Geschichte des Gerüstbaus
Schon immer bediente sich der Mensch der verschiedensten Hilfsmittel bei der Errichtung oder Gestaltung von Behausungen und Bauwerken. Neben Werkzeugen entwickelte er Gerüstkonstruktionen, mittels derer er an schwer erreichbare Stellen gelangte. Spuren von Gerüsten und Seilen fanden sich beispielsweise in der Höhle von Lascaux in der französischen Dordogne. Nur mit ihnen ließen sich die Malereien an den Felswänden und -decken anbringen, die zwischen 17.000 und 15.000 v. Chr. entstanden sein sollen. Nicht ganz so alt sind die bildlichen Darstellungen unterschiedlicher Gerüstarten, die man auf ägyptischen Reliefs und Grabgemälden fand. Sie werden auf etwa 1.450 v. Chr. datiert und zeigen Gerüste aus Holzstützen und Brettern, die mit einfachen Knotenverbindungen aus dünnen Weidenästen, Seilen aus Papyrus oder Sisal verbunden sind. Da Holz in Ägypten sehr knapp war, beschränkte sich sein Einsatz auf Verwendungen, die als absolut notwendig erachtet wurden, etwa zum Einrüsten von Statuen oder für Tempelbauten.
Gallerie
In Mesopotamien dürfte die Entwicklung der Gerüstbautechnik ähnlich verlaufen sein wie in Ägypten. Abbildungen auf Stelen aus der Zeit zwischen 750 bis 600 v. Chr. zeigen unter anderem imposante Befestigungsanlagen und große Steinfiguren, die auf eine relativ ausgereifte Holzverarbeitung und Gerüstbautechnik schließen lassen. Derer bediente man sich auch im antiken Griechenland, wie archäologische Funde bestätigen. Dort wurde Holz als wichtigstes Gerüstbaumaterial und für die Tragkonstruktion von Hebemaschinen auf Baustellen eingesetzt. Verbessert und weiterentwickelt wurde die Gerüstbautechnik im Römischen Reich, wo ohne sie und den neu erfundenen Opus Caementicium die großen Ingenieurbauwerke des Imperiums nicht möglich gewesen wären.
Im Mittelalter förderte vor allem der Bau gewaltiger Kathedralen die Entwicklung von Lastkränen und Gerüsten. Neben Stangengerüsten, bei denen senkrechte Holzstützen durch Seilverbindungen mit Querhölzern verschnürt waren, kamen erstmals Auslegergerüste zum Einsatz. Diese bestanden aus Kanthölzern, die durch Bügel von unten gegen die Wand abgestützt und während des Baufortschritts eingemauert wurden. In der Renaissance wurden die Bauwerke komplexer und mit ihnen die Konstruktionen, mit deren Hilfe man sie errichtete. Zu nennen ist hier vor allem Leonardo da Vinci, der nicht nur Maler, Bildhauer, Architekt und Naturphilosoph war, sondern auch als Ingenieur ein Pionier und seiner Zeit weit voraus. Neben Maschinen aller Art entwarf er zahlreiche Gerüste für die verschiedensten Einsatzzwecke. Aus der gleichen Epoche stammt der italienische Architekt Domenico Fontana. Die von ihm 1585 konzipierte Gerüstkonstruktion für den Transport und die Aufrichtung eines Obelisken auf dem Petersplatz in Rom gilt als besonders bemerkenswert.
19. und 20. Jahrhundert
Die Industrialisierung brachte Anfang des 19. Jahrhunderts die
ersten Fachwerkkonstruktionen aus Eisen und Stahl hervor. Es
entstanden Leitergerüste und zerlegbare Stahlrohrkonstruktionen,
mit denen sich die immer höheren Bauwerke in den USA errichten
ließen. Zu Beginn der 1930er-Jahre wurden in Europa erstmals
Stahlrohrkupplungsgerüste
eingesetzt, die sich aufgrund des einheitlichen Rohrdurchmessers
und der vergleichsweise einfachen Verbindungstechnik schnell
durchsetzen konnten und sich bis heute erhalten haben.
Einen weiteren Entwicklungssprung erlebte der Gerüstbau im Jahr
1952, als in Deutschland das erste Systemgerüst auf den Markt kam.
