Ulyankulu ist sehr jung. Die kleine Stadt in der Tabora Region,
im Westen Tansanias, entstand durch die Flucht tausender Menschen
aus Burundi, die das Land 1972 verließen, um ethnisch motivierter
Gewalttaten zu entkommen. Seit dieser Zeit entwickelte sich die
Ansiedlung allmählich zu einer Stadt. Die Menschen errichteten
Häuser, verlegten elektrische Leitungen und eröffneten Märkte. 2015
erhielten die Geflüchteten die tansanische Staatsbürgerschaft und
damit ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht im Land.
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Nun erhielt die Stadtgesellschaft eine neue Schule, geplant von
JEJU Studio aus Polen. Die Schule soll ein Symbol sein dafür, dass
Ulyankulu zu einem permanenten, sicheren Wohnort, an dem auch
kommende Generationen bleiben mögen. Beauftragt wurde das
Architekturbüro von der Stiftung WAYAIR aus dem polnischen Poznan.
Sie wurde von einer Gruppe von Pädagogen gegründet, die in den
letzten 25 Jahren das Schulprogramm „Łejery“ entwickelten. Es
begann als kleine Theatergruppe für Kinder und ist heute als Schule
mit einem demokratischen und kunstbasierten Bildungsansatz bekannt.
WAYAIR möchte die im Laufe dieser Entwicklung erworbene Wissen
weitergeben. Die Ulyankulu Schule das erste Projekt der Stiftung
außerhalb Polens.
An allen Planungsphasen waren Vertreter*innen der örtlichen
Gemeinde, von Organisationen und Schulen, am Projekt beteiligt. Im
Vorfeld trugen sie ihre Bedürfnisse an die Architekturschaffenden
heran, während weitere Menschen aus den Bereichen Pädagogik,
Migrationsforschung und Ethnographie ihre Expertise einbrachten.
Auf dieser Basis entwickelte das Architekturbüro das Ziel,
Schulräume zu schaffen, die sowohl großzügig, abwechslungsreich und
vielfältig nutzbar sind. Die neue Ulyankulu-Schule soll auch Raum
bieten für Theateraufführungen, zum Spielen und Herumtollen. Aus
diesem Grund sprechen die beiden Architekten auch von einem
„Bildungsdorf“ statt von einer Schule.
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Drinnen und draußen lernen
Das Herzstück des WAYAIR-Bildungsmodells sind
theaterpädagogische Ansätze. Deshalb wurde der größte Klassenraum
so eingerichtet, dass er als Theatersaal genutzt werden kann. Der
Raum ist außerdem zu einer Seite hin offen und kann so als Bühne
dienen, während das Publikum im zentralen, von Mangobäumen
beschatteten Innenhof sitzt. Um die ovale Freifläche herum sind die
Unterrichtsgebäude angeordnet, die wiederum zwischen zwei
perforierten, zum Teil ornamentalen Lehmziegelmauern sitzen. Auf
diese Weise werden zwischen den Klassenräumen kleinere und größere
Höfe definiert, in denen Klettergerüste und Baumstämme zum Spielen
und Sitzen im Schatten zu finden sind.
Lokales Architekturwissen
Den Architekten war wichtig, nicht nur auf ihr eigenes
Fachwissen zurückzugreifen, sondern auch auf das vor Ort vorhandene
Wissen um Materialien, Baudetails und Handwerkstechniken. Zum
Beispiel dient die Gruppierung der Schulgebäude um die Mangobäume
um den zentralen Innenhof herum nicht nur dazu, sie vor starker
Sonneneinstrahlung zu schützen. In der Region
haben Bäume wie dieser auch eine symbolische, mitunter spirituelle
Bedeutung.
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Passive Kühlung
Eine der Hauptaufgaben der Planenden war, ein passendes
Kühlungssystem zu finden. In der Region fanden sie Schulen vor, die
über karge, heiße Außenbereiche oder überhitzte Innenräume
verfügten, deren Dächer am Mittag oft eine Temperatur von 65 Grad
erreichen. Angesichts der Hitze, die das Lernen und Unterrichten
erschwert, werden diese Schulen nur während der kühleren
Tageszeiten genutzt, wobei bis zu 200 Schulkinder pro Klasse
präsent sind.
In Ulyankulu hingegen kamen Techniken zu passiven Kühlung zum
Einsatz: Zum einen sorgen die schattenspendenden Bäume in den Höfen
für Sonnenschutz. Der zentrale Innenhof mit den Mangobäumen ist
sogar der größte beschattete Platz der Stadt. Zum anderen tragen
die Anordnung der Klassenzimmer, ihre großen Fenster und die dicken
Bodenplatten aus Beton zur passiven Kühlung bei. Ein wichtiges
Element ist zudem die doppelte Dachkonstruktion. Diese leitet die
kühle Luft unter den Bäumen zwischen dem Primärdach und der Decke
der Klassenzimmer hindurch.
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Wasserspeicher für Trockenzeiten
Alle geneigten Dächer der Schule sind in der Lage, in der
kurzen, aber heftigen Regenzeit Niederschlag aufzufangen. Mehr als
70.000 Liter können die unterirdischen Tanks speichern. Das Wasser
erhalten die Kinder in der Trockenzeit, um sich Hände, Gesicht und
Zähen zu waschen. Außerdem erhalten sie täglich 1,5 Liter
Trinkwasser. Das ist von enormer Bedeutung, denn die neun Monate
andauernde Trockenzeit bedeuten große Wasserknappheit in der
Region, zu deren Folgen auch die Ausbreitung von
Infektionskrankheiten gehört.
Lokale Materialien
Die Klassenräume und Mauern wurden mit vor Ort gebrannten Ziegel
errichtet. Zwei lokale Handwerksteams waren mit der Herstellung der
Steine beschäftigt: Das eine fertigte sie auf dem Grundstück, aus
dem dort vorgefundenem, rotem Lehm, während das andere etwas
weiter entfernt helle Ziegel herstellte. Diese wurden in Handarbeit
modelliert, sonnengetrocknet und dann für 48 Stunden gebrannt.
Für die Innenausstattung der Klassenräume kreierte Björn Steinar
bewegliche Tischplatten und Rückenlehnen für die Stühle, die zu
einer Matte ausgerollt werden können. Der isländische Designer
entwarf bewusst sehr leichtes Mobiliar, damit die Schülerkinder es
je nach Lernformat leicht umstellen können. Auch hier kamen lokale
Materialien zum Einsatz, damit sich die Möbel nachbauen lassen.
Bautafel
Architektur: JEJU.studio, Poznan Projektbeteiligte: Akon-Projektowanie Konstrukcyjne, Poznan(Engineering Statik); Björn Steinar, Reykjavik (Innenarchitektur) Bauherrschaft: WAYAIR Foundation, Poznan Standort: Ulyankulu, Tansania Fertigstellung: 2020 Finanzielle Unterstützung: u. a. Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, Polen, Rotary Club Poznan, Lion’s Charity Run Bildnachweis: Iwo Bpkowicz, JEJU.studio
Fachwissen zum Thema
Materialien
Beton und Mauerwerk
In Form von Auskragungen, Brise-Soleils, Balkonen und Arkadengängen dienen Beton und Mauerwerk traditionell als feststehende Sonnenschutzvarianten.
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Das Blattwerk von Pflanzen hält Sonnenstrahlen ab und kann schon mit kleinen Hilfen an der Fassade gedeihen.