Erweiterung Königliches Museum für Zentralafrika in Tervuren

Zeitgemäßer Zugang zur schwierigen Vergangenheit

In Tervuren, wo einstmals für das koloniale Engagement geworben wurde, bemüht sich Belgien heute um die transparente Aufarbeitung seiner Geschichte. Davon zeugt nicht nur die Ausstellung im Königlichen Museum für Zentralafrika, sondern auch der gläserne Erweiterungsbau bei Brüssel.

Gallerie

Auf der Berliner Kongo-Konferenz des Jahres 1885 wurde Belgien das zentralafrikanische Gebiet zwischen Tanganjikasee und Atlantikküste zugesprochen, das heute das Territorium der Demokratischen Republik Kongo bildet. Nachdem im Zuge der Weltausstellung des Jahres 1897 im belgischen Tervuren, südöstlich von Brüssel, eine „Völkerschau" inszeniert worden war, entstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Königliche Museum für Zentralafrika an dieser Stelle. Wiederum fünf Dekaden nach Eröffnung des Ausstellungsbaus wurde Belgiens Kolonialgeschichte beschlossen: Ein Bürgerkrieg, der als Stellvertreterkonflikt durch die Supermächte beiderseits des Eisernen Vorhangs befeuert wurde, und eine langjährige Diktatur folgten auf die brutale Kolonialherrschaft, die 1960 endete. Die Herausforderung, nunmehr diese komplexe Historie zu erforschen und zu vermitteln, machte einen Umbau und die Erweiterung des Ausstellungsgebäudes erforderlich. Angeleitet durch das Büro Stéphane Beel Architects, kann die Transformation anderen europäischen Ländern, die, noch zögerlich, ebenfalls die Auseinandersetzung mit ihrer Kolonialgeschichte suchen, zum Vorbild gereichen.

Insbesondere die Gestaltung des Besucherzentrums, das südwestlich des Bestandsgebäudes errichtet wurde, reflektiert einen Umgang mit der kolonialen Vergangenheit, der sich von den Untaten, die im Namen des Königreichs verübt wurden, distanziert – ohne dabei jedoch die eigene Geschichte zu leugnen. So orientierten sich die Architektinnen und Architekten bei der Anlage des Neubaus am historischen Bestand, indem sie das zweigeschossige Volumen ebenfalls an der Leuvensesteenstraat ausrichteten. Statt aber Bezug auf das neobarocke Idiom zu nehmen, dessen sich, hundert Jahre zuvor, der Architekt Charles Girault bedient hatte, ist an die Seite des Museumsgebäudes ein schnörkelfreier gläserner Pavillon getreten.

Oberhalb des Foyers samt Kasse und Museumsshop, das im Erdgeschoss zu finden ist, beherbergt die erste Etage ein Restaurant. Die weitaus umfassenderen Flächen aber sind unterirdisch auf zwei weiteren Geschossen entstanden, die Platz für Wechselausstellungen und Vorträge bieten. Außerdem findet sich hier der Zugang zum historischen Gebäude.

Zuweg von unten

Denn parallel zu einem Tunnel, der allein dem Museumsbetrieb dient, verläuft eine zweite Passage, die den Gästen vorbehalten ist. Belichtet durch ein Atrium, wird die Galerie durch eine historische Piroge gesäumt: Das ranke Wasserfahrzeug kündet von dem Strom, der dem afrikanischen Staat seinen Namen gab. Empfangen durch einen weiteren in den Grund geschnittenen Lichthof, betreten die Besucherinnen und Besucher am entgegengesetzten Ende des Korridors auch den Altbau im Untergeschoss. Der Gästegang führt sie direkt zu den Räumlichkeiten der Museumspädagogik, die im vormaligen Keller untergebracht sind, wie auch in einen Zubau, der im ausgehobenen Innenhof zu finden ist. Der dienstbare Flur hingegen mündet bei den Werkstätten und Lagerräumen, sodass auch die Ausstellungsflächen im Neubau von hier aus ohne Mühen zu beschicken sind.

Fenster: Transparenz durch eisenarme Scheiben

Schließlich nimmt auch der Ausstellungsparcours an dieser Stelle seinen Ausgang, indem zunächst die wechselhafte Geschichte des Hauses Vorstellung findet. Dieses Bestreben, auch die Historie der Institution mit zu verhandeln, findet weiterhin seinen deutlichen Ausdruck in den Kabinetten, die zu ebener Erde angeordnet sind. Nach ihrer Restaurierung wurden dabei auch die einstigen Ausstellungsmöbel, die sich um moderne Displays ergänzt finden, wieder in Dienst gestellt.

Die besagte Konfrontation von Vergangenheit und Gegenwart aber manifestiert sich schließlich auch in der filigranen Verglasung der Kolonnade, die auf ähnlichen Modulmaßen beruht wie die sie den Fassadenelementen des Neubaus eignen. Ihren Halt verdanken die Scheiben, die sich aufgrund ihres geringen Eisengehaltes besonders transparent ausnehmen, im Girault-Bau innenseitig geführten schwarzmetallenen Schwertern. Hingegen dient ein edelstählerner Rahmen, der an Boden und Decke anschließt, der Halterung der großformatigen Panormaschiebefenster im Besucherzentrum, die Ausblicke in den weitläufigen Park und, im Nordosten, eine gleichsam gerahmte Ansicht des historischen Museums bieten. -ar

Bautafel

Architektur: Stéphane Beel Architects, Gent
Projektbeteiligte: Origin, Brüssel (Restaurierungsarbeiten im Bestandsbau); Niek Kortekaas, Antwerpen (Szenographie); Michel Desvigne Paysagistes, Paris (Landschaftsarchitektur); Arup NL, Amsterdam (Tragwerksplanung); RCR Studiebureau, Herent (Gebäudetechnik); Daidalos Peutz, Leuven/Hooglede (Bauphysik und Akustik)
Bauherr/in:
Gebäudeverwaltung, Brüssel
Fertigstellung:
2018
Standort:
Leuvensesteenweg 13, 3080 Tervuren, Belgien
Bildnachweis: Luca Beel

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