Torre di Santa Maria in Udine

Transformation eines spätmittelalterlichen Festungsturms

Ein über 700 Jahre alter Wehrturm wurde durch sensible wie selbstbewusste Transformationen von Eingang, Torgewölben, Fenstern und Türen sowie durch ein multifunktionales Implantat zu einem Vetrina, Schaufenster und Stadtmuseum für regionale Produkte und Erzeugnisse.

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Historische Stadtmauern

Die Stadt Udine liegt in der italienischen Region Friaul-Julisch Venetien nahe der Grenze zu Slowenien. In der Altstadt zeugen die Reste mittelalterlicher Stadtmauern ebenso wie zahlreiche Paläste und Kirchen aus den Epochen Gotik, Renaissance und Barock von der langen und eindrucksvollen Geschichte. So gab es in Udine nicht nur einen Ring aus Verteidigungsmauern, sondern der Radius der Stadtmauern wurde aufgrund des damaligen Wachstums der Stadt fünfmal vergrößert. Allerdings halfen die Stadtmauern und Wehrtürme nicht gegen wechselhafte Zugehörigkeiten zu Venedig, den Habsburgern und Österreich, gegen Napoleon, Angriffe im 1. Weltkrieg und eine deutsche Besatzung im 2. Weltkrieg, gegen Pest und Erdbeben. Zuletzt wurde Friaul 1976 durch ein heftiges Erdbeben mit einem Epizentrum nur knapp 30 km nördlich von Udine erschüttert, bei dem fast 1000 Menschen ums Leben kamen.

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Umnutzung eines Turms

Der Torre di Santa Maria ist einer der Verteidigungstürme, die trotz aller Widrigkeiten erhalten geblieben sind. Er wurde im Jahr 1295 als Teil des vierten Stadtmauer-Rings errichtet und erlebte im Laufe der Zeit sehr unterschiedliche Nutzungen. Nachdem er als Wehr- und Verteidigungsposten nicht mehr benötigt wurde und in unmittelbarer Nachbarschaft ein Palazzo entstanden war, wurde der Turm im 17. Jahrhundert in das Ensemble des Palazzo mit Innenhof und Umfassungsmauer integriert. Er wurde als Wohnung vermietet, diente als Depot und Lager, als Museum, beherbergte zwischenzeitlich einen Imbiss, ein Antiquitätengeschäft und stand zuletzt leer.

Nachdem der Verband der regionalen Industrie-Unternehmen den Palazzo als Headquarter bezogen hatte, war der Gedanke zu einer erneuten Umnutzung also naheliegend. Als authentischer Beweis der jahrhundertelangen Tradition der Region sollte er deshalb für Ausstellungen und Präsentationen regionaler Produkte und Erzeugnisse sowie für Konferenzen, Workshops und ähnliche Veranstaltungen restauriert und erweitert werden.

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Analyse und Strategie

Der in Udine ansässige Architekt Alessandro Verona, der in Venedig bei Vittorio Gregotti studierte, unterzog den Turm mitsamt Ensemble und Erschließung einer sorgfältigen baugeschichtlichen wie entwurflichen Analyse. Er entwickelte eine Strategie, mit der die historischen Relikte und Räume respektiert und aufgewertet werden können. Er entfernte Eingriffe und unschöne Überformungen aus dem 20. Jahrhundert wie beispielsweise eine vergitterte Spindeltreppe, die den Blick auf den Turm von der Gasse aus verunstaltete. Von außen sieht der Turm nun fast genauso aus wie im Mittelalter. Frei von jeglicher Nostalgie sind neue Elemente behutsam, jedoch selbstbewusst als zeitgenössische Implantate hinzugefügt worden. 

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Torbogen, Eingang, Windfang, Laibung, Schaufenster

Als Haupteingang wählte Verona nicht den Turm selbst, sondern einen Torbogen in der Umfassungsmauer unmittelbar neben dem Turm. Nach der Stabilisierung und Sanierung des Bogens einschließlich des gemauerten Tonnengewölbes transformierte Verona diesen vormaligen Außenraum in einen Innenraum, indem er hofseitig eine zweite Wand einfügte. Mittels dieser leichten Glaswand gelang es Verona, einen Windfang für ein freundlich-helles Entrée mit einer Rezeption zu schaffen. Die hofseitige neue Tür ummantelte er mit einem Kubus aus Stahlscheiben als Laibung, um den Übergang von alt zu neu gestalterisch zu verdeutlichen. Eine ähnliche Metalltür öffnet sich in der Verlängerung der Eingangsachse in den Garten.

