Urban Gardening – Teil 1
Nahrungsproduktion in der Stadt: Geschichte und Entwicklung
Urban Gardening umfasst verschiedene Formen der städtischen Nahrungsmittelproduktion. Ob als soziokultureller Treffpunkt oder als radikaler Gegenentwurf für die konventionelle Landwirtschaft – der Wunsch nach einer nachhaltigen Lebensweise liegt der Bewegung zugrunde. Entstanden ist die Idee aus einer Notwendigkeit in Zeiten wirtschaftlicher Rezession.
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Beginn der Kleingartenbewegung
Im 19. Jahrhundert führte die Industrialisierung in vielen europäischen Städten zu einem rasanten Bevölkerungsanstieg. Landflucht, Wirtschaftskrisen und der Übergang von der Landwirtschaft zur Industrie verursachten Armut und Hunger. Um dieser Not entgegenzuwirken, richtete Landgraf Carl zu Hessen 1820 die ersten Armengärten im dänischen Kappeln an der Schlei ein. Diese Gärten sollten bedürftigen Familien ermöglichen, Obst, Gemüse und Getreide für den Eigenbedarf anzubauen.
Einige Jahre später forderte der Leipziger Arzt Moritz Schreber, im Zuge seiner Forschung über die sozialen und gesundheitlichen Aspekte des Stadtlebens, mehr Bewegung und frische Luft für Kinder. 1864 entstand in Leipzig der erste Schrebergarten – ein Begriff, der sich auch für andere Kleingärten durchsetzte, die zu der Zeit an Popularität gewannen. Während sich in Sachsen die Naturheilvereine gründeten, teilte sich die Kleingartenbewegung in Berlin in zwei Strömungen: die Laubenkolonisten und die Arbeitergärten des Deutschen Roten Kreuzes. Die Laubenkolonisten waren eine basisorientierte Selbsthilfe-Bewegung, während das Deutsche Rote Kreuz die Kleingärten zentral organisierte. Der Boden gehörte meist der Stadt, aber auch Kirchen und Privateigentümer*innen stellten ungenutzte Flächen zur Verfügung.
In Folge des Ersten Weltkriegs gewannen die Gärten ernährungspolitisch an Bedeutung. Die Möglichkeit zur Selbstversorgung bei steigender Lebensmittelknappheit führte zu Notverordnungen: Pachtpreise wurden eingedämmt und städtische Flächen für den Anbau von Nahrungsmitteln bereitgestellt.
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Von Victory Gardens zu Community Gardens
In den USA, Kanada und Großbritannien legten die Regierungen als Reaktion auf den Ersten Weltkrieg und die darauffolgende Weltwirtschaftskrise sogenannte Victory Gardens an. Der Anbau von Nutzpflanzen in Parkanlagen, auf öffentlichen Grünflächen, in privaten Hinterhöfen und auf Dachterrassen diente der Selbstversorgung und entlastete das öffentliche Budget. Im Zweiten Weltkrieg intensivierte sich der Anbau, sodass 1944 rund 20 Millionen Familien in den USA etwa 40 Prozent der nordamerikanischen Nahrungsmittelversorgung sicherstellten.
Nach Kriegsende untersagte die US-Regierung den Anbau von Lebensmitteln auf öffentlichem Boden. Effiziente Transportsysteme, Neubausiedlungen in den Vororten und die Etablierung von Supermärkten, Tiefkühlkost und Fast-Food-Restaurants minderten die soziale und wirtschaftliche Bedeutung der städtischen Freiräume.
Geprägt von der Ölkrise entstand in den 1970er Jahren eine neue Gartenbewegung. Der Wegzug vieler Menschen aus den Innenstädten führte zur Schließung zahlreicher Geschäfte und Supermärkte. Die verbliebenen Anwohner*innen organisierten sich in sogenannten Community Gardens und bepflanzten brachliegende Flächen zur Selbstversorgung. Gemeinnützige Organisationen wie die Green Guerillas in New York City sichern seit 1973 den Bestand und ermöglichen heute den Zugang zu rund 600 Gemeinschaftsgärten in der Stadt.
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Gartenrevolution in Kuba
In Europa und Nordamerika hat die Nahrungsmittelproduktion in der Stadt heute vor allem einen soziokulturellen Stellenwert. In Kuba hingegen trägt sie entscheidend zur Versorgung bei. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in den 1990er Jahren institutionalisierte die kubanische Regierung die urbane Landwirtschaft in allen Städten der Insel. Der Staat verordnete Gärten in genossenschaftlichen und privatwirtschaftlichen Betrieben sowie in Schulen, Kindergärten und Krankenhäusern. In Havanna stammen heute zwei Drittel des konsumierten Gemüses aus städtischen Gärten.
Teil 2 des Beitrags konzentriert sich auf Gemeinschaftsgärten und deren heutige Nutzung und Pflege.
Literatur
Arch+ Ausgabe 196/197 Post-Oil City:
Carolin Mees, Urban Agriculture S.136-137 / Arch+: Zeitleiste
Stadtsystem S.145-148 / Nils Aguilar: Voices of Transition (Milpa
Film)
Fachwissen zum Thema
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