Am Ende des Zweiten Weltkriegs war Kassel so stark zerstört,
dass sich die Möglichkeit bot, die Stadt grundlegend umzugestalten:
Wo sich zuvor Konstellationen aus Plätzen und diagonalen
Straßenzügen befanden, verbindet seit 1953 eine breite Schneise den
Kopfbahnhof mit dem Friedrichsplatz. Die Trümmer hingegen wurden
einige hundert Meter weiter südlich an einem Hang angehäuft und mit
Blumen bepflanzt – hier eröffnete 1955 die Bundesgartenschau mit
der Gustav-Mahler-Treppe. Um ihre Instandsetzung hat sich kürzlich
eine Arbeitsgemeinschaft (ARGE) aus den Büros LOMA
architecture.landscape.urbanism und RB+P Landschaftsarchitektur
gekümmert. 2022, pünktlich zur Documenta 15, wurde das Projekt
fertiggestellt.
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Vom Kopfbahnhof kommend führt die Treppenstraße, die manchen als
erste Fußgängerzone Deutschlands gilt, peu à peu zum
Friedrichsplatz hinab und auf die Landschaft am Horizont zu. Vorbei
an Fredricianum und Staatstheater erreicht man eine Terrasse am
Südende des Platzes, eine Art Stadtbalkon, an dessen Fuße sich die
Karlsaue mit der Fulda erstreckt. Rechterhand, am Löwendenkmal,
knüpft die Gustav-Mahler-Treppe an und führt hinab zur Orangerie
des 150 Hektar großen barocken Schlossparks.
Die erste Version der Treppe entwarf Hermann Mattern, anlässlich
der Bundesgartenschau 1955, zu deren Begleitprogramm übrigens die
erste Documenta gehörte. Dazu gestaltete er auch den westlich
angrenzenden Rosenhang mit einem serpentinenartigen Weg. Durch die
üppig bepflanzte, mit lokalem Sandstein gestaltete Anlage
verschwanden die Trümmer aus dem Stadtbild. 1964 jedoch, zur
Documenta 3, überschrieb Hans-Herbert Westphal die Planungen
Matterns. Durch ihn erhielt die Treppe ein neues Höhenprofil, das
von da an unverändert blieb. Die Randbereiche des BUGA-Geländes
erfuhren im Laufe der Zeit ebenfalls mehrere Eingriffe. Lediglich
der Kernbereich des denkmalgeschützten Rosenhangs wies noch die
originale Gestaltung auf, als 2018 die Sanierungsarbeiten
begannen.
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Treppe in Bewegung
Über die Jahre hinweg hatte sich der Kriegsschutt als unsicherer
Grund für die Stufen, Podeste und Plätze erwiesen. Dem versuchten
bereits die Planer*innen in den 1960er-Jahren zu begegnen: Die
riesige, massive Unterkonstruktion bestand aus 25 cm Stahlbeton
auf 5 cm Magerbeton und 20 cm Kies. Die darauf verlegten
Platten – insgesamt 1.600 m2 – wiesen fünf
unterschiedliche Formate auf: 100x100 cm, 75x50 cm, 50x50 cm, 50x25
cm und 25x25 cm. Da die Stufen aber nicht gut fixiert waren,
begannen sie sich zu verschieben – so sehr, dass die beliebte
Treppe zunehmend unbegehbar wurde. Eine defekte Beleuchtung erhöhte
das Sicherheitsrisiko zusätzlich, vor allem bei Nacht.
Jenseits der baukonstruktiven Aspekte wurde diskutiert, wie mit
den vorhandenen Schichten der mehrfach umgestalteten Anlage
umgegangen werden sollte. Viele Menschen in der Stadt wunderten
sich, dass die billig erscheinenden Waschbetonplatten der Stufen
und Podeste aus den 1960er-Jahren denkmalwürdig sein sollten.
