Aus der Röhre gucken kann man im wahrsten Sinn des Wortes in dem
umgebauten Silo einer Mühle am Düsseldorfer Hafen. Ingenhoven
Associates haben das Industriedenkmal aus Stahlbeton unter anderem
mit Fenstern versehen und Ebenen in die fast 30 Meter hohen Türme
eingezogen. Die Räumlichkeiten nutzt nun eine radiologische und
orthopädische Klinik.
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Sei es in Hamburg, London, Kopenhagen, Lissabon, Amsterdam und
vielen weiteren Städten – zahlreiche Hafengelände werden in
europäischen Städten aufgrund des Strukturwandels nicht mehr als
Industrie-, Logistik und Transportflächen benötigt und deshalb als
Konversionsflächen klassifiziert. Diese Areale und die Gebäude
darauf werden für eine nachhaltige zukünftige Nutzung analysiert
und transformiert, um bestenfalls einer weiteren Zersiedelung und
Minderung von natürlichem Grünraum entgegenzuwirken. Der
Düsseldorfer Hafen, der in der Gründerzeit Ende des 19.
Jahrhunderts als Erweiterung des Rheins als Binnenhafen angelegt
wurde, erfährt seit den 1990er-Jahren eine Umwidmung und ehrgeizige
Neuorganisation als Medienhafen. Ehemalige Lagergebäude sind
seitdem zu Studios, Lofts, Büros und Kanzleien, zu Restaurants und
Clubs umgebaut worden, bietet doch die urbane Lage an den
Wasserbecken eine hohe Aufenthaltsqualität.
Architektonisches Vermächtnis und Mühlenareal auf einer
Landzunge
Die Landzunge, auf der sich die ehemalige Plange Mühle befindet,
wird seit den 2000er-Jahren von Christoph Ingenhoven und seinem
Büro zu einem Plange Mühle Campus umgestaltet. Georg Plange,
der aus Soest in Westfalen stammt, gilt als der Erfinder des
Haushaltsmehls. Die Familie Plange war nicht nur
betriebswirtschaftlich gut aufgestellt, sondern auch
architektonisch interessiert. Für den Familiensitz in Soest
beauftragte sie Bruno Paul, einen der einflussreichsten Architekten
der frühen Moderne. Paul entwarf und baute eine Villa als
Backsteinbau im Stil der neuen Sachlichkeit, die auch heute noch in
ihrer subtilen Eleganz beeindruckt. Im Eingangsbereich der Villa
wird der Namen des Patrons Georg Plange kunstvoll typographisch
verfremdet als Supraporte präsentiert. Sogar Ludwig Mies van der
Rohe zollte den Arbeiten Bruno Pauls hohen Respekt und studierte
dessen Grundrisse sehr sorgfältig für seine eigenen Arbeiten.
Die Mühle im Düsseldorfer Hafen wurde 1906 in Betrieb genommen
und bis in die 1950er-Jahre kontinuierlich erweitert um
Verwaltungsbauten, Energiezentrale, Verladestation und Silos für
das Getreide, ehe sie 1995 aufgegeben wurde und mehrere Jahre leer
stand.
Stahlbetonröhren als fensterlose Türme
Eine Besonderheit des Plange-Ensembles sind neben den
monumentalen Backsteinbauten zehn Betonsilos. Mit dem Entwurf
wurden 1929 Karl Wach und Heinrich Rosskotten beauftragt, zwei
Architekten, die als Vertreter des Neuen Bauens das Zusammenwirken
von Funktion, Gestalt und Konstruktion neu definierten. Die
vertikalen Röhren wurden als fast 30 Meter hohe Funktionsbauten mit
einem Fassungsvermögen von etwa 12.000 m³ in einer damals
innovativen Stahlbeton-Freischalung errichtet. Im Jahr 2000 wurden
sie als Industriedenkmal unter Schutz gestellt. Eine
Zwillingsgruppe von weiteren zehn Silos, die 1934 als Erweiterung
errichtet wurde, existiert heute nicht mehr.
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Jeweils zwei Silos sind als Paar gebündelt, die im Grundriss
jeweils eine Art Doppelkreis bilden, wie die Ziffer 8. Dadurch
entsteht eine Reihe von fünf Doppelröhren. Seitlich befindet sich
ein orthogonaler Turm, der ursprünglich ein Treppenhaus und
spezielle Aufzüge zum Hochtransport des Getreides beinhaltete und
oben in einen horizontalen Aufsatz für die Transportbänder
übergeht. Dieser Anbau ist wie eine Klammer für die Silos und
ähnelt einem auf dem Kopf stehenden L. Es handelt sich somit um
einen eng stehenden Cluster markanter, jedoch fensterloser
Türme.
Technische Umbaulogistik
Seit der 1964 formulierten Charta von Venedig steht als Fakt,
dass historische Gebäude und Denkmäler am besten erhalten und damit
langfristet gerettet werden, wenn sie statt eines Leerstands eine
sinnvolle Nutzung haben. Anpassungen und Änderungen von Struktur
und Gestalt sind möglich, sollten jedoch sorgfältig durchdacht
werden. Um demnach den Cluster aus opaken Türmen wieder nutzen zu
können, galt es also einerseits in die hohen vertikalen Volumina
Zwischendecken für Geschosse einzufügen und andererseits, in den
Röhren Fensteröffnungen zur Belichtung mit Tageslicht zu schaffen.
