Sanierung eines Mehrfamilienhauses in Zürich
Vom Energiefresser zur Plus-Heizenergie-Bilanz
Gebäude aus den fünfziger bis siebziger Jahren des letzten
Jahrhunderts werden heute oftmals abgerissen und durch Neubauten
ersetzt, weil sie aus gegenwärtiger Sicht energetisch unzureichend
sind und architektonisch meist weniger wertgeschätzt werden als die
Bebauung aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Anders erging es
einem rund 45 Jahre alten Wohnhaus im Osten Zürichs. Dieses hat das
Büro Kämpfen Zinke + Partner in ein Gebäude mit
Plus-Heizenergie-Bilanz nach Minergie-A Standard umgewandelt.
Wichtiger Teil des Konzepts ist ein neuer 19 Meter hoher Solarspeicher, der mitten im Gebäude
steckt.
Gallerie
Die Betonkonstruktion des ursprünglich fünfgeschossigen,
unterkellerten Baukörpers wies systematische Wärmebrücken auf und
besaß nur eine minimale Innendämmung. Der Energieverbrauch für die
48 Einzimmerwohnungen lag bei stolzen 30.000 Litern Heizöl pro
Jahr, das entspricht ungefähr einem Eisenbahnwagon voll. Viele
Bauteile waren zudem am Ende ihrer Lebensdauer angelangt, weshalb
in den kommenden Jahren mit großen Reparaturen gerechnet werden
hätte müssen. Die Bauherrenschaft – der Sohn des damaligen
Architekten – entschied sich bewusst gegen den Trend, Gebäude aus
den Nachkriegsjahrzehnten wegen ihrer schlechten Energiebilanz
abzubrechen. Stattdessen sollte durch eine tiefgreifende, bauliche
und energetische Erneuerung ein ökologisches, konsequent solar
ausgerichtetes Bauwerk geschaffen werden, das Erbe und Geschichte
des Gebäudes respektiert.
Passive und aktive Gebäudehülle
Das sich über einem quadratischen Grundriss erhebende Gebäude wurde um ein Attikageschoss aufgestockt, wodurch es nun eine annähernd kubusförmige Kubatur aufweist und zwei Zweizimmer- sowie zwei Dreizimmerwohnungen hinzugewonnen wurden. Die größte, optische Veränderung erfolgte wohl aber an der Gebäudehülle. Die Flächen zwischen den Balkonen und Loggien der Ost-, Süd- und Westfassade wurden ab dem ersten Obergeschoss mit insgesamt 180 Quadratmetern Solarthermiekollektoren versehen. Deren aktiver Ertrag ist durch die Verteilung auf drei Gebäudeseiten über das Jahr relativ gleichmäßig. Die Sonnenkollektoren sind mit einem neuartigen – unter Mitwirkung der ETH Lausanne (EPFL) entwickelten – hell bronzefarben changierenden Glas abgedeckt. Abhängig von Tageszeit und Wetter ändert sich deren farbliche Erscheinung, sodass sie die Gebäudehülle maßgeblich prägen. Wandflächen ohne Solarpaneele erhielten Rankhilfen für Kletterpflanzen. Fassadenbegrünungen schützen die Außenwände vor zu starker Sonneneinstrahlung und können so ebenfalls zur Energieeinsparung beitragen.
Mit einer 22 cm dicken Wärmedämmung und durch Eliminierung der
Wärmebrücken wurde zudem eine passive Basis geschaffen, durch
welche die Energieverluste drastisch reduziert werden konnten. Das
aufgestockte Attikageschoss besteht aus einer hochgedämmten,
vorfabrizierten Holzkonstruktion. Wände und Decken sind ebenfalls
mit hellem Holz verkleidet. Einen schönen Kontrast dazu bildet der
Bodenbelag aus dunkelgrauem Estrich mit hellen
Einschlüssen.
Lüftungsschacht wird Solarspeicher
Ein konstruktiver Glücksfall verbarg sich im Inneren des Gebäudes: Ziemlich zentral im Grundriss war ein Abluftschacht angeordnet, der für die Entlüftung der Tiefgarage zuständig war. Die Entlüftung aber konnte verlegt und vereinfacht werden, sodass der Schacht nun für die Platzierung eines 19 Meter hohen Solarspeichers mit rund 19.000 Litern Fassungsvermögen genutzt werden kann. Mit ihm kann die gewonnene Solarenergie zwischengespeichert und in Schlechtwetterperioden verfügbar gemacht werden. Überschüssige Solarenergie wird in vier jeweils rund 235 Meter tiefe Erdsonden gebracht, die mit einer Wärmepumpe verbunden sind.
Plus-Heizenergie-Bilanz
Ergänzt wird das System durch eine Photovoltaikanlage auf dem Dach mit einer Leistung von 36 kWp. Der damit produzierte Strom genügt, um die Wärmepumpe und die Lüftungsanlage zu betreiben sowie den Allgemeinstrom zu decken. Eine Batterie speichert überschüssigen Strom, wodurch der Eigenverbrauch zusätzlich maximiert wird. Obwohl die Wohnfläche durch die Aufstockung um 22 Prozent erweitert worden ist, konnte der Energiebedarf von rund 300.000 kWh pro Jahr um zwei Drittel auf rund 100.000 kWh pro Jahr reduziert werden. Um diese Energie zu erzeugen, sind nur 25.000 kWh pro Jahr erforderlich. Das Gebäude ist damit, so die Architekten, die erste nach Minergie-A zertifizierte Erneuerung eines Mehrfamilienhauses mit Null-Heizenergiebilanz. Erfreulich ist, dass alle Beteiligten erkannt haben, dass das Gebäude zwar saniert werden musste, jedoch der Rohbau seine Lebensdauer noch lange nicht erreicht hat. So wurde nur ein Viertel der grauen Energie eines Ersatzneubaus benötigt, die Baukosten betrugen etwa zwei Drittel eines vergleichbaren Neubaus. -tg
Bautafel
Architektur: Kämpfen Zinke + Partner, Berlin
Projektbeteiligte: Lukas Baumann, Bremgarten (Tragwerksplanung, Erdbebensicherheit); Naef Energietechnik, Zürich (Gebäudetechnik); AMW Comfort, Winterthur (Lüftung), Sanatherm Heizungssysteme, Dübendorf (Heizung); Ernst Schweizer, Hedingen (Solaranlage); BE-Netz, Ebikon (PV-Anlage); Jenni Energietechnik, Oberburg (Wasserspeicher); DOMA Solartechnik, Satteins (Solarthermie); Swissinso, Lausanne (Gläser Kollektoren); KIOTO Photovoltaics, St.Veit/Glan (Photovoltaik)
Bauherrschaft: David und Ana Dubois, Zürich
Fertigstellung: 2017
Bildnachweis: René Rötheli, Baden; Kämpfen Zinke + Partner, Zürich
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