Wittenstein Innovationsfabrik in Igersheim
Flächendeckender Sprinklerschutz und Brandmeldeanlage
Gallerie
Mechatronische Antriebssysteme wie Motoren, Getriebe und
Steuerungen für Werkzeugmaschinen oder Roboter entwickelt und
fertigt das Unternehmen Wittenstein. Ein Tätigkeitsfeld also, für
das Innovation maßgeblich ist, weil dieserart Technologien einem
permanenten Wandel unterzogen sind. Der Hauptsitz der Firma
befindet sich am Rande des nur wenige hundert Einwohner zählenden
Örtchens Harthausen. Es gehört zur baden-württembergischen Gemeinde
Igersheim und ist Teil einer ländlich geprägten Gegend im Übergang
zu Bayern. In direkter Nachbarschaft zum Hauptsitz wurde 2014 die
sogenannte Wittenstein Innovationsfabrik nach Plänen von
Henn Architekten errichtet. Ein Gebäude, das die Effektivität der
Arbeitsvorgänge in verschiedener Hinsicht steigern soll: So sind
die Bereiche Entwicklung, Produktion und Versand parallel entlang
einer Hauptachse angeordnet – sämtliche Prozesse sollen durch die
räumliche Nähe angestoßen und begünstigt werden. Das Gebäude ist
künftig erweiterbar.
Die Lage des Baukörpers am Hang ermöglichte dessen Einbettung und
stufenförmige Ausbildung: Etwa zur Hälfte dreigeschossig, ist die
Nordwestseite der Fabrik mit Eingang, öffentlichen Bereichen und
überwiegender Büronutzung dem Hauptsitz zugewandt. Im rückwärtigen
Teil des Quaders befindet sich die weitgehend über zwei Geschosse
offene Produktionshalle. Eine relativ breite Achse als Fortführung
des zentralen Haupteingangs dient der Erschließung: sie ist durch
zwei Lichthöfe gegliedert und setzt sich bis in die Halle in Form
einer Empore (mit Pausenraum) fort. Im vorderen Teil des Gebäudes
sind im Erdgeschoss Schulungsräume, ein Auditorium, Kasino und
Lounge um die Eingangszone gruppiert. Die Büroflächen in den oberen
Etagen sind offen konzipiert und mit beweglichem Mobiliar
ausgestattet. Kollegen aus verschiedenen Abteilungen wie Fertigung
und Entwicklung sollen nach Möglichkeit Blickkontakt haben und bei
Bedarf schnell zusammenfinden. Im ersten Geschoss erstrecken sich
die sogenannten Projekträume – zwei als Openspace konzipierte
Büroflächen mit einem ebenso großen mittigen Teil, der nur durch
Glaswände abgetrennt ist – über die gesamte Eingangsfront. Sie sind
wie die gegenüberliegende Halle überwiegend zweigeschossig.
Zwischen diesen Polen wird die Erschließungsachse durch ausgedehnte
begrünte Atrien gekreuzt. Sie führen Tageslicht ins Gebäude und
dienen als Freiräume für die Mitarbeiter. Sie sind bandartig
gerahmt durch Großraumbüros an den Längsseiten, Konferenz- und
Besprechungsräume an den Schmalseiten sowie Treppenhäuser und
Sanitäranlagen in den Eckräumen. Auch die breite Treppe zwischen
Eingangsebene und Produktionshalle ist in einen Hof eingebettet und
erhält Tageslicht von oben.
Brandschutz
Das Produktionsgebäude wird als Sonderbau der
Gebäudeklasse 5 eingestuft; der Brandschutznachweis erfolgte in Form eines
schutzzielorientierten, objektspezifischen Brandschutzkonzeptes.
Der Produktionsbereich ist erdgeschossig (G001), hat Abmessungen
von ca. 115 x 97 Metern und fällt in den Anwendungsbereich der
Industriebaurichtlinie. Es gilt die
Sicherheitskategorie 4, d.h. eine Sprinklerung ist erforderlich.
Der angrenzende Kopfbau mit Büro- und Verwaltungsnutzung verfügt
über drei Geschosse (G000-2) und wird nach der Landesbauordnung
(LBO) für Baden-Württemberg bewertet; es handelt sich um einen
Sonderbau der Gebäudeklasse 3. Abweichungen von den Vorgaben der
LBO werden insbesondere über einen flächendeckenden Sprinklerschutz
sowie eine Brandfrüherkennung mit Alarmierungsanlage kompensiert,
ferner mit dem Vorhandensein ausschließlich baulicher
Rettungswege.
Zu den Abweichungen gehören:
- die Konzeption des Kopfbaus als ein Brandabschnitt, dessen Länge etwa 97 Meter beträgt
- Brandwände im 1. und 2. Obergeschoss unterschreiten mit 4,85 Metern knapp den geforderten Abstand von 5,00 Metern von der Innenecke
- im Kopfbau sind Öffnungen in Geschossdecken vorhanden (Foyer
und zweigeschossiger Projektraum), die Bedingungen aus LBOAVO
(Allgemeine Ausführungsverordnung des Ministeriums für Verkehr und
Infrastruktur zur Landesbauordnung) sind nicht eingehalten. Das
Atrium im Erdgeschoss ist jedoch mit Brandwänden zur Geschossfläche
abgetrennt, sodass nur eine Verbindung von G001 bis G002 besteht –
hier ist eine nicht brennbare, rauchdichte Abtrennung
vorgesehen.
