Continental-Campus in Hannover
Intelligente Fassadenlösung und Geothermie plus Photovoltaik sorgen für angenehmes Klima
Autofahrer, die von Osten in Richtung der Innenstadt von Hannover fahren, werden städtebaulich vom neuen Hauptsitz des Automobilzulieferers Continental empfangen. Dessen großzügige, vom Architekturbüro Henn entwickelte Bebauung zweier Grundstücke und die Verbindung beider durch eine weittragende Brücke lässt eine Art Tor zur Stadt entstehen. Der hohe Anteil an Fassadenglas bringt zwar angenehm natürlich belichtete Räume, bedarf jedoch auch einer guten Raumklimatisierung. Die Fassade selbst und das Erdreich spielen dabei eine wichtige Rolle.
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Bereits seit 1871 befindet sich das Unternehmen Continental in Hannover – ursprünglich in der Innenstadt angesiedelt, wurde im Zuge einschneidender Neu- und Umstrukturierungen vor einigen Jahren entschieden, die Unternehmenszentrale in einen Neubau nur wenige Kilometer entfernt zu verlegen. Das neue Umfeld im Stadtbezirk Kleefeld ist recht heterogen, mit ganz unterschiedlichen Bauten, etwas Grünfläche und geprägt von Infrastruktur für Auto und Bahn. Im Jahr 2017 konnte Henn den Wettbewerb zum neuen Conti-Campus für sich entscheiden, mit einem Entwurf, der die Entwicklung des Unternehmens vom Reifenhersteller zu einem innovativen Technologiekonzern verkörpern sollte.
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Dynamisches Raumkontinuum
Die grundsätzliche Entwurfsidee basiert auf einem von Motorsportstrecken inspirierten Grundriss, in dem ein sogenannter Loop im zweiten Geschoss durch alle Gebäude und über die Brücke hinweg verläuft und so alles miteinander verbindet. Es entsteht ein kommunikatives, dynamisches Raumkontinuum mit einer Vielfalt an Räumen, kollaborativen Arbeitsflächen sowie Orten für Wissensaustausch und informellen Begegnungen – klar getrennt von den Zonen für eher konzentriertes Arbeiten. In den von Ippolito Fleitz aus Stuttgart gestalteten Büroräumen ist die Wegeführung entlang der Fassaden angeordnet, wodurch tiefe, kompakte Flächen für die rund 2.400 Beschäftigten entstehen. Freistehende Kommunikationsspots nach einem Raum-im-Raum-System gliedern diese in Nachbarschaften. Mit Alkoven, Sitznischen, Arenen und verschiedenen Lounges wird ein zusätzliches Arbeitsplatzangebot geschaffen. Die Räume lassen sich mit minimalinvasiven Eingriffen an neue Anforderungen der Arbeitswelt anpassen.
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Klimatisierung an der Fassade
Die Gebäudehüllen bestehen größtenteils aus einer glatten und gestalterisch klar gegliederten Glasfassade mit großen Scheiben und schmalen Profilen. Im Bereich des Loops weitet sich die gläserne Hülle um einige Zentimeter und tritt dadurch etwas hervor. Zusätzlich sind die Gläser oben und unten mit einem keramischen Verlaufsdruck versehen, der innen dezent grau und außen im Orange des Continental-Logos ist. So entsteht ein umlaufendes Band, das besonders bei Nacht auffällt, wenn es mit warmem Licht hinterleuchtet ist. Aus gestalterischen Gründen sollte es außen keinen beweglichen Sonnenschutz geben, stattdessen haben die Architekt*innen zusammen mit den Klimaexperten von Transsolar, den Fassadenplanern Priedemann sowie den Fraunhofer-Instituten für Bauphysik (IBP) und für Solare Energiesysteme (ISE) eine sogenannte ATC-Fassade entwickelt. Diese Active-Cavity-Transition-Fassade kombiniert Isolierverglasung, inneren Blendschutz und mechanische Lüftung so miteinander, dass die von den direkten Sonnenstrahlen erwärmte Luft zwischen Scheibe und heruntergefahrenem Blendschutz abgesaugt wird. Der Blendschutz besteht außerdem aus einem Stoff, der luftdurchlässig ist, wodurch die verbrauchte Raumluft ebenfalls mit diesem System abgesaugt werden kann. Die Zuluft erfolgt am Boden, ebenfalls in Fassadennähe.
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Nachhaltige Wärmeversorgung
Um komfortable Raumtemperaturen in den Büroetagen zu sichern und gleichzeitig für einen geringen Energieverbrauch durch reduzierten Kühlbedarf zu sorgen, wird ein Großteil der konstruktiven Masse zur Betonkernaktivierung zum Heizen und Kühlen genutzt. Im Erdgeschoss gibt es zusätzlich schnell reagierende Heiz-/Kühldecken, in den Obergeschossen wurde flächendecken Kühlsegel installiert. Sonderbereiche wie die Atrien Süd und Nord sind mit einer Fußbodenheizung ausgestattet, die ebenso zur Kühlung genutzt werden kann. Heizkörper gibt es lediglich in Nebenbereichen, etwa im Untergeschoss oder in den Treppenhäusern. Das Planungsbüro FACT aus Böblingen hat die gesamte Wärmeversorgung auf Niedertemperatur ausgelegt, sodass eine Wärmpumpenanlage mit einer Heizleistung von 400 kW und einer Kühlleistung von 250 kW zum Einsatz kommen kann. Die Umweltenergie erhalten die Wärmepumpen über Geothermie-Bohrungen unter den beiden Parkhäusern sowie im Außenbereich des nördlichen Baufelds.
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Zudem gibt es auf den Parkhäusern eine Photovoltaikanlage mit einer Leistung von 260 kWp, deren produzierter Strom für den Gebäudebetrieb genutzt wird. Unter den PV-Anlagen sind die Dächer begrünt, wodurch im Sommer die Umgebungstemperatur merklich reduziert und der Wirkungsgrad der PV-Module optimiert wird. Mit dem Gebäude strebt Henn die DGNB-Zertifizierung in Platin an. -tg
Bautafel
Architektur: HENN, München
Projektbeteiligte: FACT, Böblingen (Generalplanung TGA); DS-Plan Ingenieurgesellschaft, Stuttgart (Bauphysik); Transsolar KlimaEngineering, Stuttgart (Klimakonzept); Ippolito Fleitz Group, Stuttgart und HENN, München (Loop und Atrien; Interior Design); Atelier Loidl, Berlin (Landschaftsplanung); Priedemann, Großbeeren/Berlin (Fassadenplanung); Drees & Sommer, Stuttgart (Projektsteuerung)
Bauherr*in: Continental AG, Hannover
Fertigstellung: 2023
Standort: Continental-Plaza 1, 30175 Hannover
Bildnachweis: Simon Menges, Berlin; Werner Huthmacher, Stuttgart
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