Angesichts eines großen Bedarfs an (bezahlbarem) Wohnraum, knapp
gewordenen Freiflächen in der Stadt und dem Ziel, eine zusätzliche
Versiegelung von Freiflächen möglichst gering zu halten, spielen
Umnutzung und Aufstockung von Bestandsbauten eine zunehmend
wichtige Rolle. Neben den genannten Aspekten gibt es
wirtschaftliche Gründe, die für eine bessere Ausnutzung der
vorhandenen Wohn-, Büro- und Gewerbebauten oder aber brachliegender
Industriegebäude sprechen. Beispiele dafür gibt es bereits
zahlreiche, und der Prozess ist lange nicht abgeschlossen – ganz im
Gegenteil bergen die fortschreitenden Möglichkeiten der Vorfertigung ein enormes, bei weitem nicht
ausgeschöpftes Potenzial.
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Holz ist prädestiniert für Aufstockungen
Aufgrund des günstigen Verhältnisses von Eigengewicht zu
Tragvermögen eignet sich der Baustoff Holz wie kaum ein anderer für
die Aufstockung und Erweiterung im Bestand. Denn insbesondere die
Statik ist entscheidend, ob ein Gebäude dafür geeignet ist. Viele
Altbauten weisen grundsätzlich die notwendigen Lastreserven auf –
eine genaue Prüfung der Statik ist in jedem Fall unerlässlich.
Die Ertüchtigung der obersten Geschossdecke ist eine relativ
einfache Möglichkeit, um die notwendige Tragfähigkeit zu
gewährleisten. Ein hohes Maß an Vorfertigung der aufgesetzten
Holzkonstruktion verkürzt nicht nur die Bauzeit, es reduziert auch
die Einschränkungen bei der Nutzung eines Gebäudes während der
Arbeiten, wenn diese bei laufendem Betrieb bzw. in bewohntem
Zustand erfolgen soll.
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Kita auf dem Parkhaus
Wie wirkungsvoll eine solche Aufstockung dem städtischen Umfeld
zugutekommt, zeigt ein Beispiel in Nürnberg aus dem Jahr 2015: Auf
dem Dach eines bestehenden Parkhauses (Baujahr 1979) realisierten
Querwärts Architekten die Kita Wolke 10 (Abb. 1-3). Der
Holzständerbau wird über einen Aufzug direkt von der Straße
erschlossen – im Notfall übernimmt dieser die Funktion des
Feuerwehraufzugs. Eine großzügige Spiel- und Gartenlandschaft über
den Dächern der bayerischen Metropole ergänzt die
Kindertagesstätte, bei der Holz das prägende Baumaterial ist.
Weniger ungewöhnlich ist der Ausbau bzw. die Aufstockung von
Dachgeschossen innerhalb eines Blockrands bzw. einer Reihenbebauung
des späten 19. oder 20. Jahrhunderts (Abb. 6). Auch dafür bieten
sich Holzkonstruktionen an – Wohngebäude des ausgehenden 19.
Jahrhunderts sind vielfach mit Holzbalkendecken ausgeführt, ebenso
bestehen vorhandene Dachkonstruktionen häufig aus dem
nachwachsenden Baumaterial. Eine Erweiterung des Wohnraums auf der
obersten Ebene ist meist relativ problemlos möglich; die Belange
des Brandschutzes sind allerdings zu klären – so zum Beispiel,
ob das Gebäude nach Aufstockung in eine andere Gebäudeklasse
einzuordnen ist (s. Surftipps: Baunetz Wissen
Brandschutz).
Mit den Treehouses in Hamburg-Alsterdorf (2010, Abb. 7,
8) schufen Blauraum Architekten 47 neue Wohneinheiten: Sechs
Wohnblöcke von 1959 wurden saniert und in Holzrahmenbauweise
aufgestockt. Die bestehenden massiven Kerne wurden zur Erschließung
weitergebaut und erfüllen damit die notwendigen
Brandschutzbestimmungen.
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Konstruktionsvielfalt – abhängig vom Bestand
Je nach Eigenschaften des Bestandsgebäudes, seiner tragenden
Struktur, der Anordnung haustechnischer Installationen und der
vorhandenen Erschließung richtet sich die Art der Aufstockung. Die
Leichtbaukonstruktion kann in Form von Stützen und Balken, mit
Holzrahmen- und Holztafelbauelementen, aus Brettstapel- oder
Brettsperrholz ausgeführt werden. Statisch folgt sie entweder dem
(ggf. verstärkten) Tragwerk, sie kann aber auch mal quer zur
Hauptrichtung angeordnet sein (Abb. 5).
Ein aktuelles Beispiel für eine Erweiterung von Wohnquartieren
der Nachkriegszeit ist die Platensiedlung in Frankfurt (Abb.
9-13): Architekt Stefan Forster plante eine Aufstockung der
dreigeschossigen Zeilen einer ehemaligen Kasernenanlage, die sich
nach statischer Ertüchtigung des Fundamentes und dem Einbau eines
Ringankers anstelle des Satteldaches um zwei Geschosse mit
Flachdach erhöhen ließen. Dies erfolgte in modularer Bauweise, die
Wohnmodule wurden inklusiv sämtlicher Installationen und weitgehend
ausgebaut angeliefert. Die Wände, das Treppenhaus und die
Geschossdecken bestehen aus Kreuzlagenholz, die Fassaden sind in
Holzriegelbauweise vorgefertigt.
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Ebenfalls im Jahr 2020 vollendet – und zwar im laufenden Betrieb
– wurde die Erweiterung der Berlin Metropolitan School nach
Plänen von Sauerbruch Hutton. Das bestehende Schulgebäude, ein
Stahlbeton-Systembau (Plattenbau) in der Spandauer Vorstadt,
entstammt den 1980er-Jahren. Die variierende Höhe der einen Hof
umfassenden Gebäudeteile führte zu einer ein- bis zweigeschossigen,
mit Kupferblech gedeckten, asymmetrischen Aufstockung, die zum
Pausenhof geneigt bzw. gewölbt ist (Abb. 14-16). Die
vorgefertigten, an den Gelenkpunkten gleichsam parallel
verschobenen Holzrahmen (Furnierschichtholz) sind ausgesteift durch
Wände aus Brettsperrholz. Zum Einsatz kamen außerdem
Hohlkasten-Rippenelemente. Eine Verstärkung der vorhandenen
tragenden Bauteile war nicht notwendig. Die Konstruktion ist auf
Abbrand bemessen und entspricht wie der Bestand der Klassifizierung
F60.
Literatur: Hermann Kaufmann, Stefan Krötsch,
Stefan Winter: Atlas Mehrgeschossiger Holzbau, Edition Detail,
München 2017; Mario Rinke, Martin Krammer (Hrsg.): Architektur
Fertigen - Konstruktiver Holzelementbau, Triest Verlag, Zürich
2020; Forum Holzbau Deutschland: 1. Holzbau Kongress Berlin DHK
2020 - Bauen mit Holz im urbanen Raum, Biel 2020
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