Löwenbräu-Areal in Zürich
Profilierte Fassadenkeramik prägt historisches Ensemble neu
Vielerorts werden ehemalige Industriegelände zu Kultur- oder Wohnstätten umgenutzt. Bei der Bevölkerung kommen diese Orte, denen auch Jahrzehnte nach ihrer Stilllegung noch ein rauer, proletarischer Charme anhaftet, meist gut an. Doch nicht selten mangelt es an überzeugenden Nachnutzungskonzepten, willigen Investoren oder solventen Mietern. Ein außergewöhnliches Beispiel für die gelungene Umnutzung stellt das Löwenbräu-Areal in Zürich dar. Außergewöhnlich weil hier nach Entwürfen des Zürcher Architekturbüros Gigon/Guyer und dem Atelier WW, die sich zur Arge Löwenbräu zusammenschlossen, auf 32.000 Quadratmetern eine Mischnutzung realisiert werden konnte, die andernorts von den zuständigen Bauämtern nicht genehmigt wird.
Gallerie
Bereits seit Ende der 1980er Jahre standen die ehemaligen Brauereigebäude leer. Mitte der 90er siedelte sich ein Verbund aus öffentlichen und privaten Kunstinstitutionen sowie kommerziellen Galerien auf dem Areal an. Ab 2010 wurde das Gelände mit seinen zwischenzeitlich unter Denkmalschutz gestellten Gebäuden umfassend saniert, ergänzt und umgebaut. Für die Um- und Neuplanungen war der Erhalt der historischen Bausubstanz und der angemessene Umgang mit ihr ein wichtiger Faktor, um die Identität und Geschichte des ehemaligen Industriestandortes zu bewahren.
Der lang gestreckte Altbau an der Limmatstraße erhielt zwei neue Kopfbauten als städtebauliche Fassung: Das aus zwei Teilen bestehendes Bürogebäude im Südosten Richtung Stadtzentrum sowie den gewinkelten Baukörper des Löwenbräukunst im Nordwesten, der teils auf, teils an den Bestand gesetzt wurde. Prägend für die Silhouette des Areals ist jedoch der neue zwanziggeschossige Wohnturm, der sich im Zentrum der Anlage weit über die anderen Bauten erhebt. Er basiert auf einem siebengeschossigen Gebäude, das als winkelförmiger Baukörper im Hof platziert ist. Über einem Teil des Gebäudes türmt er sich ab dem neunten Stockwerk auf, kragt nach Südwesten hin aus und verleiht dem Bau damit skulpturalen Charakter. Der dafür notwendige, konstruktive Aufwand lässt sich an den massiven Wandscheiben über dem Dachgeschoss ablesen, an denen der Gebäudeteil abgehängt ist. Die rasterartige Fassadengestaltung und die Hülle aus schwarz glänzenden Keramikplatten verleihen dem Bau eine kraftvolle Anmutung. Im Erdgeschoss des Wohnhochhauses befinden sich kleine Gewerbeeinheiten sowie eine Passage, die den geschlossenen, ehemaligen Brauereihof mit dem offenen Hof der Kunstinstitutionen im Norden verbindet. Insgesamt beherbergt der Bau 37 Wohnungen zwischen 98 und 320 Quadratmetern. (Weitere 21 Wohnungen sind im Hofgebäude untergebracht). Von den oberen Etagen genießen die Bewohner einen unverstellten Blick auf die Stadt, den Zürichsee, das Limmattal und (bei gutem Wetter) die Alpen. Damit die Aussicht möglichst ungetrübt bleibt, wurden besonders großzügige Verglasungen und über 80 eigens für das Objekt entwickelte Fenster eingebaut. Jeweils zwei davon. Jeweils zwei davon befinden sich in den großen Wohnungen, sind 2,60 x 2,10 Meter groß, 450 Kilogramm schwer und als motorisch betriebene Kipp-Hub-Fenster mit integriertem Sonnenschutz ausgebildet. An Führungsschienen in der Decke lassen sie sich vollständig unter selbige fahren und verwandeln so den Innen- in einen Außenraum. Daneben kommen Festverglasungen mit vertikalen Alu-Lüftungsflügeln zum Einsatz.
Der höhere Teil des Büroneubaus Ost kragt ab dem dritten Geschoss in Richtung östlich gelegenem Dammweg aus und markiert damit den darunter gelegenen Eingang. Hofseitig befinden sich weitere Zugänge zu Gewerberäumen. Der niedrigere Gebäudeteil fasst den Innenhof im Osten. Ebenso wie beim Wohnturm kennzeichnen eine strenge Fassadenrasterung und ein glänzendes – allerdings rotes – Keramikkleid das Äußere des Baus, das sich farblich an den Bestandsgebäuden orientiert.
