Zentraler Omnibusbahnhof in Esslingen
Fliegender Teppich aus Stahl und Glas
Als man im Jahr 1944 die Straßenbahn in Esslingen am Neckar stillegte, wurde sie durch Busse mit Oberleitungen ersetzt. Diese fahren noch heute und machen die schwäbische Mittelstadt zu einer der letzten drei Kommunen Deutschlands, die ein Oberleitungsbus-System betreiben. Bewundern kann man die dazugehörigen Fahrzeuge mit ihren Stromabnehmern nun am Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB), der nach Plänen des Stuttgarter Ingenieurbüro Werner Sobek in der Innenstadt errichtet wurde.
Gallerie
Im Rahmen der Erneuerung der innerstädtischen Südtangente sollte die Bushaltestelle neben dem Hauptbahnhof neu gestaltet und architektonisch aufgewertet werden. Den zu diesem Zweck durch die Stadt Esslingen ausgelobten Wettbewerb konnte das Stuttgarter Planungsteam mit dem Entwurf eines geschwungenen Daches zwar nicht direkt gewinnen, es setzte sich aber am Ende im Vergabeverfahren durch.
Die Form des wellenförmigen Dachtragwerks ist an die Topografie der Landschaft angelehnt. Durch Aufwölbungen an den Längsseiten öffnet sich die Überdachung nach Süden hin zum Zollberg und nach Norden zu den nahen Weinbergen.
Materialeffizientes Tragwerk
Das etwa 150 Tonnen schwere Tragwerk besteht aus einem geschwungenen Trägerrost, der auf 36 schlanken, sich nach oben hin verjüngenden Stahlrundstützen aufliegt, die im Fundament eingespannt sind. Die als Grundlage für die Geometrie des Trägerrosts gewählte Dreiecksform ermöglicht eine Flächentragwirkung und damit – trotz geringer Trägerhöhen und großen Spannweiten – einen verformungsarmen Lastabtrag in die Stützenköpfe. Die Dachträger sind aus Profilen mit rechteckigem Querschnitten gefertigt; lediglich im Bereich der Stützenköpfe sind diese gevoutetet, um die hier anfallenden maximalen Momentkräfte aufnehmen zu können.
Für das Dachtragwerk wurden 54 jeweils 15 x 3,60 m große Segmente vorgefertigt. Die einzelnen Abschnitte wurden dann vor Ort miteinander verschweißt. Insgesamt ist die Dachkonstruktion etwa 92 m lang und 25 m breit. Die Achsabstände des Stützenrasters betragen in Querrichtung 7,30 m, in Längsrichtung 15,80 m. Zur Versorgung der elektrisch angetriebenen Busse wurden die Oberleitungen über den Bushaltebuchten direkt am Dachrand fixiert. So konnte auf separate Abspannmasten verzichtet werden.
Entwässerung und Korrosionsschutz
Die gläserne Dacheindeckung liegt auf einem speziell entworfenen Dichtungssystem. Die Scheibenstöße sind dauerelastisch versiegelt. Wegen der geringen Aufbauhöhe der wellenförmigen Struktur ist eine partielle Entwässerung der Wellentäler notwendig. Dazu wird über die 2 bis 20% starke Dachneigung Niederschlagswasser in die Feldmitte der Vertiefungen geführt. Das dort anfallende Wasser wird durch die Stahlrundstützen abgeleitet.
Um eventueller Korrosion durch undichte Regenfallrohre und damit verbundenen Beeinträchtigungen der Standsicherheit vorzugreifen, wurden die innen liegenden Entwässerungsleitung aus Edelstahl gefertigt und die einzelnen Rohrabschnitte luftdicht miteinander verschweißt. Gleiches gilt für die Elektroversorgung: Die elektrischen Zuleitungen laufen in Kabelzugrohren aus Edelstahl.
Dacheindeckung aus Verbundsicherheitsglas
Die zu Wartungszwecken begehbare Dacheindeckung besteht aus insgesamt 1.300 dreieckigen Glasscheiben mit gleichen Abmessungen und Kantenlängen von 2,40 m und zwei mal 1,70 m. Das entspricht der Grundstruktur des Gitterrostes. Dreieckige Glasformate haben den Vorteil, dass die Freiform der Dachkonstruktion mit ebenen Glasscheiben abgebildet werden kann. Das Eigengewicht der Verglasungen und die auf sie wirkenden Verkehrlasten werden durch die linienförmige Lagerung an den Kanten auf die Unterkonstruktion übertragen.
Gegen Windsogbeanspruchung werden die Verbundsicherheitsgläser
(VSG) aus Teilvorgespanntem Glas (TVG) von zwei Klemmhaltern
an jeder Glaskante gehalten. Um das Beleuchtungskonzept bei Tages-
und Kunstlicht zu unterstützen, sind einzelne Scheiben aus
Milchglas oder farbigem Glas gefertigt, durch die das Licht
unterschiedlich gebrochen oder gefiltert wird.
Bautafel
Objektplanung: Werner Sobek Design, Stuttgart
Projektbeteiligte: Saint Gobain Glass (Glaslieferant); Werner Sobek, Stuttgart (Tragwerksplanung); Roschmann Konstruktionen aus Stahl und Glas, Gersthofen (Generalunternehmer Dach); WSGreen Technologies, Stuttgart (TGA-Planung); LDE Belzner Holmes, Stuttgart (Lichtplaner)
Bauherrschaft: Tiefbauamt der Stadt Esslingen
Fertigstellung: 2014
Standort: Bahnhofplatz, 73728 Esslingen am Neckar
Bildnachweis: Ralf Ginter, Esslingen; Rene Müller, Stuttgart; Zooey Braun, Stuttgart; Werner Sobek, Stuttgart
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