Justizzentrum in Bochum
Ganzjährige Behaglichkeit durch Geothermie
In der östlichen Innenstadt von Bochum entsteht auf einer seit dem Zweiten Weltkrieg weitgehend ungenutzten Brache ein neues „Justizviertel“ mit Landgericht, Amtsgericht, Arbeitsgericht und Staatsanwaltschaft. Den baulichen Auftakt bildet das Justizzentrum nach Plänen von Hascher Jehle Architektur, das ein historisches Gebäude von 1892 einbezieht und auf insgesamt 42.000 Quadratmetern Fläche Raum für über 1.000 Personen schafft. Die Wärmeenergie zur Klimatisierung wird über eine Bohrpfahlgründung aus dem Erdreich gewonnen.
Gallerie
Die Bochumer Innenstadt wird von Bahntrassen und von der in diesem Bereich ringförmig verlaufenden Bundesstraße 226 begrenzt. Auf einem spitz zulaufenden, dreieckigen Areal zwischen Ringstraße und Bahntrasse befindet sich das neue Quartier, welches zugleich die östliche Bochumer Innenstadt revitalisieren soll. Mit kurzen, fußläufigen Wege wird dort alles gebündelt, was zu einem modernen Gerichtsviertel gehört, inklusive künftig weiterer gerichtsnaher Nutzungen, etwa Anwaltskanzleien etc. Die Vernetzung über die Bahngleise hinweg in die angrenzenden Wohngebiete ist für die kommenden Jahre geplant. Das neue Justizzentrum ist in enger Abstimmung mit den städtischen Behörden entstanden, um die städtebaulichen Zusammenhänge mit den vielschichtigen inneren Funktionszusammenhängen eines Gerichts zu vereinen.
Städtebauliches Erscheinungsbild
Der aus sechs Baukörpern bestehende Komplex entwickelt sich als gestaffelte Mäanderstruktur entlang des vielbefahrenen Ostrings und der neu geschaffenen Josef-Neuberger-Straße. Ein quaderförmiger, viergeschossiger Kopfbau – der Saaltrakt – mit hellroter Betonwerksteinfassade bildet gemeinsam mit dem historischen Nachbargebäude, dem Alten Gymnasium, den repräsentativen Auftakt der Anlage.
Die Gestaltung der Fassade des öffentlichen Saaltraktes ist als Verweis auf das benachbarte Bestandsgebäude zu verstehen: Der 1892 errichtete, vormalige Schulbau besitzt eine klassische, ockerfarbene Klinkerfassade mit Faschen bzw. Fenstereinfassungen aus rötlichem Mainsandstein, bei der die Horizontale deutlich betont wird und die Vertikale vor allem an den Gebäudeecken hervorgehoben wird. Auch der Neubau erfährt eine deutliche Betonung der Horizontalen entlang der Deckenplatten zwischen den Geschossen. Dazwischen spannen sich schmale, ebenfalls rötlich gefärbte Betonfertigteile sowie eine geschosshohe Verglasung auf. Diese erlauben einen teils tiefen Blick ins Gebäudeinnere.
Architektonische Promenade
Man betritt den Saaltrakt an der Westseite über eine großzügige Stufenanalage, die gestalterisch aus dem Gebäudevolumen herausgeschnitten ist. Hinter der flughafenähnlichen Sicherheitsschleuse befindet sich das 24 Meter hohe Atrium, das nicht nur über das gläserne Sheddach, sondern ebenso über die komplett verglaste Rückseite mit Tageslicht geflutet wird. Hinter dieser gläsernen Fassade liegt ein begrünter Innenhof.
Daneben prägt eine architektonische „Raumskulptur“ aus sich zu
Wartebereichen aufweitenden Galerien, Treppen und insgesamt acht
Rahmen das Atrium. Entlang einer – wie es die
Architekturschaffenden nennen – „Promenade Architecturale“ lässt
sich der Raum begehen und erfahren. Die Rahmen sind mit Holz
verkleidet und als geschlitzte und mikroperforierte Holzelemente
ausgeführt, wodurch die Nachhallzeiten deutlich reduziert werden.
Auch für die Sprachdurchsagen aus den insgesamt 39 Gerichtssälen,
die von hier aus erschlossen werden, ist eine wirkungsvolle
Schallabsorption erforderlich.