- Rettungsweglängen < 35 Meter müssen im Kopfbau zum Teil auch in den jeweils angrenzenden Brandabschnitt nachgewiesen werden, ansonsten würden sie hier überschritten
- da die drei Treppenräume innenliegend sind, führen die Ausgänge
in G000 nicht unmittelbar ins Freie
- Rettungswege aus einzelnen Aufenthaltsräumen führen anstelle
von notwendigen Fluren auch über den davorliegenden Raum (sowohl
Produktion als auch Kopfbau); aufgrund der Konzeption der Büros mit
Vollverglasung ab Brüstungshöhe zum davorliegenden Raum können die
Rettungswege eingesehen werden
- beim Lastenaufzug wird auf eine Öffnung zur Rauchableitung
verzichtet, da er nur zwischen zwei Geschossen verkehrt und in der
unteren Ebene ein feuerbeständiger Vorraum errichtet wird; insofern
ist ein Raucheintrag – und somit eine Rauchübertragung von Geschoss
zu Geschoss – ohnehin nicht zu befürchten.
Das vertikale Tragwerk des Kopfbaus sowie die Geschossdecken innerhalb des Gebäudes sind massiv aus Stahlbeton (feuerbeständig) errichtet. Die Produktionshalle wird von einem ungeschützten Stahltragwerk gehalten. Auch das Dachtragwerk oberhalb des Projektraumes besteht aus Stahl und ist ungeschützt. Die Außenwände inkl. Verkleidungen, Dämmstoffen und Unterkonstruktionen sind weitgehend nicht brennbar ausgeführt (Ausnahme: Fugendichtungen und brennbare Dämmstoffe in nicht brennbaren geschlossenen Profilen der Außenwandkonstruktion). Aus gestalterischen Gründen sind in Teilbereichen schwerentflammbare Außenwandverkleidungen vorgesehen, die allerdings nicht geschossübergreifend verwendet werden (bzw. nur dort, wo keine übereinanderliegenden Fensteröffnungen sind), sodass keine beschleunigte geschossweise Brandübertragung zu befürchten ist.
Die großen Projekträume haben direkte Anbindung an die Treppenkerne (bzw. über notwendige Flure eine mittelbare Anbindung). Einzelräume zur Aufenthaltsnutzung innerhalb der Großräume sind raumhoch verglast (zumindest beginnend ab 90 cm über OKFFB), um den Sichtkontakt zwischen Einzelräumen und Openspace dauerhaft zu gewährleisten.
Bei einer lichten Raumhöhe der Halle von rund 7,50 Metern kann die Rettungswegelänge zu direkten Ausgängen bzw. in den benachbarten Brandabschnitt bis zu 60 Meter Luftlinie betragen (Begründung: Sprinklerung und Alarmierungsanlage). Die tatsächliche Lauflänge ist dann < 90 Meter. Innerhalb der Halle führen Rettungswege über mind. 2,00 Meter breite Hauptgänge geradlinig zu Ausgängen ins Freie, zu notwendigen Treppenräumen oder zu anderen Brandabschnitten. Von jeder Stelle muss innerhalb von 15 Meter einer dieser Hauptgänge erreicht werden können. Aus jedem Raum > 200 m² gibt es zumindest zwei Ausgänge (von denen einer über den angrenzenden Raum führen kann). Die beiden offenen (notwendigen) Treppen zur Erschließung des Pausenraums innerhalb der Halle sind nicht brennbar hergestellt (siehe Abb. 12).
Aufgrund der Sprinklerung wird der Verhinderung einer unkontrollierten Rauchausbreitung ein höherer Stellenwert zuteil, als der Verhinderung der Brandausbreitung selbst. Die Rauchableitung aus den Flächen des Kopfbaus erfolgt in den oberen Geschossen über öffenbare Fenster bzw. Oberlichter direkt ins Freie. Für die kleinen Einzelräume zu den Innenhöfen genügt die Tatsache des Vorhandenseins zumindest eines Fensters je Raum. Für den zweigeschossigen Projektbereich wurde ein freier Querschnitt von 2% der Grundfläche festgelegt, außerdem Nachströmflächen mit gleichem Querschnitt in Bodennähe. Das Foyer verfügt über Öffnungen in der Dachfläche, die Nachströmung erfolgt über die Eingangstüren in G000. Die notwendigen Öffnungsflächen des Foyers und der Projekträume werden über Stellmotoren angesteuert, die über die Rauchmelder sowie manuelle Bedienstellen an den Raumzugängen initiiert werden. Technikräume in G000 sowie nicht gesprinklerte Räume werden mechanisch bzw. über die Lüftungsanlage entraucht. In der gesprinklerten Produktionshalle sind natürliche Rauchabzugsanlagen mit einem aerodynamisch freien Querschnitt von 0,5% der Grundfläche vorgesehen. (us)
Bautafel
Architekten: HENN Architekten, Berlin
Projektbeteiligte: Sailer Stepan und Partner, München (Tragwerksplanung); Ingenieurbüro Mayer, Ottobeuren (Gebäudetechnik); Stefanie Jühling, München (Landschaftsplanung); Kersken + Kirchner, München (Bauphysik); Sedus Stoll, Waldshut-Tiengen (Büromöbel)
Bauherr: Wittenstein
Fertigstellung: 2014
Standort: Walter-Wittenstein-Straße 1, 97999 Igersheim
Bildnachweis: © Wittenstein, Joachim Schmeisser; Sedus Stoll, Waldshut-Tiengen; HENN Architekten, Berlin; Kersken + Kirchner, München
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