Sanierung Schlosserhof in Stuttgart
Innenausbau mit Lehmputz, Kalkfarbe und Linoleum
Neuer Wohnraum ist in Großstädten knapp. Dass derlei Not erfinderisch machen kann, bewiesen ein privater Bauherr und die Architektin Tina Kammer vom Büro InteriorPark mit der beachtlichen Transformation einer alten Schlosserei zu einer Wohnung im Stuttgarter Lehenviertel. Erhalten war lediglich eine Ruine im Hinterhof eines Wohnblocks: Das Dach des vormaligen Werkstattgebäudes war schon vor Jahren eingestürzt, die drei verbleibenden Wände nur noch mit Stützen gesichert. Trotz dieses verfallenden Zustands stand der kleine, eingeschossige Bau aus dem Jahr 1904 unter Bestandsschutz. Nach dem Erwerb des Gemäuers und von Räumen im Souterrain des östlich angrenzenden Mehrfamilienhauses sowie von einem Teil des Hofes war es ein mühevoller Weg, bis aus dem verfallenen Bau das hochwertige Wohnatelier Schlosserhof wurde. Aufgrund baurechtlicher Vorgaben konnten die Backsteinmauern weder erneuert noch durch eine innenliegende Konstruktion ergänzt werden. Die Rohbauphase erforderte viel Fingerspitzengefühl, da bei einem Einsturz der Mauern der Verlust der Baugenehmigung drohte.
Gallerie
Nach den Sanierungsmaßnahmen verbindet ein schmaler, neuer
Zwischenbau den eingeschossigen Bestand mit dem östlichen
Mehrfamilienhaus. Er bildet den Eingangsbereich und die
Schnittstelle zwischen den beiden Gebäudeteilen, die zusammen 200
Quadratmeter Wohnfläche bieten. Der Grundriss im Bereich des
fünfgeschossigen Hauses ließ sich aus statischen Gründen nicht
verändern. So ergibt sich eine Erschließung von Raum zu Raum.
Lediglich die beiden Bäder sind keine Durchgangszimmer. Die vielen
vorhandenen Wandöffnungen haben den Vorteil, dass das im
Erdgeschoss rare Tageslicht in die Wohnung einfallen kann. Ein
zweiter Zugang vom Hof aus ermöglicht es, die L-förmige Wohnung bei
Bedarf in zwei eigenständige Einheiten aufzuteilen.
Bei der Instandsetzung der Ruine wurde der Werkstattcharakter
erhalten und durch den Einsatz weniger, aber ausgewählter
Materialien neu interpretiert. Anstelle der alten verwitterten Tore
sind zwei doppelflüglige Fenstertüren eingebaut, die zusammen mit
zwei Fenstern den großen Atelierraum belichten. Die Deckenhöhen des
leicht geneigten Daches reichen von 2,50 bis 4,80 Meter. Zusätzlich
sind zwei Oberlichter mit den Maßen 2,0 x 4,0 Meter in das
neue Dach integriert, sodass trotz der Lage im Hof möglichst viel
natürliche Belichtung gewährleistet ist.
Gesund Bauen
Für den Um- und Innenausbau legte man ein großes Augenmerk auf
ökologische, nachhaltige und lokale Baustoffe und schuf so ein
gesundes Wohnraumklima. Die Innenwände wurden vom alten Putz
befreit und die Backsteine in ihrer rohen Anmutung teilweise
sichtbar belassen. Weiß gekalkter Lehmputz an allen Deckenflächen
und an den neu eingefügten Bauteilen bilden einen Kontrast dazu.
Auch die schwarzen Steckdosen, Lichtschalter und Aufputzleitungen
setzen Akzente auf dem Sichtmauerwerk und weißen
Oberflächen.
Der Lehmputz und die Kalkfarbe sorgen für Diffusionsoffenheit. Sie sind zudem feuchtigkeitsregulierend, wärmespeichernd und binden Schadstoffe. Für die notwendige Dämmung der ehemaligen Schlosserei kommen Holzfasern zum Einsatz. Als Bodenbelag wurde Linoleum gewählt. Es besteht gänzlich aus organischen und mineralischen Rohstoffen: Leinöl, Naturharze, Holz- und Kalksteinmehl sowie Jutegewebe sind die Hauptbestandteile. Dabei ist der emissionsfreie Boden strapazierfähig und langlebig. Das Douglasienholz für ein Podest in der Küche und für die Arbeitsplatten stammt aus nachhaltiger Forstwirtschaft der Region. Die Fensterrahmen aus massiver, geölter Eiche sind individuell von einem lokalen Handwerksbetrieb gefertigt. Für die Türen wurden historische Bauelemente restauriert und an neuen Stellen wieder eingesetzt.
Der Entwurf und die Ausführung werden durch eine reduzierte Form- und Materialsprache bestimmt, mit der die Metamorphose von einem nahezu abbruchreifen Bestand zu einer modernen Wohnung in dicht bebauter Umgebung in zeitloser Gestaltungssprache gelungen ist. -dg
Bautafel
Architektin: Tina Kammer von InteriorPark, Stuttgart
Projektbeteiligte: Ingenieurbüro für Tragwerksplanung Reinhard Kaltenbach, Holzgerlingen (Statik); pgk Planungsgruppe Kuhn, Sindelfingen (Bauphysik); S&A Bau, Leinfelden-Echterdingen (Rohbauarbeiten), H&H Bedachungen, Leutenbach (Abdichtungen, Flaschnerarbeiten); Fensterbau Schmid, Vöhringen (Fensterbau und Oberlichter); Jung, Schalksmühle (Schalter); Rainer Rapp, Haigerloch (Schreinerarbeiten, Aufarbeiten historischer Türen); Fratax, Theodor Becker, Stuttgart (Lehmputz); Forbo Flooring, Paderborn (Bodenbelag); Pur Natur, Zell am Harmersbach (Holz); Claytec, Viersen-Boisheim (Lehm)
Bauherr: privat
Standort: Stuttgart
Fertigstellung: 2017
Bildnachweis: Andreas Körner, bildhübsche fotografie, Stuttgart