Was bedeutet nachhaltiges Bauen?
Auf den Kontext kommt es an
Ökologische Belastungsgrenzen setzen einen Rahmen, der, sofern er nicht überschritten wird, intakte Abläufe für das Leben auf der Erde sicherstellt. Das Überschreiten dieser Grenzen hat mit großer Wahrscheinlichkeit negative Folgen für das Ökosystem. Verschiedene Kategorien der Grenzüberschreitungen wirken sich dabei unterschiedlich auf das Gesamtgefüge aus: Während etwa die Kategorien „Artensterben“ und „Stickstoffkreislauf“ zum größten Teil von der Landwirtschaft beeinflusst werden, steht das Bauen in naher Verbindung mit der Klimakrise. Bei der Konstruktion und der Nutzung von Gebäuden werden etwa gleich große Teile an Treibhausgasen ausgestoßen. Das angestrebte Ziel sollte die Erreichung von Klimaneutralität (Net Zero) im Jahr 2050 sein, was einer Erwärmung des Klimas bis 1,5 Grad Celsius entspricht. Jedoch sieht die Agenda für die Umsetzung davon nicht überall gleich aus. Grob lassen sich zwei Regionen unterscheiden – die des Globalen Nordens und die des Globalen Südens –, welche verschiedene Herausforderungen meistern müssen. Zur Frage „Was bedeutet nachhaltiges Bauen?“ gehört also nicht überall auf der Welt die gleiche Antwort.
Gallerie
Reuse Reduce Recycle
Die Gebäude im Globalen Norden
sind in der Regel beheizt. Daher ist für diese Region die
anzugehende Herausforderung der energieeffiziente Betrieb der
Bauten sowie die Isolierung und Sanierung des bestehenden älteren
Gebäudebestands zentral. Als grundsätzliche Strategie für ein
Net-Zero-Gebäude im Globalen Norden gilt: zuerst die passiven
Designstrategien ausnutzen, um den Energiebedarf zu
senken und für den restlichen Energiebedarf ein effizientes System entwerfen.
Um passive Designstrategien zu nutzen, ist es wichtig, sich mit dem
Klima des Standorts, der Ausrichtung und der Form des Gebäudes zu
befassen. So lässt sich mit der Form und der Orientierung des Baus
etwa die natürliche Querlüftung optimieren. Mit der thermischen
Masse eines Bauwerks kann man den Heizbedarf reduzieren, ebenso wie
mit der Wahl der Größe und Art der Verglasung und des
Sonnenschutzes. Auch die Begrünung kann als passive Designstrategie
genutzt werden. Erst danach sollte ein effizientes Energiesystem
entworfen werden, welches auf den minimierten Bedarf durch passive
Strategien dimensioniert ist.
Berücksichtigt werden dabei alle Lebenszyklusphasen eines
Gebäudes. Dabei wird die Optimierung sämtlicher Einflussfaktoren
auf den Lebenszyklus angestrebt: von der Rohstoffgewinnung über die
Errichtung bis zum Rückbau. Als durchschnittliche Nutzungszeit
eines Hauses werden ca. 50 - 100 Jahre angenommen.
Folgende Faktoren sind beim nachhaltigen Bauen insbesondere im Globalen Norden zu berücksichtigen:
- Senkung des Energiebedarfs
- Senkung des Verbrauchs von Betriebsmitteln
- Einsatz wiederverwertbarer Baustoffe und Bauteile
- Vermeidung von Transportkosten (der eingesetzten Baustoffe und Bauteile)
- gefahrlose Rückführung der verwendeten Materialien in den natürlichen Stoffkreislauf
- Nachnutzungsmöglichkeiten
- Schonung von Naturräumen
- Flächen sparendes Bauen
Baumaterialien mit niedriger Kohlenstoffintensität
Aufgrund des starken Urbanisierungstrends und der höheren
Temperaturen gilt es, im Globalen Süden die Kohlenstoffintensität
von Baumaterialien zu senken sowie die Gebäude an das wärmer
werdende Klima anzupassen. Jedes Baumaterial bindet Kohlenstoff
sowohl als Speichermedium als auch durch dessen Herstellung (Graue
Energie). Um den in Baumaterialien verkörperten CO2-Ausstoß
(embodied carbon) zu reduzieren, muss man sich die zwei natürlichen
Kohlenstoff-Kreisläufe genauer ansehen, die in jedem Baumaterial
enthalten sind: den kürzeren biologischen Kohlenstoff-Kreislauf und
den längeren geologischen Kreislauf. Durch eine Verlangsamung des
biologischen Kreislaufs wird der Kohlenstoff länger im Material
gebunden. Dies ist beispielsweise möglich, indem schnell wachsende
Pflanzen wie Stroh oder Hanf als Isolationsmaterial für Gebäude
genutzt werden. Der in Stroh und Hanf enthaltene Kohlenstoff wird
dadurch im Herbst nicht freigesetzt, sondern über längere Zeit im
Gebäude gespeichert. Die zweite Möglichkeit ist es, den
geologischen Kreislauf zu beschleunigen, sodass in kürzerer Zeit
mehr Kohlenstoff langfristig gebunden wird, etwa im Boden. So
tüfteln Forschende etwa an Zement, der schneller karbonisiert und
auch bei der Herstellung weniger CO2 emittiert.
Jenseits von Net Zero
Es ist zu erwarten, dass 90
Prozent des zukünftigen Städtewachstums in den Städten von Afrika
und Asien passieren wird. Dabei wird schätzungsweise 30-40 Prozent
des Bauens in informellen Siedlungen stattfinden. In solchen
Siedlungen mangelt es an sauberem Wasser, Zugang zu Infrastruktur,
Abwasser- und Gesundheitseinrichtungen sowie sicheren
Konstruktionen. Das verdeutlicht,
dass Nachhaltigkeit nicht nur CO2-Emissionen betrifft,
sondern zu gleichen Teilen auf den drei Säulen von Umwelt,
Wirtschaft und Gesellschaft ruht. (Siehe Fachwissen zum Thema).
2016 haben die Vereinten Nationen 17 Ziele für nachhaltige
Entwicklung, die sogenannten Sustainable Development Goals,
veröffentlicht.1 Sie zeigen, dass auf mehreren Ebenen
gleichzeitig gedacht werden muss: So sollte ein nachhaltiges
Gebäude in einer informellen Siedlung nicht nur CO2-neutral sein,
sondern den Bewohnenden auch ermöglichen, damit Geld zu verdienen
oder den Zugang zu Bildung, Wasser oder Gesundheitseinrichtungen zu
verbessern. Diese Herangehensweise wird als regenerativer Ansatz
bezeichnet und schickt sich an, den Begriff Nachhaltigkeit langfristig abzulösen. Der
regenerative Ansatz strebt neben Net Zero einen positiven Einfluss
in mehreren Belangen an.
Vorsicht vor Greenwashing
Im Bereich des Nachhaltigen
Bauens ist es wichtig, die verwendeten Daten und Aussagen genau zu
prüfen. Greenwashing – das Propagieren eines umweltfreundlichen
Images ohne ausreichende Grundlage – ist auch in der Bauindustrie
verbreitet. Es lohnt sich daher, zwei Mal hinzuschauen und die
Aussagen kritisch zu hinterfragen, da bereits kleine Veränderungen
der gesetzten Grenzen eines bewerteten Systems zu großen
Unterschieden in den Resultaten führen
können. –sh
Fachwissen zum Thema
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