Bürgerzentrum Cristalerías Planell in Barcelona

Solarkamine und Foliendach für eine natürliche Klimatisierung

Wenn ein denkmalgeschütztes, innerstädtisches Bauwerk leersteht, bietet sich eine Nutzung an, die insbesondere den Anwohnern zugute kommt. So geschehen bei einer ehemaligen Glasfabrik aus dem frühen 20. Jahrhundert im Stadtviertel Les Corts von Barcelona. Sie wurde in ein Bürgerzentrum umgewandelt, das nun unter anderem eine Bildungsstätte für Erwachsene beherbergt. Geplant wurde das Bürgerzentrum Cristalerías Planell von Harquitectes, deren Büro unweit der katalanischen Metropole in Sabadell angesiedelt ist. Sie hatten einen Wettbewerb zur Umgestaltung des ursprünglich industriell genutzten Bestands für sich entscheiden können.

Gallerie

Die historische Ziegelfassade an zwei Seiten des gen Nordosten spitz zulaufenden, dreieckigen Grundstücks sollte unbedingt erhalten bleiben. Die Architekten beließen das alte Mauerwerk in seinem rauen Zustand und ergänzten eine dritte Wand aus naturbelassenen Ziegeln an der langen Nordseite. So konnte der einst dreieckige Grundriss wiederhergestellt werden – neue und alte Mauern bilden nun die Hülle für das Raumprogramm des Bürgerzentrums. Um die erforderliche Fläche herzustellen, mussten die Planer über die ursprünglich zwei Geschosse des Bestands deutlich hinausgehen. Auf insgesamt vier Ebenen verteilten sie Büros, Klassen- und Veranstaltungsräume.

Von der überwiegend historischen Südostfassade, deren Attika mit Glasbausteinen aufgemauert wurde, rücken die neuen Funktionen um einen breiten Luftraum ab. Die Architekten ordneten die Räume parallel in zwei Strängen an, getrennt durch einen Mittelflur mit Treppe, Aufzug und Nebenfunktionen. Gleichsam als Reststück verbleibt die westliche Gebäudeecke: Hier befindet sich der Eingang, der in einem kleinen Atrium mündet – einem weiteren Luftraum über sämtliche Etagen auf der anderen Seite der Räume. Im Innern setzt sich der raue Industriecharme des ehemaligen Fabrikgebäudes fort. Neue Stahl- und Betonträger wurden ebenso wie die Installationskanäle an den Decken sichtbar belassen, Ziegelwände nicht verputzt, sondern lediglich gestrichen.

Mit den aufgemauerten Glasbausteinen an der Südostseite wird die kleinteilige Struktur der Bestandsfassade fortgeführt, und es gelangt reichlich Tageslicht in den dahinterliegenden Luftraum. Bei der Dachkonstruktion wählten die Architekten ebenfalls ein transparentes Material: ETFE-Kunststofffolie, pyramidenartig aufgespannt und von vier Luftkaminen gekrönt, wie Schornsteine eine Hommage an die Industriegeschichte des Bauwerks.

Bauphysikalische Aspekte

Bei der transparenten Überdachung und Aufstockung der Außenwände spielten selbstverständlich nicht nur gestalterische Aspekte eine Rolle – dahinter verbirgt sich ein effizientes gebäudeklimatisches Konzept. Kern der Planung war eine natürliche Be- und Entlüftung sowie Klimatisierung des Bürgerzentrums. Anhand aufwändiger Tests und Simulationen wurden dafür drei wesentliche Bestandteile entwickelt: der Luftraum hinter der Fassade aus Glasbausteinen unter dem Foliendach (Treibhauseffekt und Thermik), die inneren Schachtwände, die in den „Kaminen“ münden (Schornsteineffekt) und die „Düsen“ an den Spitzen der Kamine (Venturi-Effekt).

Durch Zuluftöffnungen im Erdgeschoss wird Frischluft in das Gebäude eingelassen. Innerhalb des viergeschossigen Luftraums entsteht durch die Sonneneinstrahlung (Ausrichtung nach Süden) über die Glasbausteinfassade und das transparente Foliendach eine Aufheizung der Luft. Die warme Luft steigt nach oben. Über beide Atrien wird Frischluft in die Büros und Klassenräume geleitet. Auf der anderen Seite der Räume, entlang der Trennwände zum Mittelgang befinden sich Schächte aus Ziegelmauerwerk, die bis unter die Dachhaut reichen. In den pyramidenartigen Dächern wird der Aufheizungseffekt durch eine zweite, schwarze Lage unterhalb der transparenten ETFE-Folie verstärkt. Schächte und Solarkamine sorgen für einen Schornsteineffekt, durch dessen Sog die Luft aus den Räumen ins Freie transportiert wird (Abb. 21, 22). Zentrifugenartige Düsen am oberen Abschluss der Kamine intensivieren die Sogleistung und sorgen für eine konstante Luftzirkulation quer durch das Gebäude. Während die Frischluft im Sommer direkt aus dem Freien durch Unterdruck ins Gebäude gesogen wird, wird sie im Winter über Bodenkanäle umgeleitet und mittels Geothermie vorgewärmt.

Für das natürliche Lüftungs- und Klimatisierungskonzept wird keine zusätzliche Energie aufgewendet. Es reduziert den Gesamtenergieverbrauch des Bürgerzentrums auf ein Drittel eines vergleichbaren Referenzgebäudes (Energiebedarf Sommer / Winter: 18 KWh/m2a / 20 KWh/m2a). Für den Eigenbedarf an Strom sind die vier Kamine auf dem Dach mit Photovoltaikelementen verkleidet, deren Ausrichtung dem Sonnenstand entsprechend optimiert wurde.

Neue Ziegelsteine wurden in Bezug auf ihre bauphysikalischen Eigenschaften ausgewählt – je nach Anforderung wurden unterschiedliche Steine verwendet. Thermische Speicherfähigkeit, Feuchtigkeitsspeicher-und Schallschutzvermögen waren maßgeblichen Kriterien für den jeweiligen Einsatzort innerhalb der Fassaden und Schachtwände im Inneren.

Bautafel

Architekten: Harquitectes, Sabadell
Projektbeteiligte:
Blai Cabrero Bosch, Montse Fornés Guàrdia, Toni Jiménez Anglès, Berta Romeo, Carla Piñol, Xavier Mallorquí, Andrei Mihalache (Projektteam); DSM arquitectes, Barcelona (Tragwerksplanung); TDI enginyers, Barcelona (Klimaplanung); Estudio Taller 10 Cañizares, Barcelona (Beratung Baukonstruktion)
Bauherr:
Stadtrat Barcelona
Fertigstellung:
2016
Standort:
Plaça de les Cristalleries Planell, 08014 Barcelona, Spanien
Bildnachweis: Adrià Goula, Barcelona

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