Casa de tierra in Ayerbe
Tradition und Modernität verbindender Stampflehmbau
Im Nordosten Spaniens liegt zu Füßen der Pyrenäen der rund 1.000 Einwohner zählende Ort Ayerbe. Mitten darin hat die auf modernen Lehmbau spezialisierte Architektin Angels Castellarnau ein Wohnhaus geplant und gebaut. Die Casa de tierra ist ein heller Lehmbau, der sich unaufgeregt in die gewachsene Struktur der Nachbarschaft einfügt und doch etwas Besonderes ist. In Form, Konstruktion, Ausrichtung und Materialwahl orientierte sich Castellarnau an den traditionellen Gebäuden der Region. Ihr Vorbild ist die vernakuläre Architektur, also eine lokal verankerte Bauweise, die sich über einen langen Zeitraum aus klimatischen Gegebenheiten, örtlich gewonnenen und hergestellten Materialien und Herstellungsweisen sowie sozialen Gewohnheiten und Bedürfnissen der Bewohner herausgebildet hat.
Gallerie
Giebelständig zur abfallenden Straße ausgerichtet, erhebt sich das Gebäude zweigeschossig auf einem annähernd L-förmigen Grundriss. Das Satteldach ist wie bei den Nachbarhäusern in stumpfem Winkel geneigt und mit Tonziegeln in verschiedenen Farbabstufungen gedeckt. Die tragenden Wände sind aus Stampflehm errichtet, dessen schichtenweise Herstellungsweise an der Fassade ablesbar ist. Nur wenige, unregelmäßig platzierte und recht kleine Fensteröffnungen lockern die Fläche auf. Lediglich an der nördlichen Längsseite sind die verglasten Flächen etwas größer. Hier liegt auch der Eingang, der über einen geschützten Hof erschlossen wird. Dieser grenzt im Westen und Norden direkt an die Nachbarbebauung, an der östlichen Grundstücksgrenze verläuft zur Straße hin eine rustikale, mannshohe Steinmauer. Das kurze Ende des westlich gelegenen L's ist nur eingeschossig ausbildet und beherbergt einen einzigen Raum mit großer Glastür zum Hof.
Vom Eingang gelangen die Bewohner direkt in die geräumige Küche mit Essplatz. Sie ist türlos mit dem Herzstück des Hauses, dem offenen, über zwei Geschosse reichenden und von großen Nordfenstern erhellten Wohnraum verbunden. Ein kleiner Flur im Eck erschließt ein Schlafzimmer, das Bad sowie den Raum im Westflügel. Ins Obergeschoss, wo sich weitere Schlafräume befinden, führt eine Holztreppe aus dem Wohnraum. Unter dem Gebäude befindet sich in den Hang gebaut an der südlichen Seite eine Garage für zwei Autos. In allen Wohnräumen sind die Wände mit Lehm verputzt; der Bodenbelag besteht aus Holz, ebenso die Deckenkonstruktion.
Gesund Bauen
Für die Außenwände hat die experimtierfreudige Architektin die
traditionelle Lehmbautechnik modifiziert und dem feinkrümeligen
Stampflehm zusätzlich Kalkmörtel als Bindemittel und Stroh
beigemischt. Sämtliche Bestandteile sind regional verfügbar und
wirken sich positiv auf das Raumklima aus. Lehm ist ein
diffusionsoffener, wärmespeichernder, schalldämmender und
brandhemmender Baustoff, der wie Kalk feuchteregulierend ist. Kalk bindet
zudem Kohlendioxid und saure Schadstoffe aus der Luft; das
beigemengte Stroh wiederum ist wärmedämmend. Die Innenwände
erhielten einen Lehmputz. Neben Lehm, Kalk und Stroh stammen auch
der Ton für die Dachziegel und das Holz für die Fenster- und
Türrahmen, für Böden, Decken und die Treppe aus einem Umkreis von
maximal 150 Kilometern um Ayerbe und wurden von örtlichen Betrieben
hergestellt.
Außer der Verwendung gesunder und ressourcenschonender Baustoffe, fanden auch eine energieeffiziente Bauweise und Technik Anwendung. So sind beispielsweise die tief liegenden Fensteröffnungen derart positioniert, dass Tageslicht bestmöglich die Räume erhellen kann; vor zu viel Sonne schützen innen liegende Holzschiebeläden. Der Heizkessel wird mit Biomasse gefeuert, das Regenwasser in einer Zisterne zur Wiederverwendung gesammelt.
Bekanntheit erlangt hat die Casa de tierra durch eine Auszeichung beim internationalen Terra-Award für zeitgenössische Lehmarchitektur, der 2016 erstmals vergeben wurde. Hier erhielt sie den ersten Preis in der Kategorie Privathaus. In der Kategorie Gemeinschaftshaus wurde die Herberge The Great Wall in Australien gekürt, ein Sonderpreis für technische Innovation ging an Martin Rauch und sein Büro Lehm Ton Erde für die Fassade des Ricola Kräuterzentrums in Laufen. Wir berichteten (siehe Surftipps). -jb
Bautafel
Architekten: Angels Castellarnau / Edra Arquitectura km 0, Ayerbe
Projektbeteiligte: Construcciones Salinero, Ayerbe (Lehm)
Bauherr: privat
Standort: Ayerbe, Spanien
Fertigstellung: 2014
Bildnachweis: Xavier d’Arquer / Doblestudio, Huesca