Urban Mining
Die Stadt als Rohstofflager
Deutschland gilt als rohstoffarmes Land. Jährlich werden 642 Millionen Tonnen Güter eingeführt. Gleichzeitig produzieren wir 412 Millionen Tonnen an Abfall, davon sind 53,4 % Bau- und Abbruchabfälle. Die Zahlen machen deutlich, dass wir mit unseren Städten einerseits ein anthropogenes Materiallager aufbauen, dieses andererseits aber kaum nutzen und die Materialien nach ihrem Einsatz in der Regel deponieren oder verbrennen. Dabei sind Städte auch eine Form von Rohstoffminen: „Die Stadt der Zukunft unterscheidet nicht mehr zwischen Abfall und Rohstofflager“, sagt der New Yorker Architekt Mitchell Joachim. Der Ausdruck Urban Mining beschreibt die Rückgewinnung von Baustoffen aus der gebauten Umwelt.
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Rein mengenmäßig könnten urbane Minen viele Rohstoffe liefern. Die Herausforderung besteht allerdings darin, sie in unschädliche, sortenreine und ökonomisch attraktive Baumaterialien zu verwandeln. Derzeit besteht ein Großteil unserer Bausubstanz aus Materialienkombinationen, die nicht oder nur schwer wiederverwendet werden können. Der Begriff Urban Mining beschreibt in diesem Sinne einen Zwischenschritt auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft: Wie in einer Mine lassen sich Fragmente der verbauten Materialien nur unter großer Kraftanstrengung und hohem Energieaufwand zurückgewinnen. Zudem entstehen dabei Giftstoffe und minderwertige Nebenprodukte.
Sortenrein verbauen
Wenn wir in Zukunft kreislaufgerecht bauen wollen, d. h. Baumaterialien einfach rückbaubar und wiederverwendbar einsetzen wollen, müssen wir Materialien einerseits sortenrein verbauen und andererseits wieder lösbar verbinden. Ein Entwurf sollte also nicht nur den Aufbau, sondern auch den Rückbau und die Wiederverwendung berücksichtigen. Als sortenrein bezeichnet man Baumaterialien, die gleiche Werkstoffeigenschaften aufweisen. Sie sind nicht gemischt, eloxiert, laminiert, beschichtet oder anderweitig mit einem anderen Material verbunden. Das Gegenstück bilden Verbundwerkstoffe, die aus mehreren Materialien mit unterschiedlichen Eigenschaften bestehen und schlüssig verbunden sind.
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Lösbare Verbindungstechniken
Viele Baustoffe, die zwar sortenrein eingebaut wurden, lassen sich dennoch schwer wiedergewinnen, weil sie verunreinigt sind oder in einer nicht lösbaren Verbindung verbaut wurden. Verkleben, mörteln oder verfugen sind solche Techniken, die Materialien verunreinigen und einen sortenreinen Rückbau verhindern. Kreislaufgerechtes Bauen setzt den Einsatz von lösbarer Verbindungstechniken voraus.
Der Schritt zu einer kreislaufgerechten Bauwirtschaft erfordert auch ein Umdenken in anderen Bereichen, wie beispielsweise in der Art und Weise, wie Materialbestände und -flüsse verwaltet werden. Ähnlich einem Lager müssen wir die Materialien der gebauten Umwelt inventarisieren, dokumentieren und auch kommunizieren, welche Baustoffe wann, wo und in welchen Mengen zur Verfügung stehen. Dies wird den Entwurfs- und Bauprozess sowie die Liefer- und Wertschöpfungsketten maßgeblich verändern.
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Digitale Materialpässe
Um die Materialflüsse nachvollziehen zu können und sie zu Kreisläufen zu schließen, brauchen wir Datensätze. Ein Konzept dafür sind digitale Materialpässe, die beschreiben, welche Materialien in einem Gebäude verbaut wurden und detaillierte Informationen über die Menge, Qualität oder Größe der Baustoffe geben. Mit der Kreislaufwirtschaft entstehen ebenfalls neue Geschäftsmodelle in der Baubranche: Statt Materialien zu verkaufen, könnten Firmen diese beispielsweise für eine bestimmte Zeit vermieten und anschließend wieder in den eigenen Produktionsprozess zurückführen. -sh
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