Umwandlung eines Lagergebäudes zum Wohnen in Bern
Umnutzung und Aufstockung in Holzbauweise
Ursprünglich Standort der Schweizer Firma Chocolat Tobler, diente das ehemalige Lagergebäude an der Güterstrasse 8 im Westen Berns über viele Jahre freischaffenden Kreativen als Arbeitsort, war Handelsplatz für Gemüse und wurde als Teelager genutzt. Auf dem benachbarten Areal wurde seit den 1950er-Jahren die Kehrrichtverwertungsanlage am Warmbächliweg betrieben. Als diese durch einen Neubau an anderer Stelle ersetzt werden sollte, lobte die Stadt Bern einen städtebaulichen Wettbewerb zur Umnutzung des alten Industrieareals in ein Wohngebiet aus und schloss das in die Jahre gekommene Lagergebäude an der Güterstrasse in die Planungen mit ein. Das Verfahren konnten BHSF Architekten zusammen mit Christian Salewski für sich entscheiden. Die verschiedenen Baufelder wurden im Baurecht an eine gemeinnützige Aktiengesellschaft sowie fünf Genossenschaften abgegeben – unter ihnen die Baugenossenschaft Warmbächli, welche das ehemalige Toblerone-Lager aus den 1960er-Jahren erwarb.
Gallerie
Die Bausubstanz schien für eine Wohnnutzung zunächst ungeeignet: insgesamt von enormer Tiefe, das Stützenraster für ein Zimmer viel zu breit, für zwei jedoch zu schmal, kein ausreichender Erdbebenschutz, dazu noch die Hanglage – allein diese Aspekte hätten professionelle Immobilienentwickler wohl in die Flucht geschlagen. Mit ihrer starken Vision und jeder Menge Kreativität, Mut und Leidenschaft, vielleicht auch Naivität, machten sich die Mitglieder von Warmbächli und das Büro BHSF ans Werk.
Nach dem Rückbau blieb das Stahlbetongerippe
Der städtebauliche Wettbewerb verfolgte zwar die Maxime, soviel Bausubstanz wie möglich zu erhalten, jedoch war von Beginn der Planung an klar, dass es bei einem Umbau recht tiefe Eingriffe in die Bausubstanz brauchen würde. Somit blieb nach den Rückbauarbeiten nur das Stahlbetongerippe übrig, auf welchem die weitere Planung aufbaute. Von insgesamt knapp 26.250 Tonnen Stahlbeton konnten jedoch circa 21.250 Tonnen verbleiben – hauptsächlich die massive, 70 cm dicke Bodenplatte, die drei Untergeschosse mit bis zu einem Meter breiten Stützen und damit ein großer Anteil Grauer Energie. Mit Raumhöhen bis zu 4,60 Metern bilden diese die Basis von insgesamt neun Etagen, inklusiv einem Untergeschoss mit Lagerräumen, Mieterkellern und Haustechnik sowie zwei Hang- bzw. Hofgeschossen.
Gewerbe, Gemeinschaft und sechs Etagen Wohnraum
Im unteren Hofgeschoss wurde Platz für Pkw-Stellplätze geschaffen, aber auch für Gewerbe wie ein Nähstudio, einen Secondhand-Laden, eine Praxis und Proberäume für Musikbands. Das obere Hofgeschoss bietet gemeinsame Nutzungen für die zukünftig knapp 900 Bewohnenden des gesamten Holliger Areals: Hier befinden sich eine Kita, ein Café und ein Quartierraum, aber auch ein großer Fahrradraum für die Hausbewohnerinnen und -bewohner. Erst dann beginnt das Wohnen auf drei Bestandsgeschossen, zusätzlich aufgestockt um drei Geschosse in Holzbauweise mit Stützen aus Brettschichtholz und Holzbalkendecken. Den Abschluss bildet eine riesige Dachterrasse für die Mieterinnen und Mieter, überdacht mit Photovoltaikelementen.
Als verbindendes Element sind zwei neue, massive Erschließungskerne horizontal durch lange Flure verknüpft, die als „rues intérieures“ geschossweise in unterschiedlichen Farben gestaltet sind, um die Orientierung zu erleichtern.
Enorme Raumhöhen und eingestellte Holzboxen
Mit den massiven Stahlbetonstützen und den enormen Deckenhöhen war das Raster vorgegeben; die Wohnräume hatten sich an die vorhandene Situation anzupassen. Der raue Industriecharme des Lagergebäudes blieb erhalten: Sichtbar belassene Stützen stehen wie selbstverständlich mitten im Raum, auf einem abgeschliffenen und versiegelten Zementestrich als fertigem „Bodenbelag“, angestrichene Betondecken und sichtbar verlegte Installationsleitungen fungieren als Rahmen, in dem eingestellte Holzboxen eine neue Raumstruktur bilden. Diese bieten innerhalb der bis zu 4,60 Meter hohen Bestandsdecken individuellen Freiraum für beispielsweise Galerien oder zusätzliche Räume.
