Traglufthalle Kombibad Seestraße in Berlin
Stützluft als Dämmstoff
Eine weitläufige, von Büschen und Bäumen gesäumte Liegewiese und zwei Außenbecken bieten in Berlin-Wedding nicht nur im Sommer Badegästen Schwimmvergnügen. Auch in den Wintermonaten können im Kombibad Seestraße die beiden 50 Meter langen Sommerbecken genutzt werden: Eine Traglufthalle überwölbt sie während der kalten Jahreszeit und ersetzt damit gleich zwei sanierungsbedürftige Bäder im Nordwesten Berlins. AHM Architekten haben das besondere Projekt in nur neun Monaten Planungs- und Errichtungszeit umgesetzt. Seitdem bietet die luftgestützte Halle Schwimmvereinen und Schulklassen ein trotz dünner Haut ein wohltemperiertes Winterquartier.
Gallerie
Da im Rahmen der Sanierung einer Reihe von Schwimmbädern ein
Engpass für den Sport- und Schulbetrieb für circa drei Jahre
erwartet wurde, nahmen die Berliner Bäderbetriebe temporäre
Überdachungen der Freibäder in den Blick. In der von AHM
Architekten in Kooperation mit dem Leichtbaudachexperten Christoph
Palmen durchgeführte Machbarkeitsstudie sprachen viele Argumente
für den Einsatz von Traglufthallen: Die pneumatisch vorgespannten
Membrantragwerke ermöglichen mit einem Minimum an Material
stützenfreie Überdachungen mit großen Spannweiten und lassen sich
einfach montieren, weil sie ohne schwere Bauteile auskommen. Zudem
kann bei der Errichtung das Wasser in den Schwimmbecken
verbleiben.
Kombibad Seestraße
Das Kombibad Seestraße in
Berlin-Wedding bot sich als Standort an, weil das nahe
Paracelsus-Bad und das Stadtbad Tiergarten für mehrjährige
Sanierungsarbeiten geschlossen wurden. Nicht nur die geografische
Lage erwies sich als großer Vorteil, sondern auch die für eine
gleichzeitige Nutzung bemessenen Umkleide- und Sanitärflächen im
Innenbereich.
Der Badekomplex im Berliner Bezirk Wedding wurde 1980 gegenüber
einer Sporthalle aus den 1950er-Jahren eröffnet, unweit einer
großen Straßenkreuzung am Louise-Schroeder-Platz. Von dort kommend,
führt eine Rampe auf das gemeinsame Podest zwischen den beiden
Gebäuden. Über einige Stufen wird der noch etwas höher gelegene
Eingang an der Stirnseite des Hallenbades erreicht. Dem Foyer
folgend reihen sich die Umkleiden und Duschen in Längsrichtung des
Gebäudes auf. Hinter dieser Raumschicht liegt die Schwimmhalle, in
der ein 50-Meter-Becken und je ein Therapie-, Lehr- und
Sprungbecken angeordnet sind. Der sich an die rückwärtige
Längsfassade anschließende Außenbereich verfügt über zwei weitere,
unterschiedlich tiefe 50-Meter-Becken. Jeweils zum Ende der kalten
Jahreszeit wird die Konstruktion abgebaut, die beiden Becken
inmitten einer weitläufigen Liegewiese können dann für den
Sommerbetrieb genutzt werden.
Traglufthalle und Hallenbad: gut kombiniert
Die zwölf Meter hohe Traglufthalle spannt sich mit einer Grundfläche von 60 x 68 m über beide Außenbecken. Betreten wird sie über zwei Drehkreuzschleusen, die an die beiden Fluchttüren des Hallenbads andocken. Innerhalb der Überdachung wurden neben einem Schwimmmeistercontainer lediglich Alutraversen für Beleuchtung und Leitungsführung benötigt. An den vier Beckenecken und auf dem Mittelgang zwischen den Becken aufgestellt dienen die leichten Traversen gleichzeitig als Auffangtragwerk zur Sicherung der Fluchtwege, sollten bei einem Druckabfall die Membranen zu Boden sinken.
Die technische Versorgung ist über eine Nahwärmeleitung gewährleistet, die im Technikkeller des Hallenbades an die vorhandene Fernwärme angeschlossen wurde und teilweise oberirdisch, teilweise unterirdisch zu der Übergabestation im Technikcontainer führt. Parallel wurden Stromleitungen zu den Technikcontainern gelegt. Drei Stück von ihnen und acht Lagercontainer, die während des Sommerbetriebes am Standort verblieben, konnten westlich der Traglufthalle untergebracht werden.
Errichtung innerhalb weniger Tage
Produktion und Konfektion der Membranen erfolgen nach den speziellen Anforderungen des Einsatzortes, wobei sich einfache Hallengeometrien deutlich günstiger herstellen lassen. In Hinblick darauf und auf die nötige Übersichtlichkeit für Badebetrieb und Aufsicht wurde ein einzelnes großes Dach über beide Becken gespannt.
