Mehrfamilienhaus Casa Rossa in Chemnitz
Vom maroden Gründerzeitbau zum Effizienzhaus 100
Der Chemnitzer Stadtteil Sonnenberg ist geprägt von vier- bis fünfgeschossigen Gründerzeitbauten in Blockrandbebauung. Unweit des Lessingplatzes stand rund dreißig Jahre lang ein Gebäude leer – und verfiel zusehends. Erst eine Zwangsversteigerung eröffnete die Möglichkeit zur Rettung und Sanierung des stark geschädigten Hauses. Die Münchner Architekt*innen Annette Fest und Christian Bodensteiner traten gemeinsam mit einem befreundeten Politologen als Bauherrinnen auf und wagten mit ihrem Büro bodensteiner fest Architekten die umfassende Sanierung. Ihnen gelang es, dem Gründerzeitbau eine energetische Qualität zu verleihen, die dem Standard eines Neubaus entspricht.
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Graue Energie bewahren, Atmosphäre stärken
Zentrales Leitmotiv der Sanierung war es, graue Energie zu erhalten, CO₂-Emissionen zu reduzieren und gleichzeitig die baukulturelle Qualität des über hundert Jahre alten Gebäudes herauszuarbeiten. Die vorhandene Bausubstanz befand sich allerdings in einem denkbar schlechten Zustand: Da das Dach undicht war, gab es massive Feuchteschäden; die Holzdecken waren teilweise eingebrochen und Farn wuchs im Gebäude. Die Feuchtigkeit hatte auch dem rötlichen Mauerwerk zugesetzt, das dem Projekt seinen Namen gab: Casa Rossa.
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Vor Beginn der Sanierungsarbeiten wurde deshalb das Dach ab Kellersohle gegen Einsturz gesichert. Die Holzdecken ersetzte man raumweise und schachbrettartig durch Ziegel-Einhangdecken. Im Treppenhaus sowie in ausgewählten Wohnbereichen wurden die Ziegelwände vom Putz befreit und, wo nötig, mit recycelten Originalziegeln ergänzt. Die Fassaden wurden mit großer Sorgfalt instandgesetzt: Spuren der Zeit blieben bewusst sichtbar, ergänzt durch neue, präzise gearbeitete Faschen. Das 30 cm starke Außenmauerwerk plus 30 mm Innenputz erreichen einen U-Wert von 0,85 W/m²K.
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Materialität und Raumatmosphäre
Sämtliche Materialien wurden unter ökologischen, baubiologischen und atmosphärischen Gesichtspunkten gewählt. Ziegel, Eichenparkett, Schwarzstahl, Beton und Glas prägen die Atmosphäre der Innenräume. Eingesetzt wurden zudem Holzfenster, mineralische und Zellulosedämmstoffe sowie glatter Kalkputz.
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Das Raumgefühl in den 46 bis 168 m² großen Wohneinheiten ist großzügig, bestimmt durch die bis zu 55 m² messenden Räume und die originalen Deckenhöhen von drei Metern. Alle Einheiten erhielten zudem hofseitig Balkone. Besonderes Augenmerk galt den Bädern: Die ehemals im Zwischenpodest des Treppenhauses untergebrachten Toilettenräume wurden den Wohnungen zugeschlagen, indem im Zuge des Deckenaustauschs die Decken angehoben wurden. An derselben Stelle sind nun eingelassene Badewannen angeordnet, die zusätzlich temperiert werden, da sie an die Außenwand und das Treppenhaus grenzen. Beim Baden genießt man nun einen herrlich entspannenden Ausblick durch ein raumhohes Fenster in die Baumkrone des Ahorns im Garten.
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Energieeffizienz auf Neubau-Niveau
Energetisch erfüllt das sanierte Gebäude den Standard eines KfW-Effizienzhauses 100 – und damit das Niveau eines Neubaus. Eine 12 cm starke mineralische Dämmung der Hoffassade im WDVS-Verbund mit 15 mm Dickputz (U-Wert: 0,2 W/m²K) trägt ebenso dazu bei wie die komplett erneuerte Haustechnik.
Eine 20 m² große, farblich an die Dachdeckung angepasste Solarthermieanlage übernimmt die Wärmeversorgung für Heizung und Warmwasserbereitung. In den Wintermonaten wird die Anlage durch einen Gas-Brennwertkessel unterstützt. Die Fußbodenheizung wurde mit besonders eng verlegten Heizschleifen ausgeführt, wodurch die erforderliche Vorlauftemperatur deutlich reduziert werden konnte. Dies ermöglicht eine effizientere Nutzung der solarthermischen Energie, insbesondere in der Übergangszeit, in der die solare Wärmeleistung meist ausreicht. Die südorientierte Straßenfassade trägt zusätzlich durch passiven solaren Eintrag zur Reduktion des Heizbedarfs bei. Der Endenergiebedarf nach der Sanierung beträgt 55,3 kWh/m²a, der Primärenergiebedarf liegt bei 62,8 kWh/m²a.
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Eine gelungene Verbindung von Geschichte und Gegenwart
Die Casa Rossa zeigt, wie ein maroder Gründerzeitbau in ein zukunftsfähiges Wohnhaus verwandelt werden kann – ohne seine Geschichte zu verlieren. Der Charme des Unperfekten blieb erhalten, kombiniert mit einer klaren, minimalistischen Ästhetik und vorbildlicher Energieeffizienz. Das Projekt wurde bereits mehrfach ausgezeichnet – und setzt Maßstäbe für den behutsamen und zugleich mutigen Umgang mit historischer Substanz.
Zu dem Projekt ist das Buch Casa Rossa Chemnitz im Deutschen Architektur Verlag erschienen (siehe Surftipps). -tg
Bautafel
Architektur: bodensteiner fest Architekten, München
Projektbeteiligte: IB Trautvetter, Burgstädt (Tragwerk); IB Kundisch, VS-Schwnningen (Energieberatung, Bauphysik), Buderus, Wetzlar (Gasbrennwertkessel und Solarthermie-Flachkollektoren; Produkt Logasol SKT1.0)
Bauherr*in: Bodensteiner Fest Stroux, München
Fertigstellung: 2020
Standort: Gießerstraße 41, 09130 Chemnitz
Bildnachweis: Steffen Spitzner, Gera; Leonie Fest, München; bodensteiner fest Architekten, München
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