Medizin- und Kinderbetreuungszentrum mit Bürgertreffpunkt in Kitakami
Umbau und Re-Use
Im Sinne eines ressourcenschonenden Umgangs mit Bausubstanz beschäftigen sich Architekturschaffende auf der ganzen Welt immer mehr mit Re-Use, Renewal und Repurposing, also mit Transformation und Adaption statt mit Abriss und Neubau. Ein Beispiel für einen in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerten Re-Use-Umbau stammt aus der japanischen Stadt Kitakami. Die Stadt mit knapp 90.000 Einwohnern liegt etwa 500 km nördlich von Tokio auf der Insel Honshu und ist über die Shinkansen-Hochgeschwindigkeitszüge, die Japan vom südlichsten Punkt bei Kagoshima-Chuo bis Hokkaido im Norden und demnächst sogar bis Sapporo ultraschnell verbinden, sehr gut verknüpft. Fukushima ist etwa 180 km entfernt.
Gallerie
Mischnutzung als Re-Use
Im Zentrum von Kitakami, fußläufig vom Hauptbahnhof erreichbar, befindet sich eine große Shoppingmall mit mehreren Gebäudeabschnitten. Die beiden unteren Geschosse in einem dieser Teile wurden kürzlich von zwei jungen Architekturbüros, die sich zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen haben, radikal transformiert. UtA, also Hiroyuki Unemori von Unemori Architects und Chie Konno von Teco Studio, implementierten eine auf den ersten Blick ungewöhnliche Nutzung. Der zweite, nämlich regionale Blick zeigt eine nachvollziehbare soziale Nutzungsmischung, nämlich ein Medizinzentrum für Erwachsene und Kinder, eine Kinderbetreuung mit Indoor-Spielplatz, einen Bürgertreffpunkt inklusive Tresen, Gemeinschaftsküche und Essensbereich, einen Ausstellungsbereich mit Konferenz- und Gruppenräumen, dazu Büros, ergänzt um Sanitär- und Nebenräume.
Fensterloser Klotz versus Transparenz mit Fenstern und Schiebetüren
Das achtgeschossige Bestandsgebäude, das erst 1999 gebaut wurde, ist ein fensterloser Klotz, so wie weltweit zahlreiche Einkaufszentren. Daher war die Öffnung zum öffentlichen Straßenraum ein wichtiges Anliegen hinsichtlich Nähe zur Einwohnerschaft, einladender Auffindbarkeit und Transparenz.
Das Planungsteam analysierte das bestehende Gebäude und identifizierten das Stahlskelett als leistungsfähige Tragstruktur und somit gute Basis für eine gründliche Entkernung. Auch tasteten sie die sechs höheren Geschosse nicht an. Als Vorteil erwies sich, dass sich Technikräume, Rampen für die Parkgaragengeschosse und der Haupterschließungskern mit Aufzügen und Treppenhaus seitlich befinden und damit die Neuorganisation des Grundrisses nicht behindern. Die bestehende Fassade wurde straßenseitig beiden unteren Geschossen demontiert. Durch diese Maßnahmen gewannen UtA ein neu zu gliederndes und gestaltendes Volumen mit einer Fläche von etwa 4.000 m² und einer Höhe von knapp 11 m.
Für eine natürliche Belichtung, aber auch für gute Ein- und Ausblicke wurden Erd- und Obergeschoss vollständig mit einer Reihung stehender Fenster mit Brüstungsfeldern verglast. Im Bereich der Brüstungen im Erdgeschoss wurden lange Bänke angeordnet, um entspanntes Warten und Ruhepausen zu ermöglichen.
Vordach, Atrium und Sichtbezüge
Eine langgezogene Kurve ist einerseits Vordach und damit Witterungsschutz für diese Bänke, andererseits schwungvolles Wiedererkennungsmerkmal für ein wortwörtlich offenes Haus. Der Eingangsbereich ist geometrisch beim höchsten Punkt der Vordachkurve und lädt durch sehr breite und raumhohe Schiebetüren zu einem Eintritt ins Gebäude ein. Auch die innere Gestaltung ist vom Prinzip der lichten Transparenz bestimmt. Das Foyer führt in ein innenliegendes zweigeschossiges Atrium, um das sich die verschiedenen Funktionen gruppieren. Diese sind wiederum mit stehenden Fenstern als gläsernen Wänden und damit durch zahlreiche Sichtbezüge verbunden. Der Gemeinschaftsbereich wird außerdem um eine gläserne Galerie und Sitzstufen erweitert. Der Indoor-Spielplatz für die Kinder nimmt eine besondere Rolle ein, indem er in der Art eines geschwungenen Split-Level mit Hüpfnetzen und Kletterbrücken spielerisch dreidimensional den Raum strukturiert.
Lediglich die medizinischen Beratungs- und Untersuchungsräume, unterschieden nach Erwachsenen und Kindern, und flächenmäßig großzügig im Vergleich zu Behandlungsräumen hiesiger Kinderärzte, liegen rückwärtig und damit geschützt vor Einblicken. Diese Bereiche sind dennoch sinnvoll und kompakt erschlossen, da sie ohne lange Flure mit den Gemeinschaftsräumen kombiniert sind.
Materialien wie helles Sperrholz, viel Glas, transluzente
Verkleidungen, grundsätzlich helle Texturen bei Farb- und
Metalloberflächen, ebenso Kissen und Vorhänge unterstreichen die
freundliche und einladende Atmosphäre. -sj
Bautafel
Architektur und Mobiliar: UtA / Unemori Teco Associates, Tokio
Projektbeteiligte: Design Office Momi (Tragwerksplanung); ZO consulting engineers (Haustechnik); Hazama Ando Corporation und Obara Construction, Tokyo (Bauausführung); Nippon Design Center Inc Irobe Design Institute (Beschilderung); Talking about Curtains (Textilien)
Fertigstellung: 2021
Standort: 1-chome-4 Shinkokucho, Kitakami, Präfektur Iwate, Japan
Bildnachweis: Kai Nakamura, Tokio