Farbe in der Architektur
Neben Raumbildung, Form und Materialien hat die Farbe prägenden Einfluss auf die Wahrnehmung und Wirkung von Architektur. Mitunter wird sie jedoch als nachgeordnet, sekundär betrachtet. Es mag daran liegen, dass sie als Letztes am Bau hinzukommt, Anstriche häufig erneuert und dabei gern entsprechend dem Zeitgeschmack verändert werden oder weil Architekturqualitäten lange Zeit über Schwarz-Weiß-Fotos verhandelt wurden.
Gallerie
Illusion und Wirklichkeit: Renaissance und Barock
Der Beitrag von Farben – gemeinsam mit der Wirkung von Licht – auf den architektonischen Gesamteindruck ist erheblich. Das veranschaulicht nicht nur ein Vergleich zwischen Farb- und Schwarz-Weiß-Fotografien von ein und demselben Gebäude: Farbe kann die architektonische Form unterstützen oder sie negieren, brechen; Farbe kann den Charakter der Materialien unterstreichen oder schwächen. Sie kann andere, höherwertigere oder regelmäßig bearbeitete Materialien vortäuschen. Als Beispiele seien hier die applizierten Scheinarchitekturen und Illusionsmalereien der Renaissance und des Barock genannt.
Der Einsatz von Farbe differiert regional und kulturell bedingt und unterliegt außerdem den sich im Laufe der Zeit verändernden Geschmäckern und historischen Moden. Repräsentative Bauwerke, die Jahrhunderte überdauert haben, wie Schlösser, Rat- und Bürgerhäuser sowie Kirchen wie der Bamberger oder der Speyerer Dom erzählen wechselvolle Geschichten von üppigen Aus- und Übermalungen und darauffolgenden Purifizierungen mit dem Abtragen mehrerer Farb- und Putzschichten bis auf das Mauerwerk.
Profanbauten waren dagegen ursprünglich weitgehend unbunt. Fachwerkhäuser hatten naturfarbene Kalkputze und unbehandeltes beziehungsweise pigmentfrei gestrichenes Holzwerk. Farbiges Fachwerk kommt erst mit der Neuzeit auf, wobei hier regionale Unterschiede sowie ein Stadt-Land-Gefälle auszumachen sind. In Abwägung von Kosten und Repräsentationsabsichten begann man, das Holzständerwerk von den Gefachen farblich abzusetzen. Historische Befunde zeigen bei farbigem Fachwerk meistens Gelb, Rot, Grau und Schwarz auf Basis von gelben bzw. gebranntem Ocker oder Holzkohle.
Die Fachwerkhäuser der Renaissancestädte waren darüber hinaus teils reich mit Schnitzwerk dekoriert und polychrom gefasst, während die Stein- und Putzbauten dieser Zeit etwas zurückhaltender in ihrer Farbigkeit gestaltet waren. Bei Barockbauten sind oft plastisch hervortretende, dekorative Wandelemente heller von den meist gelben, hellblauen oder roten Putzflächen abgesetzt. Umgekehrt finden sich dunklere Schmuckelemente – etwa gemalte Fenstereinfassungen in Gelb- und Grautönen auf weißem Putzgrund.
Polychromiestreit: Klassizismus und Historismus
Der
Klassizismus orientierte sich formal an der römischen und
griechischen Antike. War man aufgrund von Ausgrabungsfunden
zunächst von einer unbunten Antike ausgegangen, lösten an
griechischen Bauten gefundene Farbreste in den 1820er-Jahren den
sogenannten Polychromiestreit aus. Während Gottfried Semper von
einer vollständig polychromen Farbgebung antiker Tempel ausging,
vertrat etwa Leo von Klenze eine partielle Farbigkeit.
Einflussreich blieb aber Goethes Vorstellung einer farblosen Antike
unter Bezug auf Johann Joachim Winkelmann, die einen „weißen
Klassizismus“ beförderte: Die Farbgebung war – auch im Unterschied
zur Antike – sehr dezent. Sie beschränkte sich auf
Materialsichtigkeit in Naturstein, steinfarbige Anstriche oder
kühle helle, gebrochene Töne.
Die Fassaden des Historismus weisen im Vergleich zum unbunten Klassizismus zunächst wieder kräftigere Farben auf. Zunehmend wirkten aber Kommunen im Zuge der Reformbewegung auf eine stärkere Zurückhaltung und Vereinheitlichung in der Farbgebung, um die häufig ornamentierten Fassaden nicht zu überladen, sodass man vermehrt wieder zu ungesättigten, materialechten Farbtönen, z.B. Ocker und Beige tendierte. In den zeitgleich entstandenen Bauten des Jugendstils gesellten sich zu gedeckten Pastelltönen kräftige Akzente in Gold, Dunkelgrün oder -blau, Rot und Violett, oft in Verbindung mit floralen Motiven.
