Aufstockung K.118 in Winterthur

Re-Use par excellence

Er fällt im sich wandelnden Industrieareal von Winterthur sofort ins Auge: der orangerot leuchtende Quader, der eine Halle aus ockerfarbenem Mauerwerk bekrönt. Ein bestehendes dreistöckiges Fabrikgebäude zu sanieren und um drei Geschosse mit Atelier- und Werkräumen aufzustocken war die Aufgabe, der sich das Baubüro in situ annahm. K.118 heißt das bemerkenswerte Projekt, das beispielhaft zeigt, wie Re-Use von Baumaterialien in der Praxis aussehen kann.

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Kopfbau der Halle 118 auf dem Sulzer-Areal

Der Kopfbau der Halle 118 ist die Basis der augenfälligen Aufstockung. Das langgestreckte, gemauerte Gebäude war Teil einer Maschinenfabrik aus dem 19. Jahrhundert, die schließlich Ende der 1980er-Jahre stillgelegt wurde. Auf den südlichen Teil des Riegels wurden die drei Etagen samt zusätzlicher außenliegender Erschließung aufgebaut. Ateliers, Denkstuben und ein Tüftler-Labor haben Platz. Der Bau befindet sich auf dem rund 22 Hektar großen Sulzer-Areal, südwestlich vom Hauptbahnhof Winterthur. Wo einst die Gießerei Sulzer seit 1834 sowie die Schweizerische Lokomotiv- und Maschinenfabrik seit 1872 ihre Produktionsstätten hatten, entsteht Neues, seitdem 1989 die beiden Grundstücke für eine Neunutzung freigegeben wurden. 

Ateliers und Werkstätten

Zwölf Atelierräume und Werkstätten verteilen sich auf sechs Etagen. Das hohe Erdgeschoss mit zwei hineinragenden Ebenen wurde zur Werkstattnutzung mit Schränken und robusten Tischen umgestaltet, jeweils eine Treppe führt auf das Halbgeschoss. Alle Räume sind groß, offen und hell. Auf jeder Etage wurden Küchenzeilen und Sanitärräume sowie Heizungen eingebaut. In den drei neuen Obergeschossen werden je vier Räume ausgebildet, die sich um einen Kern mit WC-Kabinen gruppieren. Gemeinschaftsräume mit Küche und Essplatz sowie Arbeitsräume mit Waschbecken bieten Platz für kreatives Arbeiten und Austausch.

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Leuchtturm für klimagerechtes und nachhaltiges Bauen

Die Sanierung und Aufstockung ist zugleich ein Pilotprojekt, bei dem eine klimagerechte Bauweise die Grundlage bildet: Verwendet wurde überwiegend gebrauchtes Baumaterial – von den Stahlträgern, Stahltreppen und Fassadenblechen über Heizkörper, Waschbecken und Photovoltaikanlage auf dem Dach bis zu den Fenstern und Türen sowie Briefkästen. Die Bauteile stammen aus zum Abbruch vorgesehenen Gebäuden, wie dem Bürobau Orion in Zürich, das lediglich 28 Jahre lang genutzt wurde, dem ehemaligen logistischen Verteilzentrum eines Supermarktes in Basel, einer Wohnsiedlung in Winterthur und dem benachbarten Gewerbebau Sulzer Werk 1. Für K.118 lag der Fokus auf der Reduktion der Grauen Energie: 60% der Treibhausgasemissionen und 500 Tonnen Primärmaterialien konnten im Vergleich zu neuen Bauteilen eingespart werden, resümiert das Baubüro in situ.

Konstruktion der Aufstockung

Ein Stahlskelett, das zuvor die Verteilzentrale von Coop auf dem Lysbüchel-Areal in Basel stützte, bildet die Tragstruktur der Aufstockung. Erschlossen werden die Geschosse durch die vom Zürcher Orion stammende Stahltreppe an der Nord-Westfassade, die zusätzlich zu einem Aufzug angebaut wurde. Die Treppenpodeste geben die Geschosshöhen vor. Beton wurde so wenig wie nötig und nur dort eingesetzt, wo es statisch oder für Brand- und Schallschutz unvermeidlich war, wie bei den Geschossdecken und Kammerbetonstützen.

Wände aus Holz, Stroh und Lehm

„Alle Dinge, die schon da sind, plus Holz, Stroh und Lehm" lautet formelhaft die Prämisse. Für die Außenwände der drei neuen Obergeschosse kommen vorgefertigte Elemente aus Holz samt alter Fenster zum Einsatz. Die Holzelemente sind zur Dämmung ausgefacht mit einer verschnittfreien Füllung aus Strohballen und innenseitig verputzt mit lokalem Aushublehm.

