Die Gartenstadt

„Siedlung auf wohlfeilem Gelände“

Die Gartenstadt ist ein ebenso städtebauliches wie gesellschaftlich reformatorisches Konzept, das Ende des 19. Jahrhunderts in England als Antwort auf die massive Landflucht und das unkontrollierte Wachstum der Städte infolge der fortschreitenden Industrialisierung entstand. Bedingt durch ein verändertes Arbeitsangebot drängten Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft in die Städte und ihre Fabriken. Das Ergebnis war ein förmlicher Kollaps der städtischen Infrastruktur. Die Lebensbedingungen, insbesondere von Arbeiterfamilien, waren prekär, zugleich blieben weite Landstriche unbestellt.

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Entsprechend intensiv war die Suche nach Möglichkeiten einer Umkehr dieser Landflucht. Dem entgegen standen die beiden bis dahin geltenden Gegensätze von Stadt und Land. Erstere stellvertretend für hohe Löhne und guter Arbeitsgelegenheiten, zugleich aber auch für hohe Lebenshaltungskosten. Ein großes kulturelles und gesellschaftliches Angebot ging einher mit einer wachsenden Anonymität. Das Leben auf dem Land galt zwar als „Quelle aller Schönheit“ und stand vor allem für eine gesunde Lebensweise, zugleich war es aufgrund mangelnder kultureller und gesellschaftlicher Vergnügungsangebote als langweilig und öd verpönt. Die Lebenshaltungskosten waren günstiger, jedoch wurde dieser Umstand als Beweis für mangelnde Wirtschaftskraft der Landbewohner gewertet.

Anfänge der Gartenstadt

Der britische Sozialreformer und Stadtplaner Ebenezer Howard schlussfolgerte daraus, dass man die Bevölkerung nicht vor die Wahl der einen oder anderen Lebensform stellen durfte, sondern vielmehr eine neue entwickeln musste, die die Vorzüge beider vereint. Dadurch entstand der Begriff „Garten-Stadt“, im Original „Town-Country“. Seine 1899 gegründete Garden Cities and Town Planning Association (heute Town & Country Planning Association, kurz TCPA) definierte 1919 wie folgt: „Eine Gartenstadt ist eine Stadt, die für gesundes Leben und Arbeit geplant ist, groß genug, um ein volles gesellschaftliches Leben zu ermöglichen, aber nicht größer, umgeben von einem Gürtel offenen (landwirtschaftlich genutzten) Landes: die Böden des gesamten Stadtgebietes befinden sich in öffentlicher Hand oder werden von einer Gesellschaft für die Gemeinschaft der Einwohner verwaltet.“

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In Deutschland wurde 1902 die Deutsche Gartenstadt-Gesellschaft (DGG) gegründet. Ähnlich dem englischen Vorbild formulierte sie ihre Ziele in den Statuten wie folgt: „Eine Gartenstadt ist eine planmäßig gestaltete Siedlung auf wohlfeilem Gelände, das dauernd in Obereigentum der Gemeinschaft gehalten wird, derart dass jede Spekulation mit dem Grund und Boden unmöglich ist.“

Die Gartenstadt als städtebauliches Modell

Das 2. Kapitel von Ebenezers Buch Tomorrow. A Peaceful Path to Real Reform beschreibt mit Worten und anhand von Diagrammen das, was man heute einen Masterplan nennen würde, wobei er selbst an verschiedenen Stellen die Freiheit bei der Ausformulierung einzelner Vorgaben betont und auf die Beachtung der jeweiligen Gegebenheiten verweist. Es soll daher nicht verwundern, dass keine der Gartenstädte, die realisiert wurden, in irgendeiner Form kreisförmig – also so, wie im Buch diagrammatisch dargestellt – angelegt ist.

Vielmehr geht es um eine Anordnung der Funktionen, mit einem zentralen Garten und öffentlichen Funktionen in der Mitte, daran angrenzend in Gürteln die Häuser für die Bewohner und am Rand die Fabriken und Lagerhallen. All das eingebettet in einen breiten Ring landwirtschaftlich genutzter Flächen – ausreichend, um die Stadt darin zu versorgen – und von einer Ringbahn umkreist. Howard wollte der Industriebevölkerung eine gesunde Wohnform bei guten Arbeitsbedingungen bieten und gleichzeitig ansässigen Landwirten einen neuen Absatzmarkt in unmittelbarer Nähe eröffnen.

