Nebelkollektoren auf dem Antiatlas in Marokko

Schwebende Quellen

Über Tälern, frostigen Böden und Gewässern erzeugen Nebelfelder nicht nur geheimnisvolle Landschaften, sie sind auch wertvolle Wasserspeicher. Nebel entsteht, wenn Wasserdampf aufgrund abkühlender Luft oder zunehmender Feuchtigkeit kondensiert und besteht aus unzähligen winzigen Wassertropfen, die in der Luft schweben. In trockenen Regionen mit erhöhter Nebelbildung, wie zum Beispiel in südlichen Gebirgs- oder Küstenregionen, ist Nebel ein wichtiger Trinkwasserspeicher, der mithilfe von Kollektoren angezapft und für Menschen nutzbar gemacht werden kann. Der Industriedesigner Peter Trautwein hat in langjähriger Forschungsarbeit robuste Kollektoren entwickelt, die Trinkwasser aus Nebel gewinnen. Im Südwesten Marokkos steht die derzeit größte Anlage mit 31 Kollektoren, die an Nebeltagen rund 40 Kubikmeter Wasser generiert und damit 16 Dörfer versorgen kann.

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Den Nebel durchkämmen

Das Funktionsprinzip der Kollektoren klingt einfach: Der Nebel wird durchkämmt, indem er ein feingliedriges Netz durchströmt, das die Wassertropfen auffängt. Nach einer gewissen Zeit sind die akkumulierten Tropfen so schwer, dass sie in eine Rinne fallen. Von dort fließt das Wasser in Zisternen und wird über ein Leitungssystem an nahe gelegene Haushalte verteilt. Um möglichst viele Wassertropfen abzufangen, sollte der Wind den Nebel frontal durch die Netze treiben. Dabei gilt: Je größer die Oberfläche des Kollektors, desto größer ist der Wasserertrag. Allerdings steigt mit zunehmender Fläche auch die Windlast. Trautwein entwickelte daher ein dreidimensionales Gewebe, das die Oberfläche erhöht, an der sich die Nebeltropfen absetzen können, ohne dabei die Windangriffsfläche zu vergrößern.

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3D-Gewebe

Trautwein besuchte verschiedene Nebelkollektoranlagen und analysierte deren Konstruktion, um Optimierungsparameter zu ermitteln. So verwendet die kanadische NGO FogQuest für ihre Nebelfänger sogenannte Raschelnetze, die in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Das Material ist zwar kostengünstig, das feingliedrige Gewebe hält den auf eine größere Kollektorfläche einwirkenden Windkräften jedoch nicht dauerhaft stand. Also begann Trautwein mit dem Material, der Dichte und der Dreidimensionalität des Netzes zu experimentieren. Die Nebeltropfen sollten einerseits haften bleiben, andererseits aber auch schnell abfließen, damit sich neue Tropfen bilden können.

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Das in einer langen Testphase entwickelte Gewebe ist mit einer 3D-Wirkmaschine gewebt und hat zur Vergrößerung der Oberfläche eine Dicke von 15 Millimetern. Es besteht aus einer monofilen Polyesterfaser, die lebensmittelecht und UV-beständig ist. So kann das mit den Kollektoren gewonnene Wasser als Trinkwasser und zur Bewässerung in der Landwirtschaft genutzt werden.

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Stützgitter und Stahlgerüst

Da die Kollektoren dem Wind und damit hohen Kräften ausgesetzt sind, entwarf Trautwein ein Stützgitter, das die auf das Gewebe einwirkende Windlast aufnimmt und in die Stahlkonstruktion ableitet. Das Stützgitter ist mit Expandern auf die im Boden verankerte Gerüstkonstruktion gespannt, was die Montage vor Ort vereinfacht. Die Effektivität des Gewebes und die Robustheit der Konstruktion gewährleisten laut Trautwein einen nahezu wartungsfreien Betrieb.

