wurden. Das Energiekonzept wird deshalb bei Bundesamt für Energie, das auch das Monitoring unterstützt, als Demonstrationsprojekt geführt. Alle Gebäude im Ensemble sind mit dem Minergie-Eco-Label zertifiziert und gemäß dem SIA Energie-Effizienzpfad (SIA 2040) errichtet worden, der sich durch eine gesamtenergetische Betrachtung auszeichnet. -tg
Bautafel
Architektur: SSA Architekten, Basel
Projektbeteiligte: Frutiger Generalunternehmung, Gümligen (Generalunternehmer); Eicher+Pauli Luzern (HLK-Planung); CSD Ingenieure, Liebefeld (Nachhaltigkeit); Kopitsis Bauphysik, Wohlen (Bauphysik); Fontana Landschaftsarchitektur, Basel (Landschaftsarchitektur); Schnetzer Puskas Ingenieure, Basel / WAM Planer und Ingenieure, Bern (Bauingenieur); Eproplan, Bern (Elektroplanung); Grünig & Partner, Liebefeld-Bern (Sanitärplanung); AFC Air Flow Consulting, Zürich / GVB Services, Ittingen (Brandschutz)
Bauherrschaft: Allianz Suisse Immobilien, Bern, Schweiz
Fertigstellung: 11/2019 (Haus B), 02/2020 (Haus A), 03/2020 (Haus C)
Standort: Weltpoststraße 1-3, 3015 Berln, Schweiz
Bildnachweis: Ruedi Walti, Basel; SSA Architekten, Basel
Fachwissen zum Thema
Baunetz Wissen Gebäudetechnik sponsored by:
Stiebel Eltron | Kontakt 0 55 31 - 702 702 | www.stiebel-eltron.de