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Ausdehnung und Größe

Sehr klar hingegen war die Begrenzung der Fläche und der Anzahl der Bewohner. 2.400 ha Land, darauf die Stadt mit nicht mehr als 400 ha und 5.500 Grundstücke für insgesamt etwas mehr als 30.000 Einwohner. Gemäß Howards Diagramm betrug die Ausdehnung der Gartenstadt vom Zentrum bis zur Peripherie etwas über 1 km. Des Weiteren beschreibt er sehr genau, innerhalb welcher Zeitspanne auch die entferntesten Bewohner beispielsweise den zentralen Garten oder die Grand Avenue erreichen könnten.

Doch was, wenn die Obergrenze der vorgesehen 32.000 Einwohner erreicht war? Wie konnte die Gartenstadt weiter wachsen? Hierfür entwarf Howard das Diagramm sogenannter Städtegruppen. Jeweils eingebettet in einen Ring landwirtschaftlich genutzter Flächen, die Selbstversorgung sichernd, entstünden neue, weitere Gartenstädte. Um bestehende Großstädte gruppiert, eigenständig und doch über den Eisenbahnverkehr eingebunden in ein größeres Stadtgefüge.

Die Gartenstadt als gesellschaftliches Modell

Ein Schlüsselelement der Gartenstadt nach Howard ist deren genossenschaftliche Verwaltung. In seinem Buch beschreibt er detailliert die Vorzüge und vor allem auch die wirtschaftlichen Vorteile daraus für jeden Einzelnen. Demnach wäre eine Finanzierung rein aus den Pachteinnahmen der Grundstücke möglich. Sämtliche Erträge, die über die Deckung der Zinsen und Kredite, welche durch den Erwerb des Baulandes entstanden sind, sollten der Gemeinde zugutekommen. Daraus ließen sich die Kosten für die Ausführung und Unterhaltung aller öffentlichen Arbeiten zahlen und darüber hinaus ein Fonds für gemeinnützige Zwecke einrichten, für beispielsweise Alters-, Kranken- und Unfallversicherung.

Durch den Erwerb günstigen Ackerlands für den Bau der Gartenstadt wären die Pachten, vergleichen mit Preisen in der Großstadt, gering, was für die Bevölkerung ein zusätzlicher Anziehungsfaktor wäre. In wachsenden Zuzug würde die Bewohnerdichte steigen und dadurch auch der Bodenwert – jedoch aufgrund der Verwaltungsform nicht zu Gunsten einer Privatperson, sondern der Gemeinde.

Auf den ersten Blick benachteiligt erscheinen die Landwirte, die im Vergleich zu vorher eine geringfügig höhere Pacht zu erwarten haben. Hier argumentiert Howard jedoch mit dem neu erschlossenen Absatzmarkt, der den Landwirten in Zukunft hohe Kosten für Transport erspart und somit diese Erhöhung amortisiert.

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Die Gartenstadt heute

Trotz vieler Anhänger dieser Idee wurden in England letztlich nur zwei Gartenstädte realisiert. Letchworth und Welwyn Garden City. Die TCPA existiert bis heute als Wohltätigkeitsorganisation für Forschung und Kampagnenarbeit. Auf ihrer Webseite finden sich unter anderem Ergebnisse aus einem Forschungsprogramm zu einer Gartenstadt des 21. Jahrhunderts.

In Deutschland wurde 1909 Hellerau, heute ein Teil Dresdens, gebaut. Sie gilt als die vollständigste und den Vorsätzen treueste Verwirklichung einer Gartenstadt. Viele weitere Siedlungen entstanden, jedoch oftmals ohne Rücksicht auf die sozialen Grundlagen und Ziele. Die Deutsche Gartenstadt-Gesellschaft wurde 1930 von den Nationalsozialisten aufgelöst.

Literatur:
The Town and Country Planning association https://www.tcpa.org.uk/ (zuletzt aufgerufen am 06.05.2024) // Posener, J. (Hrsg.): „Ebenezer Howard: Gartenstädte von morgen. Das Buch und seine Geschichte“; Ullstein-Verlag, Berlin; 1968

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