Wollbau
Wolle – eine unterschätzte Ressource
Adocs, Hamburg 2024
192 Seiten, zahlreiche Abbildungen
Format 28 × 21 cm, Softcover
Preis: 28 EUR
ISBN 978-3-9432-5375-7
Früher war Wolle viel Geld wert, heute wird sie wie Abfall behandelt – zumindest hierzulande. Da die Fasern der heimischen Schafe als zu grob für die Textilherstellung gelten, werden sie in Deutschland etwa als Dünger verwendet. Folke Köbberling hat nach Alternativen zur Verschwendung gesucht. Die Künstlerin ist bekannt für ihre Auseinandersetzung mit vorgefundenen und weggeworfenen Materialien. Welchen Nutzen das „tierische Nebenprodukt“ haben könnte, zeigt ihr Buch Wollbau.
11.000 Tonnen Rohwolle fallen laut International Wool Textile Organization (IWTO) jedes Jahr in Deutschland an. Von diesem Überfluss künden auch die Fotos der Häuschen und Fassadenteile: 400 Kilogramm bedeckten etwa einen Stall im Berliner Hansaviertel. Die fünf Schwarzkopfschafe, die hier 2019 Nachbarn auf Zeit waren, stammten aus Brandenburg, wo sie eigentlich zur Landschaftspflege und zum Fleischkonsum gehalten werden. Dabei eignet sich ihre Wolle sehr gut als Dämmmaterial. Menschen aus dem Stadtteil halfen bei der Pflege des Wollhauses. Bei einer „Schafsdemonstration“ zog eine Herde von 200 Tieren von dort Richtung Spree und machte so auf die prekäre Lage der Wanderschäfer*innen aufmerksam.
Diese und ähnliche Arbeiten stellen Jule Reuter, Angela Köckritz, Chrisitan Holl, Werner Nasahl sowie die Künstlerin selbst im ersten Teil des Buchs vor. Dazu porträtiert Folke Köbberling die Schafrassen, deren Wolle sie nutzte. Immer wieder stehen die weichen, hervorquellenden, zwischen Braun und Weiß changierenden Oberflächen, den glatten Fassaden und kantigen Baukörpern von Kaufhäusern und Wohnblöcken gegenüber.
Im zweiten Teil geht es um die zahlreichen Projekte, die gemeinsam mit Studierenden und Mitarbeitenden der TU Braunschweig entstanden. Seit 2016 leitet Folke Köbberling dort das Institut für Architekturbezogene Kunst (IAK). Die Experimente zeigen unterschiedliche Möglichkeiten, Wolle im Bauwesen anzuwenden. In Text und Bild erhalten die Lesenden Einblick in die Werkstätten, in denen Vorhänge geknüpft, Holzstrukturen ausgefacht und Paneele gestopft wurden. Schafswolle ersetzt Steinwolle und armiert Beton und Lehm. Die Haarknäuel wirken außerdem temperatur- und feuchtigkeitsregulierend, schalldämmend und sind atmungsaktiv. In Kombination mit Jute und Lehm oder Pilzen, Hanf und Erde entstanden dämmende Bausteine.
Seit 2022 hält eine Ausfachung aus Jutesäcken und Rohwollfüllung den Projektraum des Kunstvereins Neuhausen länger warm. Am Club Hybrid in Graz zeigte sich, dass reine Wollfassaden nur oberflächlich veralgen. Auch wird von Versuchen am IAK berichtet, die Rohwolle vor der Textilmotte zu schützen. Zwar entsprechen die Versuchsanordnungen eher einer künstlerischen Praxis – empirisch belastbar sind die Erkenntnisse nichtsdestotrotz. Darüber hinaus werden die bauphysikalischen Eigenschaften der Wolle am Institut für Bauklimatik und Energie der Architektur (ebenfalls TU Braunschweig) untersucht.
Anschaulich und in klarer Sprache helfen Folke Köbberling und ihre Mitautor*innen gewohntes Denken und Normen zu hinterfragen. Angesichts der vielen Möglichkeiten und Potenziale, die sie zusammengetragen haben, lässt sich die Verschwendung kaum noch ignorieren. Wir sollten uns der Künstlerin anschließen.
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