Umnutzung zum Amtsgericht in Tübingen
Umfangreichge Sanierung und einfaches Heizsystem
Im Universitätsstädtchen Tübingen findet man nicht nur eine hübsche Altstadtkulisse, sondern jenseits des Hauptbahnhofs auch ein markantes Kasernengebäude, das bis 1980 sogar noch militärisch genutzt wurde. Dem gegenüber befindet sich ein Nebengebäude, in das jüngst das Amts-, Nachtrags-, Betreuungs- und Insolvenzgericht eingezogen ist. Die Sanierung des Bauwerks durch Dannien Roller Architekten + Partner war eine konstruktive Herausforderung. Die neue Haustechnik, für die aufgrund der Denkmalschutzauflagen nicht viel Platz war, ist demgegenüber überraschend konventionell gelöst.
Gallerie
Das Gebäude wurde Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut, als das Gebiet jenseits des Tübinger Bahnhofs sich zur heutigen Südstadt entwickelte. Ursprünglich diente der 37 Meter lange, 16 Meter tiefe und drei Stockwerke hohe Stahlbetonskelettbau mit gemauerten Außenwänden und einem flachen Satteldach als Garage und Lager, auch für Munition, später als Flüchtlingsunterkunft. Vor allem die jahrelange Nutzung als Wäscherei allerdings war es, die dem Stahlbetonskelett im Inneren deutlich zusetzte. Der Zementstein verlor im Laufe der Jahre seine Alkalität und bot so der Bewehrung keinen ausreichenden Schutz vor Korrosion mehr, was die Tragfähigkeit entscheidend beeinflusste. Ein Abriss kam allerdings weder für die Architekturschaffenden noch für die Bauherrschaft infrage, denn das Bauwerk besaß durch seine schlichte und klare Gestalt einen hohen Erhaltungswert. Auch deshalb stand das Gebäude mittlerweile unter Denkmalschutz. Somit musste ein beträchtlicher Teil der inneren, tragenden Konstruktion ersetzt werden, ohne die bestehenden Bauteile zu beeinflussen.
Umfangreiche Umbaumaßnahmen
Mit den nun hell verputzten Fassaden, die im Sockel und im obersten Geschoss durch rote Klinkerbänder gegliedert werden sowie den beiden zur nördlichen Schellingstraße gelegenen Torbögen, die als barrierefreier Haupteingang dienen, präsentiert sich das Gebäude freundlich und einladend. Ebenerdig befinden sich die Gerichtssäle, Besprechungsräume und ein kleines Ausbildungszentrum mit zwei Unterrichtsräumen.
Die zentrale Aufgabe der Bauwerkssanierung bestand im Inneren darin, die Erdgeschossdecke samt Stützen darunter und darüber zu ersetzen, ohne die bestehende Bausubstanz zu gefährden. Die bestehenden Konstruktionsteile wurden dafür mittels sieben Meter langen Sprießen aufwändig abgefangen. Auch der Erdgeschossboden wurde erneuert und dabei zugleich etwas abgesenkt, damit man nun von der Straßenseite (statt von der Rückseite aus) ebenerdig ins Gebäude gelangt. Die sanierten Stahlbetonstützen prägen das Innere maßgeblich indem sie die Raumbreiten definieren. An den Außen- und den Treppenhauswänden schließlich musste keine konstruktive Veränderung vorgenommen werden, da die vergangenen Nutzungen dem Mauerwerk nahezu nichts anhaben konnten.
Angemessene Atmosphäre
Das Ambiente im Inneren sollte das Selbstverständnis des Amtsgerichts zum Ausdruck bringen. Das bedeutete, die neuen Innenräume sollten zugleich unprätentiös und ehrwürdig erscheinen. Erzielt wird dies durch eine reduzierte Materialsprache, eine gewisse Weite und Helligkeit, durch warme, dennoch zurückhaltende und helle Farben sowie unaufgeregte Oberflächen. Die Einbauten bestehen aus Eichenholz, einige Wände aus transluzentem Glas, die hölzernen Fensterrahmen sind grüngrau lackiert. Das Zusammenspiel der Materialien und Oberflächen soll Ordnung, Klarheit und Transparenz vermitteln. Die Decken sind in der Mittelzone abgehängt verkleidet und an den Seiten als Sichtbetonoberfläche belassen.
Konventionelles Heizen
Da das Gebäude kein Kellergeschoss besitzt, ist die Haustechnik in zwei Eckräumen im Erdgeschoss sowie unterm Dach untergebracht. Für die Wärmeerzeugung ist ein effizienter Gas-Brennwertkessel mit einer Nennleistung von 194 kW installiert. Aufgrund des Denkmalschutzes konnte das Gebäude nicht wärmegedämmt werden, wodurch die Raumheizlast vergleichsweise hoch ausfällt (Gebäudeheizlast nach DIN EN 12831: Energetische Bewertung von Gebäuden 118 kW). Ebenfalls aus Denkmalschutzgründen konnte in die bestehenden Bodenaufbauhöhen in den Obergeschossen keine Fußbodenheizung eingebaut werden. Im Erdgeschoss war eine Fußbodenheizung nicht sinnvoll, da das Gebäude in einem Hochwasserbereich liegt (HQ100). Also wurden in allen Räumen insgesamt 84 konventionelle Heizkörper eingebaut, im Parterre als Röhrenradiatoren und in den oberen Stockwerken als Fachheizkörper. Diese wandhängenden Radiatoren haben außerdem den Vorteil, dass sie schnell auf die wechselnden Raumbelegungen reagieren können. Die mit Nachheizern ausgestatteten Lüftungsgeräte mit Wärmerückgewinnung haben eine zusätzliche Heizleistung von rund 40 kW. Für die Gerichtssäle im Erdgeschoss gibt es eine eigene Zu- und Abluftanlage mit 1.800 m³/h, die Anlage im Dachgeschoss für die innenliegenden Aufenthalts- und WC-Bereiche, den Seminarraum, den Wachtmeisterraum kann 3.300 m³/h umwälzen. -tg
Bautafel
Architektur: Dannien Roller Architekten + Partner, Tübingen
Projektbeteiligte: IB Knaak + Reich, Reutlingen (Statik und Bauphysik); IB Sailer, Tübingen (Ausführung Heizung, Lüftung, Sanitär); IB Rath + Fritz, Metzingen (Bauphysik); Vees + Partner, Leinfelden-Echterdingen (Geologie); BAV Ingenieure, Filderstadt (Brandschutz); IB Helle, Tübingen (Vermessung); IB Rentschler, Alpirsbach (SiGeKo); Buderus, Wetzlar (Hersteller Fachheizkörper)
Bauherr/in: Vermögen und Bau Baden-Württemberg, Amt Tübingen
Fertigstellung: 2021
Standort: Schellingstraße 9-11, 72072 Tübingen
Bildnachweis: Dietmar Strauß, Besigheim; Dannien Roller Architekten + Partner, Tübingen
Fachwissen zum Thema
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