Erweiterung des historischen Postgeländes in Berlin

Transformation zu Wohn- und Gewerbeareal

Die Umnutzung von Industriebauten spiegelt den Umbruch in der Arbeitswelt – vom industriellen zum digitalen Arbeiten – wider. In Berlin sind die brachliegenden Bauten und Gelände zudem besonders eng mit der Kulturszene verbunden, die sich die lange Zeit wenig wertgeschätzten Gebäude aneignete. Derweil sind die einstigen Industrie- und Gewerbegelände aber vollends auf dem Immobilienmarkt angekommen und zählen zu den begehrtesten Grundstücken der Stadt. Während für die einen die Revitalisierung solcher Areale eine Aufwertung der Stadt bedeutet, ist sie für andere der Verlust eines kulturellen Freiraums. 

Gallerie

Ganz in diesem Sinne liest sich auch die Geschichte des Postgeländes in Berlin-Schöneberg. 1903 wurde der erste Bau des Ensembles – das Kaiserliche Postamt, mit seiner Backsteinfassade im historisierenden Renaissancestil – fertiggestellt. Immer neuere Technologien führten zu Erweiterungen, wie etwa dem Bau des Fernsprechamts Süd im Jahr 1932, dessen verklinkerter Stahlskelettbau heute zu den Bauten der Neuen Sachlichkeit zählt. 1995 stellte die Post dann von analoger zu digitaler Telekommunikationstechnik um, wodurch diverse Räume plötzlich leer standen. 2014 wurde der Posthof schließlich von dem Berliner Immobilienentwickler Trockland erworben. Seitdem heißt das Areal „Bricks“ und wurde von Graft Architekten zu einem Ensemble aus Büros, Gewerbeeinheiten und Wohnungen umgebaut und erweitert.

Braunrote Klinker knüpfen an den Bestand an

Graft Architekten, 1998 in Los Angeles gegründet, bezeichnen sich selbst als ein Büro, das sich Urban Design, Musik und Architektur verschrieben hat. Die Architekturschaffenden erweiterten den teils denkmalgeschützten Bestand um zwei Neubauten am südöstlichen und nordwestlichen Ende des Geländes, die sie in die bestehende gründerzeitliche Blockrandbebauung einpassten. Der Gewerbehof-Charakter des Areals, der durch die heterogenen Bestandsbauten in mehrere Innenhöfe gegliedert wird, blieb vollständig erhalten. Entstanden sind insgesamt 127 Mietwohnungen mit Größen zwischen 35 und 150 Quadratmetern, sowie Flächen für Restaurants, Geschäfte und Büros. Um sich gestalterisch an das historische Postgelände anzulehnen wurden alle Fassaden mit dunklen, braunroten Klinkern ausgeführt.

Das nordwestliche Bürogebäude Haus 7 erhebt sich mit sechs Vollgeschossen plus Staffelgeschoss über einem polygonalen Grundriss, der unterschiedlich tief in den innenliegenden Hof vordringt. Es erhielt straßenseitig eine wellenförmige Fassade, die in ihrer Schlichtheit und klaren Formensprache an die Bestandsbauten aus den 1920er-Jahren erinnert und deren Ausstülpungen Balkone und Loggien ausbilden. Das Verblendmauerwerk wurde im Blockverband ausgeführt.

Die Fassade als Topografie
Ganz anders die Formensprache der Fassade des südlichen, überwiegend als Wohnhaus genutzten Gebäudes Haus 9. Hier wurden zwei sehr unterschiedliche Entwurfsprinzipien kombiniert. Es verfügt über acht Stockwerke auf annähernd rechteckigem Grundriss. Seine Fassade wirkt organisch und technoid zugleich. Die straßenseitige Außenwand erscheint im Eingangsbereich und in den oberen Geschossen als sei sie „eingedrückt“ – wie ein urzeitlicher Organismus, der inmitten einer wellenartigen Bewegung versteinerte. Die Klinkerfassade erhält dadurch die Anmutung einer Topografie mit Höhen und Tiefen. Kontrastiert wird dies durch streng quadratische Fenster, deren messingfarbene, metallene Rahmen an einigen Stellen erkerartig auskragen und die organisch bewegte Hülle damit jäh durchbrechen.

Schuppiges Ziegelrelief für den Eingangsbereich

Besonders interessant ist die Ausformulierung des Eingangsbereiches von Haus 9. Dieser stülpt sich geradezu höhlenartig nach innen. Aufgrund dieser Dehnung und Wölbung der Fassade bricht das im mittigen Läuferverband ausgeführte Ziegelkleid an dieser Stelle regelrecht auf und die einzelnen Klinker formulieren ein raues, schuppenartiges Relief. Diese plastische Verformung wurde parametrisch entworfen und ist durch die Ausdrehung der Ziegelsteine an den gekrümmten Wandstellen möglich.

Die Außenwände der zwei Neubauten sind zweischalig ausgeführt. Die tragende, innere Stahlbetonschale weist eine Stärke von 22,0 cm auf. Die Vormauerschale bilden Verblendklinker. Der Wärmedurchgangskoeffizient (U-Wert) der Außenwände liegt bei 0,30 W / m2 K. -lw

Bautafel

Architekten: Graft, Gesellschaft von Architekten, Berlin
Projektbeteiligte: Krebs und Kiefer Ingenieure, Berlin (Tragwerksplanung); Janhsen Bau, Herford (Ausführung Mauerwerk); Deutsche Engerie-Consult, Dresden (TGA Planung); Müller-BBM, Berlin (Bauphysik); hhpberlin, Berlin (Brandschutz); Akustik-Ingenieurbüro Moll, Berlin (Akustik); Planungsbüro Haan Freie Garten-und Landschaftsarchitekten, Berlin (Landschaftsarchitektur)
Bauherrschaft: Trockland, Berlin
Fertigstellung: 2020
Standort: Hauptstraße 27, 28-29, 10827 Berlin / Belziger Straße 33, 10823 Berlin
Bildnachweis: Bttr, Berlin; Trockland Management, Berlin; GRAFT, Berlin

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