Expressionistische Sonderformate
Dreiecke, Rhomben, Parallelogramme, Polygone
Im Gegensatz zu Türen sind die Formate von Fenstern zwar nicht in Standardgrößen definiert, doch sind rechteckige Konturen mit an DIN-Formaten oder an Mauerwerksmaßen orientierten Größen üblich. Weitere Regeln betreffen die Art und Höhe der Brüstung sowie die Öffnungsmaße eines Fensters, wenn baurechtliche Anforderungen an Flucht- und Rettungsmöglichkeiten gewährleistet werden sollen.
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Expressionismus, Kubismus, Dekonstruktivismus
Sonderformate wie Dreiecke, Rhomben, Parallelogramme und Polygone wirken deshalb umso ungewöhnlicher. Die formalen Experimente mit spitzen und stumpfen Winkeln, Zickzack-Sprossen, mit Schrägen, Keilen und Schlitzen sind charakteristisch für den Expressionismus. Diese stilistische Epoche wird auf die Zeitspanne von etwa 1910 bis 1930 datiert und findet eine Entsprechung in Malerei, Bildhauerei, Literatur, Fotografie und im Film. Architekten wie Fritz Höger und Hans Poelzig entwarfen kristallartige Körper mit Faltungen, mehrdimensionalen Oberflächen, rhythmischer Komposition aus Symmetrie und Asymmetrie mit einer Betonung der vertikalen Richtung.
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Vergleichbare Auseinandersetzungen mit der Zerlegung und Zersplitterung von Gestalt, Volumen und Hülle gab es etwa ab 1905 bis zum Beginn des 1. Weltkriegs im Kubismus, der möglicherweise die Expressionisten beeinflusst hat. Ein ähnliches Formenvokabular findet sich im späten 20. Jahrhundert im Dekonstruktivismus wieder, beispielsweise bei Zaha Hadids Feuerwache für Vitra in Weil am Rhein, Daniel Libeskinds Militärhistorisches Museum und Coop Himmelblaus Cinema Center, beide Bauwerke in Dresden. OMAs Seattle Public Library ist mit einem Gitternetz aus Rhomben umwickelt.
Beispiele für expressionistische Fenster
Expressionistische Bauten mit geometrisch ungewöhnlichen Fenstern in Sonderformaten stehen heute meist unter Denkmalschutz, beispielsweise in Berlin die beiden Kirchen St. Maria Magdalena in Pankow (1929-1930, Architekt Felix Sturm) und die Kreuzkirche in Schmargendorf (1928-1929, Architekten Ernst Paulus und Günther Paulus). In beiden Bauwerken bilden die rotbraunen Klinker abgetreppte Laibungen um dreieckige, sternförmige und polygonal-ovale Fenster, die entweder als Solitäre oder in Clustern angeordnet sind. Schmiedeeiserne Gitter betonen als geometrische Geflechte die Konturen.
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Bei Wohngebäuden, beispielsweise in den Siedlungen Paddenpuhl (1927-1929, Architekt Fritz Beyer und in späteren Bauabschnitten andere Architekten) und Krugpfuhl (1928-1929, Architekten Ernst Engelmann und Emil Fangmeyer), sind häufig die Eingangstüren mit Sonderformaten verziert. Laibungen und Oberlichter mit Dreiecken und polygonalen Zacken bilden regelrechte Akkorde in den Treppenhäusern. Zickzack-Sprossen vervollständigen diese rhythmischen Dreiecks-Muster.
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Insbesondere der Verzicht auf diese heute ungewöhnlichen Fensterformate – bei Sanierungen, energetischer Ertüchtigung oder beim Austausch schadhafter Fensterflügel ohne Sprossen – führt zu gestalterischen Fehlstellen in der Fassade. Bei Kastenfenstern wird deshalb zumindest der äußere Flügel in der ursprünglichen Form rekonstruiert. -sj