Auch äußerlich behielt das ehemalige Toblerone-Lager die industrielle Anmutung: So verwinkelt es im Innern zugeht, so einheitlich präsentiert sich das Bauwerk nach außen, mit einer grauen Verkleidung aus gewellten Faserzementplatten. Fensterprofile in einem knalligen Gelbton bilden den markanten Kontrast.
Brandschutz: tragende und raumabschließende Bauteile
Durch die Grundstruktur des Lagers als Stahlbetonskelett mit massiven Treppenräumen und geschossweise horizontalen Verbindungsfluren aus Metallständerwänden (im Bestand) bzw. Holzständerwänden (in den Aufstockungen) in Leichtbauweise mit Brandschutzbeplankung mit der Feuerwiderstandsklasse REI 60-RF1 (Tragende und raumabschließende Bauteile aus Baustoffen RF1 mit mindestens 60 Minuten Feuerwiderstand, nicht brennbar) war brandschutztechnisch eine solide Substanz gegeben. Neu eingezogene Zwischenwände der einzelnen Nutzungseinheiten aus Kalksandstein in den drei untersten Geschossen bzw. als Leichtbaukonstruktionen in den Wohngeschossen sorgen zum einen für den erforderlichen Schallschutz, zum anderen mit der Klassifizierung EI 30 (raumabschließende Bauteile mit mindestens 30 Minuten Feuerwiderstand) für den notwendigen Brandschutz. Alle vertikalen, geschossübergreifenden Schächte mussten gemäß des Brandschutzgutachtens ebenso mit der Anforderung EI 30 ausgeführt werden. Verglasungen in den Brandwänden der horizontalen Verbindungsflure entsprechen EI 60-RF1 und halten damit zusätzlich mechanischen Beanspruchen stand.
Anforderungen an Türen und Fluchtwege
Da Türen Brandschutzanforderungen in Bezug auf die jeweilige Nutzungseinheit erfüllen müssen, sind die Eingangstüren zu den einzelnen Wohneinheiten in EI 30 ausgeführt, insbesondere zu den Gewerbeeinheiten zusätzlich mit selbstschließender Funktion. Die „rues intérieures“ sind mittig durch Flügeltüren der Klassifizierung E 30 selbstschließend unterteilt, sodass im Brandfall zwei Rauchabschnitte mit jeweils einem Fluchttreppenhaus gebildet werden. Einzelrauchmelder zu beiden Seiten der Flurtüren lösen im Brandfall automatisch das Schließen der Türen aus.
Ausstattung Treppenhäuser
Neben der Ausführung der Wände der Erschließungskerne und inneren Flure in REI 60-RF1 verfügt jedes Treppenhaus über Handfeuerlöscher und Sicherheitsbeleuchtung.
Für die Gewerbeeinheiten in den Hofgeschossen gelten zusätzliche Maßnahmen: beispielweise die Unterteilung in Brand- und Lüftungsabschnitte, die Darstellung der Fluchtwege, Anforderungen an Bodenbeläge und eine zusätzliche Ausstattung mit Löschdecken. Entsprechende Brandschutzpläne, in welchen alle Vorgaben grafisch erfasst sind, sind Bestandteil des von einem Brandschutzsachverständigen zu erstellenden Brandschutzkonzepts (Teil der Antragsunterlagen für eine Baugenehmigung).
Bautafel
Architektur: BHSF Architekten, Zürich mit Christian Salewski (Co-Autor Wettbewerbsprojekt)
Projektbeteiligte: Benedikt Boucsein, Axel Humpert, Tim Seidel, Pascal Hendrickx, Elitsa Lacaze, Timo Bättig, Christian Deis, Beatrice Dornseifer, Lisa Franke, Grigorios Grigoriadis, Lisa Höing, Engin Irmak, Ioannis Michailidis, Stephanie Moraña, Hannes Rutenfranz, Matthias Schneider (Mitarbeitende Architekturbüro); Itten + Brechbühl, Bern (Brandschutz, Baumanagement); Tschopp Ingenieure, Bern (Tragwerksplanung); Gruner Region Bern, Zollikofen (Haustechnik); Grolimund + Partner, Bern (Bauphysik, Nachhaltigkeit); Kühni, Ramsei (Holzbau, Fassade); Eternit, Niederurnen (Fassadenplatten)
Bauherr/in: Wohnbaugenossenschaft Warmbächli, Bern
Fertigstellung: 2021
Standort: Holligerhof 8, 3008 Bern, Schweiz
Bildnachweis: BHSF Architekten, Zürich
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