Thürwachterhaus in Ingolstadt
Innenschale mit Bretterschalung
Mit seiner abgetreppten Spitze und schneeweißen Fassade ist der Taschenturm schon aus der Ferne leicht auszumachen. Er markiert die mittelalterliche Erweiterung Ingolstadts: miteinander verwachsene, zweigeschossige Häuschen und Mauern mit Holztoren, hinter denen sich kleine Höfe auftun. In dem Gemenge befindet sich auch der frühere Stadtbauernhof, dessen Umbau die Architekten des Büros Mühlbauer betreuten. Seit 2024 bietet das Anwesen neben Wohnräumen auch ein Atelier.
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Heute zeigt sich das kompakte Anwesen mit einem hellgrünen, reich texturiertem Putz. Weiß gerahmte Fenster und ein Gesims über dem Erdgeschoss prägen den Hauptgiebel, ein rotes Tor mit Schlupftür sitzt in der Hofmauer. Im 16. Jahrhundert wurde auf dem fast quadratischen Grundstück gebaut. Die heute L-förmige Anlage besteht aus einem dreigeschossigen, in zwei Phasen errichteten Haupthaus, das zusammen mit der Mauer die Straßenecke fasst, und einem etwas niedrigerem Anbau. Hier waren Scheune und Stall untergebracht. Zwischen Stadel und Mauer befindet sich der lediglich 5,5 mal 6,5 Meter große Hof.
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Neues Leben im Hof
Erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts ist die Anlage ein reines Wohngebäude. Jahrzehntelang stand es jedoch leer, bevor eine Privatinvestorin es zu neuem Leben erweckte. Im Zuge des Umbaus wurden Anbauten aus jüngerer Zeit, in denen sich zuletzt Küche und Toiletten befanden, abgerissen. Im Hof entstand als Reminiszenz an den ehemaligen Misthaufen eine erhöhte Sitzfläche. Kletterhortensien und ein Maulbeerbaum komplettieren die Oase. Hinter den denkmalgeschützten Fassaden entstanden ein Atelierhaus und vier Wohnungen. Drei davon, mit insgesamt 180 m2 Platz, befinden sich im einstigen Wohnhaus. Wo einst Rinder und Schafe lebten, wurde eine Wohnung mit 90 m2 auf drei Geschossen eingerichtet.
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Beton in der Scheune
Zu dem Dachstuhl hinauf erstreckt sich eine neue, in Beton gegossene Raumfolge. In drei Kammern geteilt ist die Box im Erdgeschoss: Der Koch- und Essbereich nimmt den Hauptraum ein und kann über ein zweiflügliges Tor zum Innenhof geöffnet werden. Daneben liegen der Treppenraum und das von Glasbausteinen geschützte Bad. Auf den Querwänden liegt eine verkürzte Deckenplatte. Diese Galerie ist das Wohnzimmer des Atelierhauses. Über den historischen Deckenbalken folgt der vom Zimmermann restaurierte Dachstuhl, der neue Schlafplatz.
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Innenschale mit Bretterschalung
Die Betonstruktur half außerdem, die bestehenden Mauerwerkswände statisch zu ertüchtigen und somit komplett zu erhalten. Zunächst wurde dazu die spätere Kerndämmung auf die Innenseite der alten Außenwände aufgebracht, sodass eine einseitige Schalung ausreichte. Die neue Wandschale wie auch die Querwände und die Galeriebrüstung zeigen die Textur von Fichtenholzbrettern. Glatt sind hingegen die beiden Treppen sowie der Träger und die Stütze, die das Gebälk im ersten Obergeschoss unterfangen.
Zum Einsatz kam weichflüssiger Ortbeton mit 2 bis 3 mm Körnung,
ohne Farbzusatz, den die Betonbauer stufenweise, in zwei Meter
hohen Lagen, einbrachten. Nach dem Ausschalen wurde auf
betonkosmetische Maßnahmen weitgehend verzichtet, abgesehen von der
punktuellen Schlierenbeseitigung mit einer
Stahldrahtbürste.
Bautafel
Architektur: BÜRO MÜHLBAUER, Ingolstadt (Projekt- und Bauleitung: Alexander Mühlbauer, Andreas B. Mühlbauer, Andreas J. Mühlbauer)
Projektbeteiligte: Raphael Berger, Carmen Dieterich, Hasan Ahmed Koca, Lukas Westner (Mitarbeitende Architektur); Univ.-Prof. Maurus Schifferli, Bern, Basel und Jakarta (Landschaftsarchitektur); IBN Bauphysik, Ingolstadt und München (Bauphysik); Michael Schölß, Ingolstadt (Kunst am Bau)
Bauherr*in: privat
Standort: Taschenturmstraße 5, 85049 Ingolstadt
Fertigstellung: 2024
Bildnachweis: Ralph Feiner, Malans und Chur (Fotos); BÜRO MÜHLBAUER, Ingolstadt (Pläne)