Das Stahlseilnetz erhöht die Stabilität gegenüber Wind und Schnee und hält die Halle zum Schutz vor Bäumen in Form und Position. Die permanente Zuglast des Seilnetzes beträgt bis zu 60 KN/m². Entsprechend müssen Fundamente die Zugkräfte der Halle am Boden rückverankern. Als Bodenanker dienen etwa vier Meter lange Zugstäbe aus Stahl, die im Abstand von jeweils zwei Metern zueinander umlaufend um die Halle in das Erdreich gepresst sind. Insgesamt 131 von ihnen sichern das Seilnetz, unter dem sich die Folien aufblähen. Die Ankerköpfe wurden unter dem Plattenbelag ca. 10 cm tief eingelassen. So können die Zugstäbe ohne Verletzungsgefahr in der Sommersaison im Boden verbleiben. Der Aufbau erfolgt durch das Ausbreiten der Membranen über den Schwimmbecken, darüber wird dann das Seilnetz gespannt und mit den Bodenankern verhakt. Per Knopfdruck richtet schließlich das Stützluftgebläses die Halle innerhalb von rund sieben Tagen auf.
Wärmebrückenlose Schichten
Da die Traglufthalle des
Kombibads lediglich aus einer aufblasbaren Membranhülle und einem
außenliegenden, stabilisierenden Stahlseilnetz besteht und darüber
hinaus keine weiteren Bauteile benötigt, besitzt sie einen großen
Vorteil gegenüber anderen provisorischen Konstruktionen: Die Zahl
möglicher Wärmebrücken ist auf ein Minimum reduziert. Die
weiche Hülle ist Dach und Wand zugleich und passt sich auch
unebenen Untergründen problemlos an. Der Bodenabschluss wird zum
Beispiel mit Sandsäcken hergestellt, die sich Unebenheiten oder
leichten Gefällen des Bodens oder auch einigen Stufen anpassen. Die
gewölbeartige Dachstruktur weist zudem deutlich weniger Oberfläche
auf als Decke und Wände eines Hallenbads, wodurch sich der
Wärmebedarf bei der Traglufthalle weiter reduziert.
Drei Schichten liegen bei der aufblasbaren Hülle übereinander: Auf die untere Folie aus PVC, die in der Halleinnenseite zu sehen ist, wurde eine Isolierfolie gelegt. Diese ähnelt Luftpolstertaschen, die für Versandumschläge verwendet werden. Darüber bildet die dritte, klarsichtige Schutzfolie die Außenhaut des Tragluftdachs. Sie ist widerstandsfähig gegen Witterung und Reibung durch das Drahtseil. Teilflächen der Membran wurden aus einer vorhergehenden Halle wiederverwendet. Das über der Hülle liegende Netz aus verzinkten Stahlseilen mit 12 mm Durchmesser wird von Verbindungselementen aus Edelstahl zusammengehalten.
Die dreischichtige Membran weist einen U-Wert von 1,9
W/m²K auf. Auch die Wärme durch Sonneneinstrahlung wirkt sich
deutlich auf die Wärme- und Energiebilanz der Traglufthalle aus.
Das speziell rautenförmige Stahlseilnetz entlastet die Membranen,
sodass sie dünner ausgeführt werden können und damit
lichtdurchlässiger sind. Auf diese Weise kann viel Tageslicht in
die Halle gelangen und so zur Erwärmung und Belichtung
beitragen.
Dämmung: Hybride Rolle der Stützluftanlage
Um die
Hülle stabil zu halten und gegen Wind- und Schneelasten zu
ertüchtigen, ist dauerhafter Überdruck in der Halle ist zwingend
notwendig. Diese sogenannte Stützluft wird mithilfe des Gebläses
mit vier leisen Elektromotoren (Lüftungsgerät mit Wärmetauscher)
die Hülle eingebracht. Jedoch sorgt die Stützluft nicht nur für das
notwendige Tragwerk, sondern andererseits für die
Raumluftkonditionierung. Damit die feuchte Schwimmbadluft nicht
kondensiert und als Nieselregen auf die Badegäste tröpfelt, muss
der rund 30.500 m³ große Innenraum beheizt und belüftet werden.
Erstaunlich gering ist der dazu benötigte Energieaufwand: Weniger
als vier Kilowatt sind im Betrieb notwendig, das entspricht der
Kraft eines Mopeds. Zusätzlich kann feuchtwarme Luft über
Lüftungsklappen im Foliendach entweichen. -ml
Bautafel
Architektur: AHM Architekten, Berlin (Architektur und Generalplanung)
Projektbeteiligte: Christoph Palmen, Stade (Experte für Leichtbaudächer); Heimann Ingenieure, Berlin (Gebäudetechnik, Infrastrukturmaßnahmen in den Außenanlagen); Dorn & Partner, Altenburg (Brandschutzgutachten); Architekturbüro Dr. Spindler, Erfurt (Brandschutzprüfung); Paranet Deutschland, Berlin (Ausführende Firma und Bautechnische Unterlagen gem. DIN 4134); Schwenk & Dietrich, Berlin (Ausführende Firma Technische Anlagen im Außenbereich)
Bauherr/in: Berliner Bäder-Betriebe
Fertigstellung: 2019
Standort: Seestraße 80, 13347 Berlin
Bildnachweis: AHM Architekten, Berlin; Maximilian Ludwig, Berlin
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