In die Innenwände aus Holz sind wiederverwendete Türen sowie Dreischichtplatten aus dem Bühnenbau eingefügt, die Massivholzfußböden und Dachelemente stammen von einem vormaligen Holzbauprovisorium. Hier kommt zum Tragen, dass sich verleimte Holzwerkstoffe und -elemente gut für den mehrmaligen Einsatz eignen. Mit einer losen Schüttdämmung sind die Böden verfüllt – denn wichtig war auch, dass die Materialien der Sanierung und Aufstockung wiederum rückbaubar und wiederverwendbar sind.

Alte Teile, neue Funktionen

Kreativ ist die Wiederverwendung, denn die Bauteile und Materialien werden an vielen Stellen neuen Funktionen zugeführt. Beispielsweise waren die Granitplatten der Bodenbeläge von Küchen, Toiletten und den halbhohen Ebenen zuvor die Fassade vom Zürcher Bürogebäude Orion. Der Parkettboden im Gemeinschaftsraum des 4. Obergeschosses stammt aus einem Weinlager. In den Bestandsbau eingezogene, geschichtete Ziegelwände bestehen aus vormaligen Dachziegeln vom Sulzer Werk 1, alte Metallspinde finden eine neue Verwendung als Absturzsicherung, um nur einige zu nennen.

Fassade und Fenster

Die markante orangerote Hülle vor den Wänden aus Holzrahmenelementen besteht aus Trapezblech und stammt von der nahe gelegenen Druckerei Ziegler aus Winterthur. Die Fassadenbleche wurden nicht beschnitten, sondern überlappen stattdessen. Von zwei Gebäuden kommen die Fenster, die zusammen mit der roten Fassade vor Witterung schützen und mit ihren unterschiedlichen Formaten das Äußere prägen. Zum Einen werden Aluminium-Isolierfenster vom Bürobau Orion verwendet. Mit zwei und drei gereihten Flügeln sind sie querformatig und mit außen liegenden Raffstoren als Sonnenschutz versehen. Als bodentiefe, hochformatige Fenster kommen Industriefenster vom Sulzer Werk 1 zum Einsatz. Zuvor einfach verglast, wurden sie in der neuen Fassade zu Kastenfenstern aufgedoppelt.

Lohnender Mehraufwand

Die Architekturschaffenden beschreiben, dass das zirkuläre Bauen einen umgekehrten Planungsprozess bewirkt, der den sich bietenden Gelegenheiten folgt und mit dem Finden von Material beginnt. Die Auswahl und das Katalogisieren sind die nächsten Schritte, damit die Bauteile wieder eingesetzt werden können. Der sorgfältige Rückbau, die Aufbereitung und der Wiedereinbau sind zeitintensiv. Dieser Aufwand und die erforderliche Handarbeit und Fachkenntnis durch beteiligte Handwerksunternehmen bis zum Einbau führt zu einer Verschiebung der Wertschöpfung: So entsprechen die Kosten denen eines gleichwertigen Neubaus, jedoch wurden die ökonomischen Mittel umverteilt und fließen nicht in die Neuanschaffung von Materialien, sondern in die lokale Wirtschaft und in die Entwicklung von Wissen. Reduziert werden konnten die CO2-Emissionen – um mehr als die Hälfte. Denn alte, solide Bauelemente nicht zu entsorgen, sondern für neue Gebäude wiederzuverwenden, spart Ressourcen und reduziert den Energieverbrauch sowie die Treibhausgasemissionen in der Erstellungsphase. Die Aufstockung wurde ausgezeichnet mit dem Prix Acier 2021 – Recognition sowie dem Holcim Award for Sustainable Construction – Global & European Gold Winner.

Das Projekt K.118 wurde im Rahmen eines interdisziplinären Forschungsprojekts hinsichtlich architektonisch-konstruktiver, energetischer, ökonomischer, prozessualer und rechtlicher Fragen begleitet und ausgewertet. Dies ist in dem Buch Bauteile wiederverwenden eingehend dokumentiert. So gibt das Kompendium detaillierten Einblick in den konkreten Planungs- und Bauprozess von zirkulärem Bauen. -jb

Bautafel

Architektur: baubüro in situ, Zürich (Marc Angst, Pascal Hentschel, Benjamin Poignon)
Projektbeteiligte:
Oberli Ingenieurbau (Bauingenieur); Josef Kolb, Stefan Signer (Holzbauingenieur); Russo Haustechnik-Planung (HLKS Planung); Zehnder Holz und Bau (Holzbau); Wetter, Marc Kreissig (Stahlbau)
Bauherr/in:
Stiftung Abendrot, Basel
Standort:
Lagerplatz 24, 8400 Winterthur, Schweiz
Fertigstellung:
2021
Bildnachweis: Martin Zeller www.studiozeller.com

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Kontakt Redaktion Baunetz Wissen: wissen@baunetz.de
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