Die weiße und die bunte Moderne
Mit der klassischen Moderne assoziiert man zunächst weiße Architektur: Vom Bauhaus und den Corbusier-Villen über die Weißenhof-Siedlung in Stuttgart, die Dammerstocksiedlung in Karlsruhe bis hin zur weißen Stadt von Tel Aviv. Die weiße Moderne sollte Perfektion, Absolutheit verkörpern und die Solitärwirkung der Einzelobjekte unterstreichen. Doch die vermeintliche Vorherrschaft von Weiß in der Zeit des Neuen Bauens ist zu relativieren. Nicht alle modernen Architekten bauten ausschließlich Weiß. Die Niederländer der De-Stijl-Bewegung komponierten auf weißem Grund, fügten jedoch Grau, Schwarz und die drei Grundfarben Rot, Blau und Gelb hinzu. Le Corbusier arbeite ähnlich, zu den Grundfarben kam bei ihm oft ein sattes Grün. Für den Basler Tapetenhersteller Salubra entwickelte er ein ganzes Farbsystem mit einem ersten Musterbuch von 1931 und einem zweiten 1959 mit 43 bzw. 20 Farbtönen. Ernst Mays Frankfurt war ebenfalls nicht einheitlich weiß, und die Weißenhofsiedlung hatte ursprünglich zahlreiche Farbakzente. Den weißen Anstrich erhielt sie erst 1968.
Blumenbeet und Papagei
Bekannt für den Einsatz eines
reichen Farbspektrums ist Bruno Taut. Seine Gartensiedlungen
sollten „leuchten wie ein Blumenbeet“. Seiner Waldsiedlung Onkel
Toms Hütte in Berlin-Zehlendorf verlieh der Volksmund den
Spitznamen Papageiensiedlung. Doch nicht nur in Berlin hat Taut
farbige Wohnbauten hinterlassen, sondern auch in Magdeburg, wo er
1921 bis 1924 als Stadtbaurat wirkte. Die Otto Richter-Straße in
Magdeburg zählt nach Wiederherstellung des historischen
Erscheinungsbildes in Blau-, Rot- Gelb-, Orange- und Türkistönen
heute (wieder) zu den buntesten Straßen Deutschlands. Wichtig war
im Wohnungsbau der 1920er-Jahre ein harmonisch aufeinander
abgestimmtes Farbspektrum – bei Taut ebenso wie bei vielen
Zeitgenossen. Der in Hamburg wirkende Karl Schneider schuf mehrere
Wohnbauten mit eindrücklichen Farbkompositionen im Inneren, während
er sich an der Außenfassade dem weitgehenden „Backsteindiktat“
Fritz Schumachers beugte.
Die „Nierentisch-Ära“ der Nachkriegsmoderne knüpfte mit formaler
Klarheit an die 1920er-Jahre an. In der Wiederaufbauzeit der jungen
Demokratie mied man alles Monumentale, Schwere. Die Farben wurden
wieder heller: Weiß, Hellgrau und Hellgelb, Lindgrün und Rosé
wurden mit einzelnen kräftigen Farben kombiniert.
Starke Farbakzente: Brutalismus, High-Tech-Architektur und Postmoderne
Typisch für die Spätmoderne, die vielfach geprägt war von Sicht- und Waschbeton, sind Orange-, Braun-, Gelb- und Grüntöne. An Bauelementen wie Treppengeländern, Fensterfaschen, Stadtmöblierungen oder in Form von Übermalungen von Teilflächen des Betons treten hier bereits weitere, starke Farbakzente hinzu. Zahlreiche expressive Stahlkonstruktionen der High-Tech-Architektur um 1980 sind in kräftigem Rot, Gelb oder Blau gehalten.
Grelle und poppige Farben – Türkis, Pink, Hellgrün oder Violett, insbesondere bei Stahlbauteilen – sind charakteristisch für die spielerische Architektur der Postmoderne. Die Abkehr vom Funktionalismus der Moderne und der Uniformität des International Style drückt sich hier in provokanten Stil- und Materialkombinationen aus, aber auch in einer großen Farbenvielfalt und einer Mischung aus gesättigten und ungesättigten Farbtönen.
Heute: Alles ist möglich
Nach der ironischen Episode der Postmoderne ist heute beides zu
beobachten: einerseits eine Rückkehr zu mehr formaler Klarheit,
Materialsichtigkeit und farblicher Reduziertheit, andererseits
hingegen selbstbewusster, großflächiger Einsatz von Farbe außen wie
innen oder gar eine programmatische Polychromie, wie sie
beispielsweise für die Architekten Sauerbruch Hutton
charakteristisch ist. Neu hinzugekommen ist eine Dynamisierung der
Farbwirkung durch die Entwicklung von Medienfassaden, die schnellen
oder fließenden Farbwechseln einschließlich Bildprojektionen keine
Grenzen mehr setzen.
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