Rechnerischer Nachweis dynamischer Stoßbelastungen

Speziell für absturzsichernde Verglasungen gehören stoßartige Einwirkungen zu den wesentlichen Bemessungslasten. Mittlerweile kann der komplexe dynamische Vorgang des weichen Stoßes, wie er beispielsweise durch einen anprallenden normierten Stoßkörper nach DIN EN 12600 Glas im Bauwesen - Pendelschlagversuch erzeugt wird, unter Verwendung der Finite-Elemente-Methode (FEM) numerisch erfasst werden. Die DIN 18008-4 - Glas im Bauwesen - Bemessungs- und Konstruktionsregeln - Zusatzanforderungen an absturzsichernde Verglasungen beinhaltet zwei Berechnungsverfahren zum weichen Stoß: Ein numerisch transientes und ein ingenieurmäßig vereinfachtes Verfahren mit statischen Ersatzlasten. Die erstgenannte Methode orientiert sich an numerischen Berechnungsmethoden, die vor etwa zehn Jahren entwickelt worden sind und sich zum Stand der Technik etabliert haben. Das Verfahren mit statischen Ersatzlasten ist als Werkzeug zur unabhängigen Vergleichsberechnung zu betrachten.

Gallerie

Sicherheitsniveau der rechnerischen Nachweise
Bei Glasaufbauten, welche nicht durch die DIN 18008-4 abgedeckt sind, wird in der Regel der Nachweis der Standsicherheit im Rahmen einer Zustimmung im Einzelfall (ZiE) anhand von Bauteilversuchen (meistens zwei Stück) geführt. Um mit statistischer Gewissheit das notwendige Sicherheitsniveau seitens der Einwirkungsseite zu gewährleisten, wurden analog der nicht mehr gültigen Technischen Regeln für absturzsichernde Verglasungen (TRAV) die Fallhöhen großzügig im Bereich zwischen 450 und 900 mm gewählt. Der rechnerische Nachweis der Standsicherheit wird hingegen anhand der Bemessungswerte der Glasfestigkeit geführt. Durchgeführte Studien haben gezeigt, dass der reale menschliche Stoßvorgang wesentlich geringere bemessungsrelevante Zugspannungen an der Glasoberfläche herbeiruft, als die angesetzten Fallhöhen des Pendelkörpers.

Ziel der Entwicklung beider Berechnungsverfahren war es, unter Wahrung der bekannten Sicherheitsniveaus entsprechend der nicht mehr gültigen TRAV, eine Harmonisierung des Werkstoffes Glas mit den sonstigen durch die ETB-Richtlinie: Bauteile die gegen Absturz sichern erfassten Materialien zu ermöglichen. Hierzu wurde für die rechnerischen Nachweise eine Anpassung der Fallhöhe notwendig, sodass für eine Pendelkörpermasse von 50 kg nach DIN EN 12600 eine rechnerische Fallhöhe von 200 mm resultiert. Eine Parameterstudie hat gezeigt, dass die rechnerischen Verfahren mit Ansatz dieser Fallhöhe das bisherige Sicherheitsniveau einhalten. Bei realen Pendelschlagversuchen kann es zudem durchaus zum Bruch der Glasscheiben kommen. Beide Berechnungsverfahren können jedoch nur bis zum rechnerischen Bruchzustand des Glases verwendet werden, sodass der Bemessungswert der Einwirkung kleiner dem Bemessungswert des Tragwiderstandes (Kurzzeitfestigkeit) sein muss.

Für stoßartige Lasteinwirkungen kann trotz der viskoelastischen Eigenschaften von Zwischenschichten aus Polyvinylbutyral (PVB) eine volle Schubübertragung angenommen werden. Dies bedeutet, dass die Scheiben eines Verbundsicherheitsglases (VSG) als monolithische Platte berechnet werden können. Die Dicke der Platte resultiert aus der Summe der vorhandenen Scheibendicken. Sofern das Rechenverfahren eine Kopplung über das eingeschlossene Gasvolumen nicht zulässt, ist die Angriffsseite von Isolierverglasungen vereinfachend ohne Ansatz der Mitwirkung der Außenscheibe für die volle planmäßige Einwirkung auszulegen. Die Außenscheibe von Isolierverglasungen ist anschließend in einer weiteren Berechnung unter Ansatz einer 50-prozentigen Basisenergie zu bemessen.

Transientes Berechnungsverfahren
Die numerisch transiente Berechnung behandelt die instationäre Diskretisierung der Interaktion zwischen Pendelkörper und Glasscheibe unter Berücksichtigung der Massenträgheiten und Steifigkeiten. Der Stoßvorgang lässt sich dabei auf beliebige ebene Konstruktionen und Lagerungsarten (zwei-, drei- und vierseitig kontinuierliche Lagerung) anwenden. Die Modellgenerierung kann für die Glasscheibe aufgrund des Verhältnisses der Kantenlängen zur Dicke mit Schalenelementen erfolgen. Dabei müssen die verwendeten Elemente Biege- und Membranspannungen abbilden können. Das Pendel ist mithilfe von Volumenelementen abzubilden. Das Rechenmodell muss Masse und Steifigkeit des Doppelreifen-Pendelkörpers zutreffend simulieren. Daher ist in DIN 18008-4 zur Gewährleistung der korrekten numerischen Systemabbildung eine vom Anwender durchzuführende Verifizierung an Referenzsystemen gefordert.

Ingenieurmäßiges Berechnungsverfahren mit statischen Ersatzlasten
Das ingenieurmäßige Berechnungsverfahren mit statisch äquivalenten Ersatzlasten ist in der Anwendung auf Systeme mit vierseitig oder zweiseitig kontinuierlicher Lagerung begrenzt. Zusätzlich gilt eine Limitierung hinsichtlich der Scheibenabmessung. Die statische Ersatzlast berechnet sich anhand der Energie, die auf das System wirkt (Basisenergie) und einem Stoßübertragungsfaktor, der die mitschwingende Masse und Steifigkeit der Glasscheibe erfasst. Die Lastverteilungsfläche der Ersatzlast entspricht einem Quadrat mit einer Kantenlänge von 20 cm. Die Berechnung darf unter Berücksichtigung von geometrisch nichtlinearem Verhalten der Glasscheibe erfolgen. Für vierseitig kontinuierlich gelagerte Glasscheiben ist der Stoßübertragungsfaktor konstant zu 1,0 zu wählen. Es wird lediglich zwischen zwei Austreffstellen (= Lastansatzpunkt), der Scheibenmitte oder Scheibenecke, differenziert. Zweiseitig gelagerte Glasscheiben sind zunächst in ein Ersatzsystem zu überführen: Unter Beibehaltung der Spannweite und Scheibendicke wird die Höhe der Scheibe auf 0,7 m reduziert. Lastansatzpunkt ist ausschließlich die Scheibenmitte. Der Stoßübertragungsfaktor ist für zweiseitig gelagerte Systeme anhand eines Diagramms zu bestimmen.

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