Im Zuge der Einführung von Systemgerüsten traten erste nationale
allgemeine Regelungen bzw. Normen, z. B. DIN 4420:1952-01 –
Gerüstordnung (Gerüstketten/Stangengerüste), in Kraft. Es folgten
weitere nationale Regelwerke für verschiedene Bereiche wie:
- DIN 4422:1977-03: Gerüstbau – Fahrgerüste (1977)
- DIN 4420:1980-03: Arbeits- und Schutzgerüste (1980)
- DIN 4421:1982-08: Gerüstbau – Traggerüste (1982)
- DIN 4424:1987-06: Gerüstbau – Baustützen aus Stahl
(1987)
Parallel dazu wurden vom Deutschen Institut für Bautechnik (DIBt) Zulassungsrichtlinien für Gerüstsysteme festgelegt (z. B. DIBt- Heft 5:1987-02: Merkheft Versuche – Versuche an Gerüstsystemen und Gerüstbauteilen). Mit den Zulassungsrichtlinien als Grundlage wurde ein bis heute gültiges Zulassungsverfahren für Gerüstsysteme bzw. den Gerüstbau in Deutschland eingeführt. Aufgrund der oben genannten Rahmenbedingungen war es nun möglich, die Systembauteile nach dem Baukastenprinzip zu verbinden. Die Gerüstkonstruktionen wurden dadurch standsicherer, stabiler und schneller im Auf- und Abbau und somit wirtschaftlicher. Im Zuge von neuen Sicherheitskonzepten wurden ab 1990 die bestehenden Gerüstnormen komplett überarbeitet (z. B. DIN 4420:1980-03: Arbeits- und Schutzgerüste (1980) -> DIN 4420-1:1990-12 – Teil 1: Arbeits- und Schutzgerüste (zuzüglich Teile 2, 3 und 4). Auch die nationalen Richtlinien für Gerüstsysteme vom DIBt wurden in diesem Zuge aktualisiert.
Der Gerüstbau wurde 1998 zum Lehrberuf und ist seitdem ein
Vollhandwerk.
21. Jahrhundert
Nachhaltige Änderungen im Gerüstbau ergaben sich mit der
Einführung der Betriebssicherheitsverordnung im Jahr 2002. Diese
regelt verbindlich die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei
Verwendung und Bereitstellung von Arbeitsmitteln. Die Auswirkungen
auf den Gerüstbau sind unter anderem die Entwicklung leichterer
Gerüstbauteile bzw. zusätzlicher Sicherheitskomponenten,
konstruktive Veränderungen der Rahmenbauteile sowie geänderte
Montageabfolgen. Ab 2003 wurden die deutschen Normen für den
Gerüstbau durch europäische Normen abgelöst. Grundlage für das
europäische Regelwerk bildeten größten Teils die Inhalte aus den
deutschen Normen. (z. B. DIN
4420-1:1990-12 > EN 12810-1 bis 2:2003 – Fassadengerüste
aus vorgefertigten Bauteilen – Teil 1 und Teil 2 sowie EN
12811-1 bis 4:2003 – Temporäre Konstruktionen für Bauwerke – Teil 1
bis Teil 4). Nach Umstellung auf europäische Normen gab es jedoch
Bereiche, die nicht abgedeckt bzw. geregelt waren. Hierzu wurden
ergänzende deutsche Normen verabschiedet (z. B. nationale Normen
für Arbeits-und Schutzgerüste DIN 4420-1: 2004-03), gefolgt von
einer Aktualisierung der nationalen Richtlinien vom DIBt.
In jüngster Vergangenheit fokussieren sich die Hersteller von
Systemgerüsten neben der weiteren Verbesserung der
Arbeitssicherheit auf eine höhere Wirtschaftlichkeit beim Umgang
mit Gerüsten. Unter anderem ermöglichen neue Produktionsverfahren
bzw. der Einsatz neuer Werkstoffe weitere Gewichtsoptimierung sowie
eine höhere Lebensdauer einzelner Gerüstkomponenten. Darüber hinaus
sorgen innovative Verbindungstechniken für schnellere, sichere und
effizientere Montageabläufe.