Forstpavillon in Schwäbisch Gmünd
Robotisch gefertigte Holzschalenkonstruktion
Auf der Landesgartenschau in Schwäbisch Gmünd zeigt ein Ausstellungsgebäude anschaulich die neuen Möglichkeiten der digitalen Planung und robotischen Fertigung von Holzleichtbaukonstruktionen. Der Forstpavillon (jüngst in Dieter-Paul-Pavillon umbenannt) entstand im Rahmen des Verbundforschungsprojekts „Robotik im Holzbau“ an der Universität Stuttgart.
Gallerie
Mittels computerbasierter Entwurfs‐, Simulations‐, Fertigungs‐ und Messverfahren in nur vier Wochen im „Himmelsgarten“ errichtet, kommt die leistungsfähige Schalenkonstruktion aus Buchenfurnierholzplatten mit einer Materialstärke von nur 50 Millimetern aus. Dabei sind die Platten Tragwerk und Gebäudehülle zugleich. Verbunden sind sie über gefräste Zinken an den Plattenrändern, die die Verbindungskräfte besonders gut aufnehmen können. Als Vorbild für die Konstruktion diente das Plattenskelett von Seeigeln, das durch seine spezifische Anordnung und Extrusionen an den Skelettplattenrändern eine besonders stabile und effiziente Schalenkonstruktion darstellt. Die Methode, bei der komplexe Konstruktionsformen aus der Tier- und Pflanzenwelt auf technische Systeme übertragen werden, stammt aus dem bionischen Leichtbau.
Mit einer Schalenfläche von 245 Quadratmetern und äußeren Abmessungen von 17 x 11 x 6 Metern (L x B x H) bietet der Pavillon eine Nutzfläche von rund 125 Quadratmetern und ein Raumvolumen von 605 Kubikmetern. Das Innere des Pavillons gliedert sich in einen Eingangs- und einen Hauptausstellungsbereich. In beiden ist die Schale kuppelförmig ausgebildet und besteht aus konvex‐polygonalen Platten. Dazwischen befindet sich eine sattelförmige Einschnürung aus konkav‐polygonalen Platten. Die Besucher betreten das Gebäude durch den niedrigeren Teil des erdnussförmigen Baukörpers und werden durch die räumliche Einschnürung in den sechs Meter hohen Hauptraum geleitet. Dieser öffnet sich mit einer großen Glasfassade zur Landschaft hin. Den Innenraum prägt vor allem das Muster der sichtbaren und weitgehend unbehandelten Buchenholzkonstruktion mit ihren charakteristischen Zinkenverbindungen.
Dach
Die Planung der komplexen Plattenstruktur erfolgte durch
computerbasierte Entwurfs‐ und Simulationsverfahren, die im Rahmen
des Forschungsprojekts entwickelt wurden. Das Entwurfswerkzeug
bezieht die Materialeigenschaften und Herstellungsbedingungen von
Beginn an in die Planung mit ein. Dabei werden die Platten nicht
einzeln gezeichnet oder modelliert, vielmehr finden sie in einem
digitalen Simulations‐ und Optimierungsprozess ihre Lage, Größe und
Form, in Übereinstimmung mit den Möglichkeiten der robotischen
Fertigung, von selbst.
Anschließend folgte die Herstellung sämtlicher Bauteile durch Industrieroboter. Neben 243 unterschiedlichen Holzplatten schnitten sie auch die Dämmung, die wasserführende Schicht sowie die Deckschicht aus Lärchenplatten zu. Die größte Herausforderung bestand im Fräsen der 7.600 geometrisch unterschiedlichen Zinkenverbindungen, die dem Pavillon seine Stabilität verleihen. Sie ließen sich nur mit einer siebenachsigen Roboteranlage effizient umsetzen. Für die gesamte Schale waren lediglich 12 Kubikmeter Holz notwendig; aufgrund des präzisen Zuschnitts fiel zudem nur ein geringer Verschnitt an.
Gegenüber den üblichen computergesteuerten Fertigungsmethoden
bot die robotische Herstellung einen wesentlich höheren
Freiheitsgrad. Bei der Messtechnik zur Qualitätskontrolle der
individuellen Platten kamen ein im Sub‐Millimeter Bereich
agierender Lasertracker sowie dreidimensionale Laserscanner zur
mehrfachen Vermessung des gesamten Bauwerks zum Einsatz. Mit ihnen
ließ sich außerdem eine Analyse des Langzeitverhaltens erstellen.
Diese ergab, dass die mittlere quadratische Abweichung der
Bauteile, die ein Maß für die Genauigkeit der Fertigung darstellt,
lediglich 0,86 Millimeter beträgt. Im Vergleich zu den im Bauwesen
sonst üblichen Toleranzen ist dies ein außerordentlich guter Wert,
vor allem im Hinblick darauf, dass die Buchenholzschale
gleichzeitig Rohbau und fertiger Ausbauzustand ist.
Bautafel
Entwicklung: Institut für Computerbasiertes Entwerfen ICD (Prof. Achim Menges), Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen ITKE (Prof. Jan Knippers) und das Institut für Ingenieurgeodäsie IIGS (Prof. Volker Schwieger) an der Universität Stuttgart
Umsetzung: Müllerblaustein Holzbau, Blaustein; Landesgartenschau Schwäbisch Gmünd 2014; Landesbetrieb Forst Baden‐Württemberg (ForstBW), Stuttgart und KUKA Roboter, Augsburg
Finanzierung: Europäischer Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), Clusterinitiative Forst und Holz Baden‐Württemberg sowie Projektpartner
Bauherr: Landesgartenschau Schwäbisch Gmünd 2014
Fertigstellung: 2013
Standort: Himmelsgarten im Landschaftspark Wetzgau, Schwäbisch Gmünd
Bildnachweis: ICD/ITKE/IIGS Universität Stuttgart