Wie lässt sich der verschwenderische Umgang mit Baumaterial
stoppen? Ein Unternehmen aus dem thüringischen Suhl schlägt den
breiten Einsatz von Geopolymerbeton-Blöcken vor. Das Team von
Polycare mit Hauptsitz im Ortsteil Gehlberg erschließt einerseits
Sekundärrohstoffe als Materialquellen und entwickelt andererseits
ein kreislauffähiges Bausystem.
Gallerie
Seit rund zehn Jahren ist Polycare aktiv, bisher vor allem im
südlichen Afrika. In Namibia etwa hat das Unternehmen 2018 seine
erste Produktionslinie aufgebaut und gemeinsam mit lokalen Akteuren
bereits einige Gebäude aus Polymerbeton errichtet, darunter Wohnhäuser und
eine Kirche. Auch in Europa stehen die ersten Polyblock-Bauten,
darunter das Gartenhaus des Domaine de Boisbuchet in
Frankreich, ein Arbeitsraum auf dem Firmencampus in Gehlberg und
ein temporäres Gemeindezentrum in der Grafschaft Ahrtal.
Künftig möchte sich das Unternehmen auf Geopolymerbeton als
rohölfreie Alternative konzentrieren. Ziel ist, in Europa die
eigene Produktion von Geopolymerblöcken aufzubauen und gemeinsam
mit Baupartnern Bauprojekte zu realisieren, vor allem für
öffentliche Infrastrukturen wie zum Beispiel Schulen,
Gemeindezentren und Kliniken. Trotz des veränderten Baustoffs,
bleibt das kreislauffähige Bausystem gleich, das sich durch
Modularität und Kreislauffähigkeit auszeichnet. Flexibel und
langlebig sollen die Blöcke sein, aus denen sich Gebäude in kurzer
Zeit auf und abbauen lassen.
Materialeffizienz bei Planung und Bauteil
Die vierte und neueste Generation der Polyblocks ist so
konzipiert, dass die Bausteine zu fast einhundert Prozent aus
Sekundärrohstoffen hergestellt werden können. Diese erreichen von
verschiedenen Industriebetrieben die Fabrik, werden dort gemischt
und am Fließband in Form gebracht. Kurze Abbindezeiten machen die
Blöcke schnell bereit für den Einsatz auf der Baustelle. Dank der
Software Polybuilder lässt sich die vor Ort benötigte Zahl
von Bausteinen exakt berechnen, bevor sie auf Paletten ausgeliefert
werden.
Gallerie
Zementfrei vom Fundament bis zum Dach
Nicht nur die Wände der Gebäude sollen zementfrei sein, sondern
auch das Fundament. Die Gebäude stehen deshalb auf Stahlfüßen. Auf
diese Einschraubfundamente wird ein Trägerrost geschraubt. Darauf
werden Grundleisten mit speziellen Noppen montiert, die die Basis
für die Wände bilden. In diese Leisten werden Gewindestangen
eingeschraubt, auf die die Polyblocks aufgefädelt werden. Ähnlich
wie Legosteine haben die Blöcke auf der Oberseite Noppen. Diese
ragen in die Unterseite des darüber sitzenden Blocks, sodass sie
sich miteinander verzahnen. Den oberen Abschluss der fertigen Wand
bildet wiederum eine Leiste. Über diese Leiste wird jeweils eine
Mutter auf die Gewindestangen geschraubt und so das System
verspannt. Dadurch entsteht die Stabilität des Gebäudes. Derart
simpel soll das Bauen mit Polyblocks auch für Unerfahrene möglich
sein.
Gallerie
Vielseitige Geopolymere statt Zemente
Aktuell arbeitet das Unternehmen an der vierten
Block-Generation. Anfangs verwendete das Unternehmen noch Polymere
als Bindemittel, die jedoch überwiegend auf Rohöl
basierten. Der Vorzug der Geopolymere ist, dass sie aus
Nebenprodukten anderer Industrien hergestellt werden können.
Hervorragend geeignet sind Flugasche aus Kohlekraftwerken und
Schlacken aus der Stahlindustrie. Ebenfalls bieten sich Maniok- und
Reishülsen an, von denen Millionen von Tonnen in der Landwirtschaft
anfallen. Außerdem wird das erdölbasierte Bindemittel
Polyesterharz, das Bestandteil des Polymerbetons ist, durch einen
einen Sekundärrohstoff wie Flugasche ersetzt. Durch
Materialveränderung hin zum Geopolymerbeton ergeben sich weitere
Vorteile für das Bausystem: Mehrgeschossig zu Bauen wird einfacher,
das Wärme-und Brandverhalten verbessert sich und die Blöcke können
kostengünstiger angeboten werden.
