Sonnenschutz aus Formgedächtnislegierungen
Metall mit Erinnerungsfunktion als Stellmotor
In der Architektur sind wir gut vertraut mit Metallen und Legierungen, welche bis zu ihrem Schmelzpunkt in einer festen Kristallstruktur vorliegen, so etwa bei Stahl. Anders ist es bei sogenannten Formgedächtnislegierungen. Sie können – abhängig von der Temperatur – zwei unterschiedliche Kristallstrukturen, sogenannte Phasen, annehmen. Dadurch können sie sich bei bestimmten Temperaturen an ihre vorherige Form „erinnern“ und sich zurückverformen. Diese außergewöhnliche Eigenschaft lässt sich für eine ganze Reihe von Prozessen verwenden, etwa als Antrieb für eine Pumpe. In der Weltraumtechnik werden Formgedächtnislegierungen oft zum Entfalten der Solarmodule eingesetzt. Das Forschungsprojekt Adaptex der Weißensee Kunsthochschule Berlin nutze es bei der Entwicklung eines adaptiven textilen Sonnenschutzes, der je nach Temperatur seine Durchlässigkeit verändert. So sollen solare Gewinne reguliert und Überhitzung vermieden werden können, ohne dass dabei Elektrizität zum Einsatz kommt.
Gallerie
Zusammenspiel aus Drähten und Glasfasern
Die
Forschungsgruppe hat zwei Typen von adaptiven Sonnenschutzelementen
entwickelt: Adaptex Mesh und Adaptex Wave. Ersteres
besteht aus zwei Lagen eines multiaxialen Textils mit einem
perforierten Muster. Die beiden Schichten sind hintereinander
angeordnet. Die eingewobenen Drähte aus Formgedächtnislegierung
ziehen sich um 3 Prozent zusammen, wenn sie von
der Sonneneinstrahlung und der Umgebungswärme angeregt
werden. Dadurch gleitet eine der textilen Schichten nach oben und
reduziert durch die zusätzliche Beschattung den Durchlassgrad des
Sonnenlichts.
Die äußere Schicht des Sonnenschutzes ist mit Glasfasern verstärkt, welche einen Teil des Sonnenlichts reflektieren. Die innere Lage enthält Basaltfasern, deren dunkle Färbung die Sicht durch das Gitter nach draußen verbessern. Sinkt die Temperatur wieder und die Formgedächtnislegierung kühlt ab, bringt das Eigengewicht des Sonnenschutzes den Mesh wieder in seine Originalposition.
Parametrisches Tool zur ortsbezogenen Steuerung
Die
Forschungsgruppe hat zudem ein parametrisches Tool entwickelt, mit
dem sie den Öffnungsfaktor des Meshgitters je nach Ort und
Gegebenheiten anpassen können. Mit Hilfe der Wetterdaten des
jeweiligen Standorts können die Forschenden die nötige
Aktivierungstemperatur der Formgedächtnislegierung für den
spezifischen Bauplatz berechnen. Der Sonnenschutz kann als adaptive
Fassade genutzt werden, welche sich abhängig von der
Umgebungstemperatur automatisch aktiviert, ohne dass zusätzliche
elektrische Energie von Nöten ist.
Der zweite Sonnenschutzentwurf Adaptex Wave hat einen variablen Öffnungsfaktor von 5-70%. Er besteht aus wellenförmigen Textilbändern, welche über die gesamte Länge mit einem Formgedächtnislegierungsdraht verwebt sind. Wenn Sonneneinstrahlung die Umgebungstemperatur erhöht, zieht sich der Draht zusammen und das Textilband wölbt sich. Durch die Wölbung schließt sich der Sonnenschutz und lässt weniger Sonneneinstrahlung durch. Sobald die Temperatur wieder sinkt, nimmt das elastische Textilband wieder seinen Ursprungszustand ein.
Testfassaden in Deutschland und Oman
Weil alle Bänder
als einzelne Elemente funktionieren, kann sich die Fassade auch nur
teilweise verschatten. Auch hier nutzen die Forschenden Glasfasern
für die Stabilität sowie eine reflektierende Beschichtung. Das
Schnittmuster für die Textilbänder kann mit einem parametrischen
Programm an den zukünftigen Standort angepasst werden.
Der intelligente Sonnenschutz von Adaptex wird zurzeit an einer
Fassade in Deutschland und im Oman getestet. Mit ihrem
zukunftsgewandten und innovativen Design hat die Forschungsgruppe
bereits drei Awards gewonnen, unter anderem den Zumtobel Group
Award 2021.
Fachwissen zum Thema
Tipps zum Thema
Baunetz Wissen Sonnenschutz sponsored by:
MHZ Hachtel GmbH & Co. KG
Kontakt: 0711 / 9751-0 | info@mhz.de