Impulsprojekt Stuttgart
Forschung zu blau-grünen Infrastrukturen für die Stadt
Während der Ruf nach intensiver Stadtbegrünung von vielen Seiten immer lauter wird, stehen Forschende und Planer*innen vor der Frage, wie dieses Stadtgrün nachhaltig bewässert werden kann. Nachlässiges Wassermanagement und die Klimakrise führen schon heute zu Wassermangel in den Städten. Weitläufig versiegelte Flächen verhindern zudem die Versickerung von Oberflächenwasser. Kurz gesagt: Die natürlichen Wasserkreisläufe sind in den meisten Städten gestört. Das Forschungsprojekt Integrierte Strategien zur Stärkung urbaner blau-grüner Infrastrukturen (INTERESS-I), für das sich mehrere Universitäten zusammengeschlossen haben und das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird, setzt sich unter anderem mit der Herausforderung der Wasserversorgung von städtischen Grünanlagen auseinander. Seit 2018 hat INTERESS-I zwei Pilotprojekte in Stuttgart und Frankfurt am Main ins Leben gerufen, die blau-grüne Infrastrukturen testen.
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Ohne Blau kein Grün
Als grüne Infrastrukturen werden im städtischen Kontext sämtliche natürliche oder naturnahe Anlagen bezeichnet. Darunter fallen neben Parks und Alleen, auch bepflanzte Innenhöfe oder jegliche Formen von Gebäudebegrünung. Grüne Infrastrukturen tragen dabei nicht nur zur Artenvielfalt und zu einer Verbesserung des Mikroklimas bei, sondern fördern nachweislich auch die Gesundheit und Stressreduktion der Stadtbevölkerung. Der Begriff blaue Infrastruktur umfasst sämtliche natürliche und künstliche Gewässer sowie Wasserkreisläufe. Die Definition inkludiert somit auch das urbane Wassermanagement, also den Umgang mit Regen-, Oberflächen- und Abwasser. Ein zukunftsfähiges und klimagerechtes System ist auf eine ausgeglichene blau-grüne Infrastruktur angewiesen, die naturbasierte Lösungen bietet, wie etwa ausreichende Retentionsflächen.
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Grau- und Regenwasser fürs Fassadengrün
Mit dem Impulsprojekt Stuttgart sollen konkrete Umsetzungsmöglichkeiten nachhaltiger blau-grüner Infrastrukturen für das neue Stadtquartier Rosenstein getestet werden. Das Viertel entsteht im Zuge des neuen Hauptbahnhofs Stuttgart 21 und soll ein klimagerechtes, zukunftsfähiges Stadtquartier werden. Ein entsprechendes Testfeld boten die temporären Unterkünfte von Mitarbeitenden des neuen Hauptbahnhofes. Aufgrund ihrer Modularität war der Eingriff in die Bausubstanz der Wohncontainer gering. Für das Impulsprojekt wurde mithilfe eines Gerüstsystems, das nach Projektende demontiert werden kann, eine begrünte Fassade installiert, die von Regen- und Grauwasser versorgt wird. Hierfür wird das täglich anfallende Grauwasser aus den Duschen und Handwaschbecken durch einen bepflanzten Bodenfilter gereinigt und abschließend durch einen UV-Tauchstrahler desinfiziert. Das unregelmäßig anfallende Regenwasser der Dachfläche wird in einer Zisterne gesammelt und benötigt keine weitere Aufbereitung. Die beiden Wasserressourcen werden miteinander vermischt, sodass Wasserqualität und -quantität konstant bleiben.
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Was wächst
Im Erdgeschoss steht eine 40 cm tiefe, freistehende
Vertikalbegrünung aus Efeu, Lavendel, Storchschnabel und Bartblume.
Im ersten Obergeschoß ist ein Ranksystem installiert, das mit Efeu
und Clematis bewachsen ist. Die Pflanzen wurzeln in Kübeln, die auf
dem Gerüstboden befestigt sind. Im zweiten Obergeschoß gibt es eine
Living Wall aus acht Pflanzenarten (Fingerkraut,
Amethist-Schwingel, Storchschnabel, Drahtnelke, Heidenelke,
Frauenmantel, Schleifenblume und Efeu), die in einer sehr dünnen
Substratschicht wurzeln.
Das Bodenfiltersystem besteht aus zwei Kompartimenten, die sich
durch ihre Filterschicht unterscheiden: Das erste besteht aus 75 cm
Rheinsand (0-2 mm) und das zweite aus 75 cm Lavasand (0-4 mm). Als
Drainageschicht wurden jeweils 25 cm Kies (2-8 mm) verwendet. Beide
Kompartimente sind mit Schilf bepflanzt.
Mit dem Regenwasser steht eine unbelastete alternative
Wasserressource zur Verfügung, die sehr gut geeignet ist, stärker
belaste alternative Wasserressourcen soweit zu verdünnen, dass sie
für die Bewässerung eingesetzt werden können. Im Rahmen des
Projekts wird unter anderem das Verhältnis von Nutz- und
Retentionsvolumen zu den angeschlossenen Dachflächen untersucht
sowie das Trinkwassereinsparungspotential und die
Gewässerentlastung.
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Nicht ohne Teamwork
In dicht bebauten Städten bieten blau-grüne Infrastrukturen bisher häufig nur Lösungsansätze für Teilbereiche und stehen somit noch vor zahlreichen Herausforderungen. Technische und naturbasierte Ansätze müssen daher in ressourcenschonenden Systemen zusammengedacht werden. Eine Installation blau-grüner Infrastrukturen erfordert daher immer einen interdisziplinären Ansatz. Durch die vielschichtigen Planungsbereiche braucht es fachübergreifende Netzwerke und das Mitwirken von Verwaltung und kommunaler Politik. Dabei bieten die Phasen nach der baulichen Umsetzung besondere Herausforderungen. So ist eine kontinuierliche Wartung essenziell für den dauerhaften Erfolg der Anlagen. Um Verantwortlichkeiten und ein langfristiges Engagement zu sichern, kann hierfür die Bevölkerung in partizipativen Prozessen miteinbezogen werden.
Bautafel
Architektur: Daniel Schönle Architektur und Stadtplanung, Stuttgart
Kooperationspartner: Stadtacker Wagenhallen, Stuttgart; Kunstverein Wagenhalle, Stuttgart; ARGE Tunnel Cannstatt S21, Stuttgart
Projektbeteiligte: Professur für Green Technologies in Landscape Architecture, TU München (Konzeption und Koordination); CARU Containers, Sindelfingen (Forschungscontainer), Büro Dr. Bruch, TU Kaiserslautern (Bodenfilter und Grauwasseraufbereitung); ISWA, Universität Stuttgart (Speichermodellierung und Regenwasserkonzept); HELIX Pflanzen, Kornwestheim (Fassadenbegrünung); Dennis Balasus, Frankfurt (Bewässerungssteuerung)
Fertigstellung: 2018
Standort: Innerer Nordbahnhof 1, 70191 Stuttgart
Bildnachweis: Julian Rettig; Ferdinand Ludwig
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