Ein Abbruch von Röhrenwänden zur Schaffung großflächiger Öffnungen
war aufgrund des Denkmalschutzes nicht erlaubt, wohl aber ein
Entfernen der Wandscheibenteile im Bereich der inneren
Kopplungszwickel. Außerdem wurde seitens der Denkmalpflege ein
Aufmachen der Deckel oben auf den Röhren gestattet. Die
Umbauarbeiten konnten also ausschließlich von oben nach unten und
innen durchgeführt werden – eine immense logistische wie
technische Herausforderung.
Geschosse, Fensteröffnungen, Schatten
Neun der zehn Röhren sind nun in je sieben Geschosse unterteilt.
Zur Belichtung und Belüftung dieser neu geschaffenen Etagen sind
jeweils zwei nahezu quadratische Fenster in jede Röhre und jedes
Geschoss geschnitten. Die neuen Fenster sind planeben. Sie passen
sich nicht der Krümmung der Röhren an, imitieren diese also nicht,
sondern sind gestalterisch als neue Elemente erkennbar
markiert.
Profile aus Aluminium unterteilen die Fenster in drei Felder mit
Festverglasung und Öffnungsflügel. Die Laibungen zeichnen sich
außen als filigrane plastische Rahmen ab, deren Schattenwurf einen
geometrischen Kontrast zur gekrümmten und hell verputzten Wand
erzeugt. Der so entstehende visuelle Effekt ist rhythmisch
spannend. Die geclusterten Röhren wirken wie eine vertikale Welle,
die regelmässig eingeschnittenen Fenster dagegen wie Teile einer
Faltung.
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Nutzung, Mobiliar, Farbkonzept
Für die neu geschaffenen kreisrunden Räume fand sich eine
Nutzung als radiologische und orthopädische Klinik mit Empfang,
Operationsräumen und Bettenzimmern. Mobiliar, Beleuchtung, Wand-
und Deckenverkleidungen sowie Farbkonzept sind der ungewöhnlichen
Kubatur aus Kreis- und Doppelkreissegmenten angepasst – unter
Einhaltung klinischer Standards und Erfordernisse. Beispielsweise
zeichnet der Bodenbelag im Flur mittels eines Farb- und
Materialwechsels die Konturen der ursprünglichen Silowände nach. Im
Gegensatz zu den Farben im Inneren wurde bei der Fassade auf
jegliche Farbspiele verzichtet. Alle Außenwände wurden lediglich
mit einer 15 cm dicken Dämmputzschicht bauphysikalisch verbessert,
doch diese wurde hell belassen.
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Erschließung bis aufs Dach
Das zehnte Silo hat keine Fensteröffnungen bekommen und blieb
als historische Referenz eine geschlossene Röhre. In diesen Turm
wurden stattdessen eine Treppe und zwei Personen- sowie ein
Bettenaufzug eingefügt. Da das umgebaute Silo-Cluster baurechtlich
als Hochhaus eingestuft wurde, befindet sich eine Fluchttreppe im
historischen Treppen- und Getreideaufzugsturm, der dafür komplett
entkernt wurde. Der Aufsatzriegel wurde zu einem Attikageschoss
umgebaut. Da Recherchen in den historischen Bauakten ergaben, dass
hier ursprünglich bodentiefe Fenster geplant waren, wurden diese
nun als Fenstertüren eingesetzt. Sie ermöglichen einen Zugang auf
kreisrunde Dachterrassen, nämlich auf die damaligen Deckel der
Silos, von denen sich ein weiter Blick auf den Hafen bietet. Als
Brücke verknüpft dieser Riegel das Betonsilo mit dem benachbarten
imposanten Backsteingebäude, das ursprünglich hölzerne Silos
enthielt und bereits 2016 saniert und umgebaut wurde.
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Bis 2025 soll auf der Landzunge noch ein Mobilitätsknotenpunkt
mit Parkhaus und Fahrradstation sowie ein Pier mit mehreren Brücken
entstehen, um den Medienhafen-Campus mit der Düsseldorfer
Innenstadt zu verbinden. -sj
Bautafel
Architektur Umbau 2022: Ingenhoven Associates, Düsseldorf Architektur Bestand 1929: Karl Wach und Heinrich Rosskotten Projektbeteiligte: Rischko Praxisarchitektur, Odenthal (Klinikplanung); Schüßler Plan, Düsseldorf (Tragwerksplanung); Walter Maier Ingenieure, Pulheim (Gebäudetechnik); Wissbau Beratende Ingenieursgesellschaft, Essen (Bauphysik); BPK Fire Safety Consultants, Düsseldorf (Brandschutz) Bauherr/in: Harbour Properties, Düsseldorf Standort: Weizenmühlenstrasse, Plange Mühle 4, Düsseldorf Bildnachweis: HGEsch über Ingenhoven Associates, Stadtarchiv Düsseldorf über Ingenhoven Associates