Gleishalle im neuen Hauptbahnhof Stuttgart
Was lange währt
Einen Kopfbahnhof in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof zu verwandeln, der noch dazu um 90 Grad gedreht funktioniert, klingt nach einer für deutsche Verhältnisse durchaus waghalsigen Idee. Dementsprechend hat der Entwurf für den neuen Hauptbahnhof in Stuttgart bekanntlich nicht nur Freunde. Den Bedenken zum Trotz wächst und gedeiht das Bauwerk nach den Planungen von Ingenhoven Architects. Bereits fertiggestellt ist der Großteil der 28 Kelchstützen, die gerne auch als Sonnentrichter bezeichnet werden.
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Sonnen- und Menschentrichter
Die Planungen umfassen neben dem Neubau der Bahnhofshalle auch den Teilabriss und Umbau des denkmalgeschützten Bahnhofsgebäudes von Paul Bonatz sowie die Gestaltung der umliegenden Freianlagen. Die Kelchstützen, die Frei Otto mitentwickelt hat, prägen dabei nicht nur die unterirdische Gleishalle, sondern auch den angrenzenden Schlosspark: Dort bleiben sie als Oberlichter ablesbar.
Passend zum dominierenden Trichtermotiv wird man nach Fertigstellung über trichterförmige Eingänge in die Halle gelangen, die den Zugang aus allen vier Himmelsrichtungen erlauben – unter anderem auch vom alten Bonatzbau kommend, der als Empfangshalle dient und Raum für den Einzelhandel bieten soll. Auf Höhe der Erdgeschossebene sind in der neuen Halle mehrere brückenartige Galerien geplant, von denen aus Treppen hinunter zu den Bahnsteigen führen.
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Vielfalt der Stützelemente
Die Kelchstützen unterscheiden sich in ihrer Neigung, Form und Höhe voneinander. Den meisten gemein ist die Grundform des Trichters mit einem schmalen Fuß, einem um den hohlen Kern gebogenen Schaft und einem ausladenden Kopf, der das kreisrunde Lichtauge fasst. Letzteres wird mit einer Stahl-Glas-Konstruktion geschlossen, durch die das Tageslicht auf die Bahnsteige fällt. Die Formen folgen laut Ingenhoven Architects auf effiziente Weise dem Verlauf der Kräfte. Neben dem Regelkelch gibt es auch Rand- und Restkelche sowie einen Sonderkelch mit besonders großem Lichtauge, der Rolltreppen und Aufzüge fassen soll.
Im Moment ist der neue Bahnhofsteil noch unfertig, aber dafür lässt er sich pur – also noch weitgehend ohne Einbauten – erleben. Das breite Publikum wird die fertigen Trichter voraussichtlich ab Ende 2025 vor Ort bewundern können: Dann soll der neue Bahnhof in Betrieb gehen.
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Schalung: Schalungskörper aus massivem Brettsperrholz
Für jeden Kelch werden über 80 großformatige Schalungskörper benötigt. Die Spezialanfertigungen aus massivem Brettsperrholz sind tragend ausgebildet und können mehrfach wiederverwendet werden. Im Schnitt kommt jedes Sonderschalungsteil fünf bis sechs Mal zum Einsatz. Einzelne Stücke werden sogar bis zu 24-mal verwendet.
Hergestellt wurden die Sonderschalungskörper aus einem Rohling, der aus verklebten Brettsperrholzvolumen besteht. Ein Fräsroboter brachte das Holz in mehreren Bearbeitungsschritten in die gewünschte Form. Die Präzision dieser automatisierten Herstellung wurde mithilfe eines 3D-Scans überprüft. In einer eigenen Lackierstraße ließ das Planungsteam die Schalungskörper mit einer speziell entwickelten Mischung aus Harzen beschichten.
Verfahrbare Schalungstürme
Betoniert wird in drei Abschnitten: Zunächst entsteht der Fuß, dann der eigentliche Kelch und schließlich der Ring, der das Lichtauge fasst (die sogenannte „Hutze”). Im unteren Bereich fassen Stahlgurte die Schalungskörper, die zusätzlich seitlich abgestützt werden. Die Schalelemente der Außenseite des Kelchs sind auf Gerüsttürme montiert, die zum Einsatzort gefahren werden können.
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Stützen für die Stütze
Die Betonage einer einzelnen
Regelkelchstütze erfolgt mithilfe von circa 700 Kubikmeter
Weißbeton. Es handelt sich um eine spezielle Mischung, der unter
anderem Polypropylenfasern zugegeben wurden – eine vor allem im
Tunnelbau gängige Methode, um im Brandfall Abplatzungen und das
Versagen der Bewehrung zu vermeiden. Die ausgeschalten Kelche
werden temporär von Stahlstützen getragen, bis die Schwindgassen
des 450 Meter langen und 80 Meter breiten Daches geschlossen sind
und die Kräfte wie geplant abgeleitet werden können.
Während die Stützen weitgehend aus Ortbeton bestehen, kommen bei
anderen sichtbaren Flächen oft Weißbeton-Fertigteile als
Einmalschalung zum Einsatz. Unverzichtbar sind bei der Erstellung
der vielen verschiedenen Betonbauteile die Bewehrungs-, Trag- und
Schalungsgerüste, die den Zugang ermöglichen und das Bauwerk
temporär unterstützen. -chi
Bautafel
Architektur: ingenhoven architects, Düsseldorf (Team: Christoph Ingenhoven, Klaus Frankenheim, Hinrich Schumacher, Michael Rathgeb, Bjørn Polzin, Dr. Dieter Henze, Peter Pistorius, Martin Gehrmann, Jascha Klusen, Huub Donkers, Matej Ferenc, Anemone Ingenhoven-Feld, Victor Braun, Vanessa García Carnicero, Elvan Urungu, Peter Georg Vahlhaus, Pavlos Antoniou, Julian Blönnigen)
Projektbeteiligte: Frei Otto, Leonberg (wissenschaftliche Unterstützung für Schalenstruktur und biomorphe Form); WKM Weber Klein Maas (Landschaftsarchitektur); Werner Sobek, Stuttgart / Ingenieurarbeitsgemeinschaft Tragwerksplanung S21 Hauptbahnhof GbR sowie Leonhardt, Andrä und Partner, Stuttgart, und Happold Ingenieurbüro, Berlin (Tragwerksplanung); Werner Sobek, Stuttgart (Fassadenplanung); Smoltczyk & Partner GmbH, Stuttgart (geotechnische Beratung); Drees & Sommer SE, Stuttgart / NEK Ingenieure, Frankfurt am Main / HL-Technik AG Beratende Ingenieure, Frankfurt am Main (Technische Gebäudeausrüstung); Drees & Sommer SE, Stuttgart (Bauphysik); BPK Fire Safety Consultants GmbH & Co.KG, Düsseldorf (Brandschutz); Kunst- und Tageslicht Tropp Lighting Design, Weilheim (Lichtplanung); IFI Institut für Industrieaerodynamik, Aachen (Durchströmungsanalyse); DB Projekt Stuttgart Ulm GmbH, Stuttgart (Bauüberwachung); Züblin, Aichach (Schalungskörper Kelchstützen); Peri, Weißenhorn (Gerüste und Rahmenschalungen)
Bauherr/in: Deutsche Bahn AG, Berlin vertreten durch DB Projekt Stuttgart-Ulm (PSU) GmbH, Stuttgart
Standort: Arnulf-Klett-Platz 2, 70173 Stuttgart
Fertigstellung: Ende 2025 (geplant)
Bildnachweis: ingenhoven architects / HGEsch, Achim Birnbaum; Züblin Timber, Aichach