Ziel des Unternehmens ist, dass sowohl die Bindemittel als auch
die Füllstoffe aus Materialien bestehen, die bereits eine
Nutzungsphase durchlaufen haben oder anderweitig nicht verwendet
werden. Bei Zementbeton kommen Kies und Sand als Gesteinskörnung zum Einsatz. Diese müssen eine
bestimmte Korngröße und -struktur aufweisen und werden daher zum
Beispiel aus Flussbetten und von Stränden abgegraben. Die
Geopolymere können hingegen auch industrielle Nebenprodukte und
geschredderten Bauschutt binden.
Gallerie
Materialkreislauf beginnt beim Netzwerk
Das Polycare-Team denkt in Materialfamilien. Das heißt, dass die
verfügbaren Sekundärrohstoffe, die je nach Region unterschiedlich
sein können, gut zueinander passen müssen, um einen belastbaren
Geopolymerbeton zu ergeben. Bei der Erkundung der Lieferketten für
Geopolymere hat das Team viele Partner entdeckt, die über
Restmaterialien aus ihren Produktionsprozessen verfügen. Die
Vielseitigkeit von Geopolymerbeton ermöglicht die Verwendung einer
breiten Palette von Abfallstoffen aus verschiedenen
Industriezweigen, von denen die meisten andernfalls auf
Mülldeponien landen würden. Die notwendigen Materialtests führt das
Unternehmen in Zusammenarbeit mit mehreren Universitäten und
Forschungsinstituten durch.
Polycare arbeitet mit Stromversorgern und Stahlherstellern
zusammen, um ihre Probleme mit Nebenprodukten zu verstehen und um
herauszufinden, wie sie in die Polyblock-Produktion einbezogen
werden können. Bei der Auswahl der Rohstoffe ist neben der
technischen Verwendbarkeit außerdem darauf zu achten, dass sie
keine Schadstoffe enthalten.
Gallerie
Netzwerke vor Ort
Über ein Franchsie-Modell wird das geistige Eigentum an der
Technologie an lokale Partner verkauft – so geschehen in
Afrika. Auch für Europa ist ein solches Lizenzmodell geplant. Auf
diese Weise sollen lokale Produktionsstätten und
Wertschöpfungsketten aufgebaut werden, die den Menschen vor Ort
zugutekommen sowie lange Lieferwege und emissionsstarke Transporte
vermeidet.
Wird ein Gebäude zurückgebaut, können die Polyblocks an den
Hersteller zurückgegeben werden. Die Bauelemente werden dann auf
ihre Wiederverwendbarkeit geprüft und entsprechend weiterverkauft.
Das Team bemüht sich auch um die Einführung eines Materialpasses,
der nachvollziehbar machen soll, was in einem Gebäude verbaut wurde
und wie es im nächsten Projekt verwendet werden kann. Bei einem
temporären Gemeindezentrum in der Grafschaft Ahrtal plante Polycare
die Wiederverwendung von Anfang an ein und bezog dazu
gleichgesinnte Partner mit ähnlichen Produktkonzepten ein. Die
Elemente für das Bad, das Fundament, die Fassade und die Dielen
können alle zurückgenommen und wiederverwendet werden, wenn das
Gebäude nicht mehr benötigt wird.
Gallerie
Standards in Frage stellen
Weltweit gibt es noch wenig Standards für die Wiederverwendung
von Sekundärrohstoffen in der Bauindustrie, weshalb die
Zertifizierungsprozesse für die Polyblocks besonders komplex und
entsprechend zeitaufwendig sind. Auch in den europäischen und
deutschen Baustandards und Normen ist eine Wiederverwendung noch
kaum verankert. Rohstoffe, die bereits einen Lebenszyklus
durchlaufen haben, werden oft als Abfall deklariert. Es gelang
Polycare jedoch, die Wiederverwendbarkeit in einfachen Verfahren
nachzuweisen. Das Unternehmen bemängelt außerdem, dass es kaum
Anreize von Seiten der Behörden gebe für umweltfreundlichere
Alternativen zu herkömmlichen Baustoffen, sodass die Polyblocks
unter reinen Kostengesichtspunkten die weniger naheliegende Wahl
sind.
Polycare ist weiter auf der Suche nach Gleichgesinnten,
insbesondere um das erste Haus aus Geopolymerbeton-Blöcken zu
bauen. Dazu hält das Team Ausschau nach einer Gemeinde oder einem
Investor in Deutschland. Ein solches Leuchtturmprojekt könnte noch
mehr Aufmerksamkeit auf das kreislauffähige Bausystem lenken.
