City-IKEA mit Hostel in Wien
Urbanes Hochregal
Autobahnabfahrten, Gewerbegebiete, endlose Parkplätze und ausgedehnte, belanglose Fertigteilhallen – das sind gewöhnlich die Bilder, die wir mit Baumärkten, mit Möbel- und Einrichtungshäusern und ihrem Umfeld verbinden. Der 1943 von dem schwedischen Unternehmer Ingvar Kamprad gegründete IKEA-Konzern versucht seit gut zehn Jahren einen anderen Weg, mitten hinein in die Stadt. Am Westbahnhof Wien hat das Unternehmen mit dem ortsansässigen Büro querkraft architekten ein innerstädtisches, autofreies Einrichtungshaus mit sieben bzw. acht oberirdischen Ebenen einschließlich Hostel und öffentlicher Dachterrasse errichtet.
Gallerie
Warenlogistik in der City
Schon 2014 war in Hamburg
Altona als Experiment der weltweit erste City-IKEA in einer
Fußgängerzone eröffnet worden, mit 18.000 Quadratmetern
Verkaufsfläche auf mehreren Ebenen und Fahrradkurier-Lieferkonzept.
Es folgten kleinere City-Stores in Taipeh, Coventry und Paris (mit
rund 5.000 Quadratmetern), so genannte Planungsstudios in Berlin
und Potsdam mit je 500 bis 1.000 Quadratmetern sowie kleine,
zunächst temporäre Pop-up-Stores in City-Malls in Wolfsburg und
Ravensburg. Mit der Werbung als „guter Nachbar“ möchte IKEA als
Teil eines urbanen Lifestyles wahrgenommen werden.
Während Befürworter in dem Ansatz einen Beitrag gegen Zersiedelung und für die Verkehrswende sehen, befürchteten Kritiker dadurch ein Anwachsen des innerstädtischen Individual- und Lieferverkehrs. Beim Wiener Gebäude, dem ein Baublock des späten 19. Jahrhunderts weichen musste, wurde aufgrund der guten ÖPNV-Anbindung auf Parkplätze und große Lagerflächen verzichtet. Kleine Produkte können per Fahrrad, Bus und Bahn mitgenommen, größere nach Hause bestellt werden. Die Warenverteilung im Gebäude erfolgt automatisiert. Durch eine Drehscheibe bleiben den Liefer-LKWs komplizierte Wendemanöver im dichten Stadtraum erspart.
Nutzungsvielfalt im Stahlskelett
In den unteren
Geschossen des Neubaus mit insgesamt rund 26.000 Quadratmetern
Nutzfläche befinden sich die Möbelhausverkaufsflächen sowie vier
weitere Geschäfte im Erdgeschoss: eine Apotheke, ein Hörgeräte-,
ein Friseur- und ein Bäckereigeschäft, die hier schon vorher
bestanden. Im Inneren verbindet ein Luftraum im Bereich der
Rolltreppen die einzelnen Ebenen. Die beiden oberen Geschosse
beherbergen das Hostel mit 345 Betten, welche sich auf
unterschiedlich große Zimmer verteilen. Die begrünte Dachterrasse
mit Snackbar ist öffentlich zugänglich. Das Restaurant ist im
vierten Obergeschoss, Lagerflächen sind unterirdisch
organisiert.
Die Konstruktion wurde als Skelettbau konzipiert, bestehend aus vorgefertigten Stahlbetonstützen im Raster von ca. 10 x 10 Metern, deckengleichen Verbundträgern und Metallprofil-Verbunddecken. Eine Herausforderung bei Planung und Bau war eine bestehende U-Bahn-Linie, die nur wenige Meter unter dem Gebäude hindurchführt.
Fassade: Außenliegendes Stahlgrid mit Begrünung und
PV-Anlage
Die Fassade bekommt eine räumliche Tiefe durch ein
fast 4,50 Meter tiefes, weißes Stahlgerüst, das, vor die
Funktionsflächen gelegt, nicht zufällig an ein Hochregallager
erinnert. Dieses Grid nimmt neben Haustechnik, Fluchttreppen und
Aufzügen auch die Fassadenbegrünung auf. Auf Stahlgitterrosten
stehen, meist locker in Dreiergruppen arrangiert, ein bis zwei
Meter hohe, weiße Pflanzkübel mit Bäumen und Sträuchern. Verteilt
auf die Fassadenebenen und die Dachterrasse sind es insgesamt 160
heimische und schwedische Laub- und Nadelbäume, die einen Beitrag
zum Mikroklima des Quartiers leisten: Per Computersimulationen
wurde ermittelt, dass die Dach- und Fassadenbegrünung an einem
heißen Tag die Temperatur der Nachbarschaft um 1,5 Grad Celsius
absenkt. Für dieses Konzept erhielt das Gebäude ein
Greenpass-Platinum- sowie ein Breeam-Zertifikat.
Die Pflanztöpfe wurden so angeordnet, dass die Bäume Raum haben,
über zwei Geschossebenen zu wachsen. Dazwischen sind einzelne
Segmente des „Fassadenregals“ als Raumerweiterungen ausgefüllt. Mit
geschlossenen Seitenwänden und breiter Glasfront dienen sie
entweder als Verkaufs- und Präsentationsflächen oder – in den
oberen beiden Geschossen – als Mehrbettzimmer des Hostels. Das
weiße Stahlgitter zieht sich auch über die Dachterrasse hinweg.
Hier sind Solarpaneele in verschiedene Segmente eingehängt, die
eine PV-Leistung von 88 Kilowatt-Peak haben und zudem für
Verschattung von mehr als 800 Quadratmetern Dachfläche
sorgen.
Bautafel
Architektur: querkraft architekten, Wien
Projektbeteiligte: Carmen Hottinger (Projektleiterin Architekturteam querkraft); Ingenieurbüro P. Jung, Köln (Bauphysik); Kräftner Landschaftsarchitektur, Wien / Green4Cities, Wien (Grünraum); Thomas Lorenz, Graz (Statik); Werkraum Ingenieure, Wien (Statik Wettbewerb); RHM, Aspang Markt (Haustechnik); Werner Consult, Wien (Kostenmanagement/Ausschreibung); TB Eipeldauer + Partner, Traiskirchen (Elektrotechnik); FSE Ruhrhofer & Schweitzer, Statzendorf (Brandschutz)
Bauherr/in: IKEA Einrichtungen, Vösendorf, Österreich
Fertigstellung: 2021
Standort: Europaplatz 1, 1150 Wien, Österreich
Bildnachweis: Christina Häusler, Wien / Hertha Hurnaus, Wien / querkraft architekten, Wien
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