Studentenwohnheim Lutterterrasse in Göttingen
Baulicher Brandschutz für Holz-Hybrid-Modulbau
Bezahlbarer Wohnraum wird immer knapper. Dies betrifft gerade auch Studierende mit überschaubarem Budget – und dies insbesondere in beliebten Universitätsstädten wie beispielsweise Göttingen. Dort hat das Studentenwerk 2016 einen Wettbewerb ausgerichtet, um nach über 20 Jahren erstmals wieder neuen Wohnraum zu schaffen. Den Wettbewerb gewannen LIMA Architekten aus Stuttgart mit dem Entwurf eines klar strukturierten, fünfgeschossigen Gebäudes, auf das sich 264 Einzelapartments verteilen.
Gallerie
Errichtet wurde das Studentenwohnheim Lutterterrasse auf
einem knapp 4.500 Quadratmeter großen Grundstück am südlichen Rand
des Nordcampus mit unverbaubarem Blick in das Luttertal. Um eine
schnelle Realisierung und damit einen zeitnahen Bezug zu
ermöglichen, entschieden sich die Architekten für eine industriell
vorgefertigte Vollholzmodulbauweise mit Wänden aus Brettsperrholz.
Gefertigt von der in dieser Bauweise erfahrenen österreichischen
Firma Kaufmann, beinhalten die Wohneinheiten bereits den
vollständigen Innenausbau mit Nasszellen, Wand- und Bodenbelägen
sowie die aus Schrank, Bett und Tisch bestehende
Möblierung.
In fußläufiger Entfernung zu den Institutsgebäuden der Universität, bietet der Neubau den Bewohnerinnen und Bewohnern eine optimale Einbindung in das studentische Leben inner- und außerhalb der Vorlesungen. Der Baukörper selbst ist in einen ebenerdigen Stahlbetonsockel und einen viergeschossigen Oberbau gegliedert. Das Erdgeschoss bildet gestalterisch und funktionell das „Foyer“ des neuen Wohnheims. Hier befinden sich überdachte Fahrradstellplätze, die Hausverwaltung und Tutorenbüros, außerdem Wäsche-, Musik- und Gemeinschaftsräume als soziale Treffpunkte.
Über dem Erdgeschoss stapeln sich vier Stockwerke hoch die Holzmodule mit Platz für je ein Apartment. Die Aussteifung erfolgt über die beiden diagonal angeordneten Treppenhäuser aus Stahlbeton. Ein Lichthof über alle Geschosse ermöglicht eine adäquate Belichtung der inneren Wohnungen. So wie die Erschließungsbereiche in Sichtbeton gehalten sind, ist auch die Materialität aus Brettschichtholz im Inneren der Holzmodule an den naturbelassen, unverkleideten Holzoberflächen abzulesen. Die Fassaden wurden vor Ort mit Aluminiumpaneelen verkleidet.
Anforderungen an den Brandschutz im Holzbau
Das die rechtlichen Anforderungen an den Brandschutz im Holzbau zeitlich um Jahre – wenn nicht Jahrzehnte – der Entwicklung der Industrie „hinterherhinken”, zeigt sich auch am Beispiel des Neubaus in Göttingen. So wurde bereits 2004 wurde die Muster-Richtlinie über brandschutztechnische Anforderungen an hochfeuerdämmende Bauteile in Holzbauweise (M-HFHHolzR) auf Bundesebene verabschiedet, jedoch erst 15 Jahre später in allen Landesbauordnungen umgesetzt.
Ursprünglich für die Regelung von Holzbauweisen als Holzrahmen- und Fachwerkkonstruktionen ausgelegt, haben sich mittlerweile aber auch ganz andere Konstruktionssysteme in Planung und Industrie etabliert. Hybridbauweisen – also die Kombination aus mehreren Systemen, wie hier aus Stahlbeton und Holz – sind bewährte Lösungen, die durch einen extrem hohen Vorfertigungsgrad die schnelle Fertigstellung von Gebäuden ermöglichen – zumindest theoretisch. Der zeitliche Vorteil (das Studentenwohnheim hatte eine Bauzeit von knapp 12 Monaten, konventionell wäre diese um 50% länger gewesen) wird jedoch häufig noch durch das Planungsrecht und die Anforderungen der Bauaufsichten relativiert. Die vollständige brandschutztechnische Planung musste zur Bauantragseinreichung bereits vorliegen – was einen zu diesem Zeitpunkt hochdetaillierten Planungsstand erforderte. Nachbesserungen, Umplanungen, Änderungen waren bedingt durch die Vorfertigung im Werk nur in minimalem Umfang möglich, was ein extrem hohes Maß an Planungsdisziplin erforderte.
Stahlbeton und Holz
Zumindest war hinsichtlich des vorbeugenden Brandschutzes die
Gewährleistung der Rettungswege unproblematisch. Die hierzu
relevanten Bauteile wie Treppenhäuser, die Decke des massiven
Erdgeschosses wie auch die notwendigen Brandwände waren aus
Aussteifungsgründen ohnehin aus Stahlbeton gefertigt. Ebenso wurden
die Flurdecken geschossweise durch massive Stützen aus Stahlbeton
miteinander verbunden und aus brandschutztechnischer Sicht somit
unkritisch. Lediglich die Flurwände zu den einzelnen Wohneinheiten
wurden mit Gipskartonplatten der Feuerwiderstandsklasse F60 verkleidet. Hinter
dieser Beplankung verbergen sich auch die Installationsleitungen.
Sie verlaufen entlang der Flure und zweigen von dort aus mittels
entsprechend brandschutztechnisch zertifizierter Rohrleitungen zu
den einzelnen Apartments ab.
Mineralwolldämmung als Kompensation
Weil die Holzbau-Richtlinie auch auf den Wandinnenseiten eine Beplankung aus Gipskartonplatten vorsieht, um einen hochfeuerhemmenden Schutz (F60) zu erzielen, dies aber aus gestalterischen wie produktionstechnischen Gründen nicht gewünscht war, mussten hier Kompensationsmaßnahmen getroffen und genehmigt werden. Anstelle der innenseitigen Beplankung wurde in alle Decken sowie in die Außen- und Seitenwände der Wohnmodule eine Dämmung aus nicht brennbarer Mineralwolle mit einem Schmelzpunkt von > 1.000°C angeordnet. Auf diese Weise ließen sich die Brandschutzanforderungen erfüllen. Darüber hinaus schützt dieser Bauteilaufbau vor Rauchübertragung im Brandfall von Modul zu Modul.
Bautafel
Architekten: LIMA Architekten, Stuttgart
Beteiligte: Wetzel & von Seht, Hamburg (Tragwerksplanung); IWP Ingenieurbüro für Systemplanung, Stuttgart (HLS-Planung); Ingenieurbüro Volz, Ehningen (Elektro-Planung); CAPE climate architecture physics energy, Schwäbisch Hall (Bauphysik); Dekra Automobil, Hamburg (Brandschutz)
Bauherr: Studentenwerk Göttingen
Fertigstellung: 2020
Standort: Grisebachstraße 7, 37077 Göttingen
Bildnachweis: Brigida González, Stuttgart; Achim Birnbaum, Stuttgart
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