Festigkeit von Glas
Bei Gläsern ohne thermische Vorspannung wird die Festigkeit des Glases vor allem durch die Kerbempfindlichkeit der unter Zugbelastung stehenden Oberfläche geprägt. Die Druckfestigkeit des Glases ist erheblich größer und für übliche Anwendungen im Baubereich nicht von Interesse. Daher wird die Festigkeit des Glases in der Praxis meist als Zug- bzw. Biegezugfestigkeit bezeichnet.
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Die praktische Biegezugfestigkeit des Glases ist deutlich geringer als die theoretische Festigkeit molekularer Bindungen, die 5.000-10.000 N/mm² beträgt. Die tatsächliche technische Festigkeit von normal gekühltem Glas liegt in einem Bereich von etwa 30-100 N/mm². Denn neben möglichen strukturellen Fehlern im Material kann die Glasoberfläche auch bei der Produktion, bei der späteren Oberflächenbearbeitung und im praktischen Einsatz durch mechanische Einwirkungen geschädigt werden.
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Bruchverhalten von Glas
Durch die Kerbwirkung entstehen bei einer Zugbeanspruchung Spannungsspitzen am Rissgrund. Diese Spannungsspitzen führen zu einem schlagartigen Versagen des Materials, zu einem spontanen Bruch. Wie bei anderen spröden Werkstoffen auch, bricht Glas ohne merkliche, vorherige Anzeichen. Die technische Festigkeit des Glases ist daher kein absoluter Wert, sondern wird vor allem durch die mikroskopischen und makroskopischen Oberflächendefekte beeinflusst.
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Charakteristische Biegefestigkeit von Glas
Die Definition der Biegefestigkeit von Glas erfolgt auf Grundlage der charakteristischen Biegefestigkeit (5 %-Fraktilwert). Dabei gilt: Die Biegespannungen, die zu einer Bruchwahrscheinlichkeit von 5 % führen, sind mit einer statistischen Sicherheit von 95 % größer als die charakteristische Biegefestigkeit. Im Rahmen der Produktnormen ist die charakteristische Biegefestigkeit für thermisch entspannte und vorgespannte Gläser wie folgt definiert:
- DIN EN 572-1, thermisch entspanntes Kalknatron-Silikatglas / Floatglas: 45 MPa
- DIN EN 1863-1, teilvorgespanntes Glas (TVG): 70 MPa
- DIN EN 12150-1, Einscheibensicherheitsglas (ESG): 120
MPa
Die charakteristische Biegefestigkeit ist jedoch kein fester Materialkennwert, sondern nur ein Qualitätsmerkmal für die Oberflächenbeschaffenheit von fabrikneuen Glasproben. Denn sie variiert mit der Kerbempfindlichkeit der Oberfläche und mit einem subkritischen Risswachstum, also dem langsamen Wachstum eines Risses. Zudem müssen die mechanischen Festigkeitswerte, die vor allem im Kurzzeitversuch ermittelt werden, für Floatglas ohne thermische Vorspannung und für den Einsatz unter Dauerbelastung erheblich abgemindert werden. Auch bei thermisch vorgespannten Gläsern mit Emaillierung müssen die charakteristischen Biegefestigkeiten reduziert werden.
Faktoren, die die Festigkeit von Glas mindern
Verschleiß durch Nutzung von Glasflächen kann deren Biegefestigkeit deutlich beeinträchtigten. Das betrifft zum Beispiel horizontale Verglasungen, die als Trittfläche begehbar sind. Aber auch die Reinigung der Glasoberfläche mindert deren Festigkeit, vor allem bei abrasiven Vorgängen. So reduziert zum Beispiel die Glasreinigung mit einem sogenannten Glashobel die charakteristische Biegefestigkeit des Materials auf weniger als 20 %. Thermisch entspanntes Floatglas ist dabei anfälliger als thermisch vorgespannten Glas (TVG und ESG). Die Druckfestigkeit von Floatglas wird zwar mit etwa 700 bis 900 N/mm² beziffert. Doch Untersuchungsergebnisse zeigen, dass diese Werte für Gläser ohne thermische Vorspannung zu hoch sind.
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Risse im Glas können ausheilen
Auch Rissheilungseffekte spielen bei der Prüffestigkeit des Glases eine entscheidende Rolle. Insbesondere bei temporären Belastungen führen Oberflächendefekte mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit zu einem Materialversagen als bei dauerhaft beanspruchten Bauteilen. Temporär sind beispielsweise Windlasten bei einer Glasfassade. In spannungsfreien Zeitintervallen heilen Oberflächendefekte durch chemische Prozesse an der Spitze des Risses aus, die Wahrscheinlichkeit eines Glasbruches sinkt. Schon nach einer kurzen Lagerungsdauer von vier Tagen zwischen der Schädigung einer Glasscheibe und der Materialprüfung werden 20 % höhere Festigkeiten gegenüber Proben erzielt, die unmittelbar nach der Schädigung geprüft werden.
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