Letztlich wurden die barocke Grundstruktur, die Zeitschicht von
1955 und die Zeitschicht von 1964 gleichermaßen als erhaltenswert
eingestuft. Dafür sprach zum einen der Seltenheitswert der
brutalistischen Landschaftsarchitektur, zum anderen der Erhalt der
Betonteile. Das Büro LOMA bilanzierte die CO2-Emissionen
für die 1964 fertiggestellte Treppe auf 530 Tonnen. Bei den
Instandsetzungs- und Ergänzungsarbeiten kamen lediglich 60 Tonnen
hinzu – viel weniger als bei einem Abbruch und Neubau im Stil
der 1950er-Jahre.
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Rückbauen, reinigen und wieder einbauen
Anfang November 2020 starteten Ausbau und Einlagerung der
Waschbetonstufen und -platten. Herausfordernd, aber gerade deswegen
interessant, war aus Sicht der Landschaftsarchitekten hierbei der
schonende Umgang mit den Bestandsmaterialien sowie der Einblick in
die Bautechnik der 1950er- und 1960er-Jahre. Der Unterbau wurde
instandgesetzt, wobei der bauzeitliche Sand
durch Splittbeton ausgetauscht wurde. Dieser soll künftig
ein Absacken der Platten verhindern. Anschließend wurden die
gesäuberten Bestandsplatten überwiegend wieder eingebaut.
Da der Zustand des bauzeitlichen Belags noch überaus gut war,
waren lediglich 200 Quadratmeter neue Waschbetonplatten nötig. Es
stellte sich jedoch heraus, dass es nicht so einfach war,
vergleichbare Exemplare zu bekommen. Die Museumslandschaft Hessen
Kassel (heute Hessen Kassel Heritage), die die Treppen- und
Parkanlage verwaltet, ließ daher eigens neue Platten aus Weser- und
Leine-Kies anfertigen. Ein paar Monate später begannen dann auch
die Arbeiten am benachbarten Rosenhang, wo Trockenmauern und
Treppenanlagen saniert wurden. Zudem wurden zwei Treppen aus den
1980er-Jahren entfernt, die nicht zu Matterns ursprünglichem
Entwurf gehörten.
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Mehr Sicherheit bei schlechter Sicht
Im Zuge der Instandsetzung sollte die Gustav-Mahler-Treppe auch
sicherer werden, ohne ihre Erscheinung als homogener
Waschbetonkörper einzubüßen. Zwischen den hellen Bestandsstufen aus
Leinekies und den grau-bunten Belägen aus Weserkies wurde ein
taktiler Streifen aus hellem Beton eingebaut. Das glatte,
kontrastierende Orientierungsband am Anfang und Ende der
Treppenabschnitte optimiert deren Erkennbarkeit. Im Dunkeln sorgen
nun Mastleuchten und mit LED-Strahlern bestückte Handläufe für mehr
Orientierung und Sicherheitsgefühl. -ml
Bautafel
Architektur Bestand: Hermann Mattern (1955); Hans-Herbert Westphal (1964) Architektur Umbau und Instandsetzung: ARGE LOMA architecture.landscape.urbanism (Leistungsphasen 2 bis 5) und RB+P Landschaftsarchitektur (ehem. Riehl Bauermann + Partner Landschaftsarchitekten; Leistungsphasen 6 bis 8) Projektbeteiligte: HAZ Beratende Ingenieure für das Bauwesen, Kassel; Ingenieurbüro für Gebäudetechnik Oskar Winter, Kassel; Universität Kassel, FB 06 ASL, ATLAS urban mining, Christine Baumgartner, Christina Vaupel (Daten zur CO2-Bilanzierung); Zedler Baugesellschaft, Ober-Flörsheim; Hessen Kassel Heritage (ehem. Museumslandschaft Hessen Kassel; Liegenschaftsverwaltung) Bauherr*in: Landesbetrieb Bau und Immobilien Hessen (LBIH), Niederlassung Nord Fertigstellung: 2022 Standort: Gustav-Mahler-Treppe, 34121 Kassel Bildnachweis: Nikolai Benner (Fotos); LOMA (Pläne)
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