Während sich Wohnturm und Bürogebäude deutlich vom Bestand
absetzen, ist der dritte Neubau im Westteil, funktional und
volumetrisch mit diesem verzahnt. Er ergänzt das Bestandsgebäude um
ein Stockwerk mit fünf Metern Raumhöhe, fasst zudem mit fünf
Geschossen die Nordwestseite entlang der Gerstenstraße und bildet
somit einen offenen Hof aus, in dem sich die Eingänge sowie
Parkplätze befinden. Die glatten Fassaden aus weißem Sichtbeton und
die wenigen, unregelmäßig verteilten Kastenfenster heben ihn
allerdings optisch nicht nur deutlich von dem historischen
Ziegelbau, sondern auch von den anderen Neubauten mit ihren
Keramikfassaden ab. Im Neubau West befinden sich Ausstellungsräume
sowie Büros und das Boarding House einer Kunststiftung; in der
Aufstockung Kunst zur Limmatstraße hin, ein Ausstellungssaal der
Kunsthalle Zürich; in den historischen Räumen die Kunsthalle
Zürich, Migros Museum fG, Galerien und Kunstbuchverlage sowie eine
Kunstbuchhandlung. Flexible Grundrisse erfüllen die besonderen
Anforderungen, die die Präsentation von Kunst an den Raum
stellt.
Fliesen
Der Büroneubau und der Wohnturm sind nicht nur aufgrund ihrer Höhe,
sondern insbesondere auch aufgrund ihrer markanten Gebäudehülle das
neue Signet des Löwenbräu-Areals. Die glänzende, unterschiedlich
profilierte Keramik, die auf der gesamten Fassadenfläche
beider Häuser zur Anwendung kommt, kann hinsichtlich der
Materialwahl als Reminiszenz an das Sichtmauerwerk des Bestands
verstanden werden.
Als solche kann auch das Rot der Fassadenelemente am südlichen Kopfbau gelesen werden. Die intensive Farbsättigung und der Glanz des Materials verankern die Bekleidung allerdings in der Gegenwart. Die Profilierung mit regelmäßigen, breiten und flachen Hohlkehlen erzeugt eine prägnante vertikale Fassadenstruktur. Die schwarzen Keramikelemente des Wohnturms weisen hingegen ein feines, enges Riffelprofil auf, das je nach Lichteinfall silbrig schimmert oder stark glänzt.
Die Keramikplatten wurden nach dem Brennvorgang inklusive der
Schnittkanten glasiert. Diese sind zum Teil sichtbar, zum Beispiel
an den waagerechten Stoßkanten der Auskragungen aber auch an den
unverfüllten Fugen (siehe Abb. 8). Für die Gebäudeecken
entwickelte der Hersteller gesonderte, um neunzig Grad gewinkelte
Eckelemente, sodass es keine vertikalen Stoßfugen gibt und die
Profilierung ohne Rhythmusänderung fortgeführt wird. Die
Unterkonstruktion der vorgehängten, hinterlüfteten Fassade besteht
aus Aluminium und wurde an der 30 cm starken Stahlbetonwand
verdübelt bzw. im Bereich der Fenster mit selbigen verschraubt. Die
18 cm dicke Wärmedämmung ist aus Mineralwolle.
Bautafel
Architekten: Arge Löwenbräuareal – Annette Gigon / Mike Guyer Architekten, Zürich und Atelier WW, Zürich
Projektbeteiligte: Steiner Total- und Generalunternehmer, Zürich; Arge Dr. Lüchinger + Meyer Bauingenieure, Zürich / Henauer Gugler, Zürich (Statik); Braune Roth, Binz (Bauphysik); Josef Gartner, Gundelfingen (Fassadenbauer); gkp Fassadentechnik, Aadorf (Fassadenplaner); NBK Keramik, Emmerich / Gasser Fassadentechnik, Gallen (Fassadenkeramik); Schollglas, Barsinghausen (Glashersteller); Schneider Engineering + Partner, Zürich (Elektrotechnik Planung/Submission); Mosimann & Partner, Zürich / Schmidiger + Rosasco, Zürich (Elektrotechnik Ausführung); Schweingruber Zulauf, Zürich (Landschaftsarchitektur)
Bauherr: PSP Properties
Fertigstellung: Löwenbräukunst 2012; Bürogebäude 2013; Wohnhochhaus 2014
Standort: Limmatstraße 268, 8005 Zürich
Bildnachweis: Thies Wachter, Zürich-Berlin; Andreas Lechtape, Münster / Gasser Fassadentechnik, Gallen