Hersteller: Polycare, Suhl OT Gehlberg
Video
Fachwissen zum Thema
Betonarten
Polymerbeton und Geopolymerbeton
Beton ohne Zement und klassische Gesteinskörnung? Kunstharze, recycelter Bauschutt und Nebenprodukte aus Industrie und Bergbau können wirkungsvolle Alternativen sein.
Betonarten
Recyclingbeton
Aus Bauschutt rezyklierte Gesteinskörnungen können bei der Herstellung von Beton verwendet werden und dadurch einen Beitrag zur Schonung natürlicher Ressourcen leisten.
Bauwerke zum Thema
Sonderbauten
Gardener‘s House in Boisbuchet
Ein Haus, das sich auch von Laien in kurzer Zeit auf- und wieder abbauen lässt? Dass das keine Zukunftsvision ist, zeigt ein Projekt in Westfrankreich.
BauNetz Wissen Beton sponsored by: Deutsche Zement- und Betonindustrie vertreten durch das InformationsZentrum Beton | Kontakt 0211 / 28048–1 | www.beton.org
Entwickelt für den professionellen Einsatz bei Bauprojekten ist der werksfertige Trockenmörtel, der die Grundlage für das Druckmaterial bei der Extrusion von Beton bietet.
Betonabdichtung durch Kristallbildung
Haarrisse, Mikroporen und kleinste Gefügedefekte sind eine normale Erscheinung bei Beton. Problematisch werden sie erst, wenn der...
Betonpaneele mit Solarfilm
Als eierlegende Wollmilchsau bezeichnet man gemeinhin Menschen oder Produkte, die mit gleich mehreren Fähigkeiten glänzen. Eine...
Design bis ins Detail
Aus dem Widerwillen gegen Plastik entstand eine Serie von Lichtschaltern und Steckdosenabdeckungen aus Beton - in zahlreichen Farbtönen und mit unterschiedlichen Oberflächen.
Dreidimensionale Fliesen aus Feinbeton
Wände müssen nicht immer glatt, Fliesen nicht immer flach und Beton nicht immer grau sein. Sollen Wandflächen eine plastische...
Ein Baustein im Materialkreislauf
Die Bauwirtschaft kreislauffähig machen: Ein thüringisches Unternehmen arbeitet an legoartigen Bauelementen, die aus Industrieabfällen und Bauschutt bestehen.
Handgemachte Sichtbetonmöbel
Aus hochfestem Glasfaserbeton entstehen Tische und Sitzgelegenheiten, die wie Extrusionen von Gitterstrukturen wirken.
Interaktive Medienfassade aus Lichtbeton
Auf der Suche nach transparenten und transluzenten Werkstoffen, Bauteilen und Konstruktionen bleibt kein Material unbeachtet –...
Lebendige Fassade
Mit faserverstärktem UHPC und Luftpolsterfolie als Schalhaut lassen sich hauchdünne perforierte Paneele erstellen, die bei Fassadenbegrünungen als Filter dienen.
Mobiles Wohnhaus aus Holzbeton
Zu den besonderen Eigenschaften des Baustoffs Beton zählt definitiv nicht seine Leichtigkeit – aber gerade die haben die...
Notunterkunft aus gerolltem Beton
Flexibel formbar: Ein Entwurf legt die Anwendung von geosynthetischen, zementartigen Verbundstoffmatten im Hochbau nahe.
Rostender Stein
Die Popularität von Cortenstahl ist bei Architekten ungebrochen. Künftig lässt sich die Optik des rostenden Metalls auch bei der...
Schlanke Formteile aus Glasfaserbeton
Mit bis zu 3,60 Meter Länge und verschiedenen Querschnitten bieten die Betonformteile, die das österreichische Unternehmen Rieder...
Strukturierte Betonoberflächen
Mit Matrizen aus Gummi oder Kunststoff lassen sich ganz unterschiedliche Schalungsabdrücke auf Betonoberflächen herstellen, die je...
Strukturierte Platten aus Glasfaserbeton
Gerade einmal acht bis 15 Millimeter dick, von geringem Gewicht und extrem belastbar sind die strukturierten Glasfaserbetonplatten...
Textilbeton für schlanke Bauteile
Der Baustoff Beton kann zwar Druckkräfte, aber keine Zug- und Biegezugkräfte aufnehmen. Diese Aufgabe übernimmt die Bewehrung, die...
Verbundwerkstoff aus Beton und Kork
So schön das Material Beton bei guter Verarbeitung auch anzuschauen ist – die Vorstellung, darauf zu sitzen oder in den eigenen...
Vorgefertigte Holz-Beton-Verbunddecken
Mit ihrem geringen Gewicht, den einfachen Anschlussdetails sowie den guten schalldämmenden und brandtechnischen Eigenschaften...
JETZT REGISTRIEREN
Digitales Fachwissen zum Bauen mit Beton: www.beton-webakademie.de