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Pilotprojekt im Antiatlas

Den Labortests in der Münchner Klimakammer folgte eine Testphase im Südwesten Marokkos: Die Region Aït Baamrane östlich der Hafenstadt Sidi Ifni zählt zu den trockensten Gebieten des Landes. Wasser ist hier ein rares Gut, doch die Nebelfelder rund um den Gebirgszug des Antiatlas waren eine vielversprechende Quelle. Bereits 2006 untersuchte ein Team von Forschenden der Universität La Laguna (Kanarische Inseln) in Zusammenarbeit mit der Stiftung Dar Si Hmad (Marokko) den Standort auf die Möglichkeiten der Trinkwassergewinnung aus Nebel und befand ihn für geeignet.

Im November 2013 installierte Trautwein in Zusammenarbeit mit der Wasserstiftung eine Pilotanlage auf dem Berg Boutmezguida, um die Bauweise und das Gewebe der Kollektornetze auf ihre Effizienz vor Ort zu untersuchen. Forschende des Lehrstuhls für Ökoklimatologie der TU München begleiteten die Testphase und überwachten die tägliche Leistung des Kollektors. 2016 war die Testphase abgeschlossen, ein Jahr später wurde die Anlage errichtet.

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Fließendes Wasser und Chancengleichheit

Insgesamt 31 Nebelkollektoren produzieren nun sauberes Trinkwasser und versorgen bis zu 1.000 Menschen in den umliegenden Dörfern. Im Jahr 2022 betrug der Ertrag der Anlage an Nebeltagen rund 23 Liter Wasser pro Quadratmeter Netzfläche. An 65 Nebeltagen konnten 2.468 Kubikmeter Wasser gesammelt, in Zisternen gespeichert und an die Haushalte verteilt werden. Das fließende Wasser hat den Alltag in den Dörfern grundlegend verändert: Vor der Installation der Nebelkollektoren brachten Lastwagen das Trinkwasser. Das war nicht nur sehr aufwendig und wenig nachhaltig, sondern für viele Menschen auch zu teuer. Zwar kostet die Trinkwasserversorgung auch heute noch Geld, im nationalen Vergleich aber ist der Beitrag unterdurchschnittlich.

Die Installation von fließendem Wasser in den Wohnhäusern hat das Leben in den Dörfern drastisch verbessert. Früher war das Wasserholen eine Aufgabe der Frauen und Mädchen, die dafür zum Teil weite Wege zurücklegen mussten. Den größten Nutzen der Nebelkollektoren sieht Trautwein daher in der Herstellung von Chancengleichheit: Die gewonnene Zeit können die Mädchen nun in ihre Bildung investieren.

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Potenziale

Inzwischen sammeln die Nebelkollektoren von Trautweins Firma aqualonis nicht nur in Marokko, sondern auch in Tansania, Kenia und Bolivien Wasser. Doch nicht jeder neblige Standort eignet sich für die Trinkwassergewinnung: Neben Luftströmungen und vorhandenem Bedarf spielt auch die Lage zur Industrie eine wichtige Rolle. Durchströmen die Nebelfelder zuvor Produktionsanlagen, welche die Luft verschmutzen, ist das Wasser als Trinkwasser ungeeignet. Es könnte aber bei Aufforstungsprojekten zum Einsatz kommen. Aqualonis verkauft die Nebelkollektoren nicht an Privatpersonen. Vielmehr sind die aqualonis FogCollectors für die Nutzung durch NGOs, öffentliche Einrichtungen und Unternehmen bestimmt. -hs

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Bautafel

Gestaltung und Umsetzung: Peter Trautwein / aqualonis, München
Projektbeteiligte: Dar Si Hmad, Sidi Ifni (Umsetzung); Victoria Marzol, Universidad of La Laguna (Gewebeforschung), TU München (Messtechnische Begleitung der Testphase)
Finanzierung: WasserStiftung, München; Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Bonn; Münchener Rück Stiftung, München
Standort: Boutmezguida, Aït Baâmrane, Antiatlas, Marokko
Fertigstellung: 2018
Bildnachweis: aqualonis

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