Im südlich anschließenden Alten Gymnasium sind das Arbeitsgericht und die Sonderfunktionen Bibliothek, Casino sowie der Schulungsbereich für die Referendare untergebracht. In den anderen Gebäudeteilen liegen die zweibündig organisierten Behördenzimmer.
Pfahlgründung mit Geothermie
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in dem Gebiet einige Aufschüttungen vorgenommen, weshalb der Baugrund recht heterogen und damit unvorhersehbar ist. Aus diesem Grund wurde das gesamte Gebäude mit einer Pfahlgründung versehen. Die Bohrpfähle werden gleichzeitig als Erdsonden genutzt, um die Energie aus dem Erdreich zur Beheizung im Winter und zur Kühlung im Sommer zu nutzen. Vorab konnte durch einen 1:1 Geothermal Response Test belegt werden, dass eine solche Anlage auch wirksam sein wird. Die so gewonnene Wärmeenergie wird in einer Wärmepumpenanlage energetisch angehoben und über Betonkerntemperierung auf allen Ebenen im Gebäude an die Räume abgegeben. Rund die Hälfte der Rohdecken in den Obergeschossen sind mit Rohrregistern bestückt, wodurch rechnerisch ca. sechzig Prozent des Heizbedarfs der Büros gedeckt werden kann. Der Vorteil der Betonkerntemperierung liegt außerdem in seiner trägen Wirkung: Eine kritische Aufheizung im Sommer mit Temperaturen über 26 °C kann durch diese Aktivierung der Speichermasse verhindert werden. Das Durchströmen der Rohdecken mit kühlem Wasser führt (rechnerisch) zu Reduzierungen der empfundenen Raumtemperatur um mindestens 8 °C.
Behagliches Raumklima
Zur Wärmeversorgung ist das Heizsystem zusätzlich an die Fernwärme der Stadt Bochum mit einem Anschlusswert von 1,8 MW angebunden, das über eine Kraft-Wärme-Kopplung funktioniert. Alle zentralen Lüftungsgeräte sind außerdem mit einer Wärmerückgewinnung ausgestattet. Deren Regelung erfolgt über Luftqualitätssensoren in den Sälen und Volumenstromregler in der Lüftungsanlage. Auch der vorsitzende Richter kann über Tasten die Lüftungsfunktion manuell steuern. Das Atrium wird natürlich, also ohne maschinelle Unterstützung über gläserne Lüftungslamellen im unteren Bereich der Glasfassaden und am oberen Dachrand be- und entlüftet. Die Zu- und Abluftklappen dienen gleichzeitig der Kaltentrauchung im Brandfall. Sie öffnen abhängig von der Windrichtung immer auf der Leerseite. Um das Zusammenwirken und Ineinandergreifen der thermisch-bauphysikalischen sowie der raumakustischen Anforderungen zu kontrollieren und so für ein behagliches Raumklima zu sorgen, wurden alle Parameter durch thermische Simulationen überprüft und in einem iterativen Prozess sukzessive optimiert. -tg
Bautafel
Architektur: Hascher Jehle Architektur, Berlin
Projektbeteiligte: ARGE Bauleitung JZB leitwerk + rheinpark_r, Bochum (Bauleitung); hutterreimann Landschaftsarchitektur GmbH, Berlin (Landschaftsarchitektur); RPB Rückert, Berlin (Statik); Planungsbüro Waidhas, Chemnitz, und Scholze Ingenieurgesellschaft, Leinfelden-Echterdingen (TGA); Müller BBM, Berlin (Bauphysik); Akustik-Ingenieurbüro Moll, Berlin (Akustik); KFE Kucharzak Fassaden Engineering, Berlin (Fassadenplanung); a·g Licht, Bonn (Lichtplanung); Halfkann + Kirchner Beratende Ingenieure für Brandschutz, Erkelenz (Brandschutz)
Bauherr/in: Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW, Dortmund
Fertigstellung: 2017
Standort: Josef-Neuberger-Straße 1, 44787 Bochum
Bildnachweis: Roland Halbe, Stuttgart; Svenja Bockhop, Berlin; Hascher Jehle Architektur, Berlin
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