Den großen Torbogen im Sockel des Turms, also die ursprüngliche Tür, wandelte er dagegen demonstrativ in ein Schaufenster. Dieses erlaubt einen Blick in das Turminnere und macht so auf die Ausstellung neugierig. Die neu konzipierte Eingangssituation verbessert die Organisation des Erdgeschosses mitsamt Innenhof und Garten. Besonders vorteilhaft ist zudem, dass der Turm durch die Umwandlung der Tür in ein Fenster wieder als hoch aufragender Körper und damit als historisch bedeutsames Element des Ensembles erkennbar ist.

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Turmfenster

Der Turm ist ein massiger, trutziger Quader auf einem quadratischen Grundriss und erhebt sich über sechs Geschosse. Oberhalb des Torbogens sind die Geschosse durch die Stapelung und unterschiedliche Anzahl von Rechteckgittern und Bogenfenstern ablesbar. Sämtliche Fenster wurden erneuert und setzen sich mit nahezu schwarzen Profilen als filigrane Konturen von den hellgelblich-beigen Steinen ab. Im obersten Geschoss bietet die umlaufende Reihe von Bogenfenstern einen Panoramablick über die Altstadt und darüber hinaus - wie im 13. Jahrhundert, als hier aufmerksam Wache gehalten wurde.

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Implantate

Die räumliche Erweiterung erfolgt als Implantat in Form einer teilweisen Überbauung des Innenhofs. Bei der Proportionierung orientierte sich Verona an der Höhe der mit Zinnen bekrönten Umfassungsmauer des Palazzos. Der Neubau bleibt niedriger als die Zinnen und ist deshalb von außen, also von den umgebenden Gassen aus, nicht sichtbar. Als ein lichter Einzeller dient die räumliche Erweiterung nicht nur als Verteiler zwischen der Ausstellung, dem Turm, einem angeschlossenen Vortragssaal und dem Garten, sondern vielmehr als gemeinschaftlicher Raum für Events, Workshops, Empfänge und eine Bibliothek. Das Flachdach der Erweiterung ist als Dachterrasse konstruiert, die wie eine in die Höhe geschobene Hoffläche wirkt. Ein gläsernes Geländer zum Garten ordnet sich visuell unter und orientiert sich an der Oberkante der Zinnen. Die Terrasse ist unterschiedlich bespielbar und über eine seitliche Treppe für Besucher*innen zugänglich.

Für einen barrierefreien Zugang auf alle Ebenen im Turm, das Mezzanin sowie die Dachterrasse hat Verona einen Aufzug als vertikales Implantat hinzugefügt, das durch Erschließungsbrücken und hell verputzte Wandscheiben physisch vom Turm getrennt ist. 

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Mobiliar

Das Ausstellungsmobiliar greift ebenfalls das Konzept des Implantats auf. Eingestellte schwarze und weiße kubische Volumina aus Wandscheiben, Sockeln, Vitrinen und Multimedia-Elementen heben sich von den steinernen Böden, Wänden und den venezianischen Spatolato-Oberflächen ab.

Nachdem er 15 Jahre nicht zugänglich war, wurde der Turm einschließlich der baulichen Ergänzungen nun La Vetrina dell'Ingegno getauft: Das Schaufenster des Einfallsreichtums. -sj

Bautafel

Architektur: Bestand 1295; Alessandro Verona Studio, Udine, Italien (Restaurierung und Transformation)
Projektbeteiligte: Andrea Craighero, Udine (Statik); ETA Progetti, Udine (Gebäudetechnik); Cella Costruzioni, Udine; Castellani Impianti, Feletto Umberto; Gover Impianti Elettrici, Codroipo (Baukonstruktion); HDDS vision, ESG elettronica, Paolo Comuzzi, Sabrina Tonutti, Aipem, alle Udine (Multimedia-Technik und -Inhalte)
Bauherr*in: Confindustria Udine, Italien
Fertigstellung: 2022
Standort: Via Antonio Zanon 24, 33100 Udine, Italien
Bildnachweis: Massimo Crivellari, Udine über Cultivar, Florenz, Italien

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