Hauptbahnhof Wien

Gefaltete, rautenförmige Dachlandschaft

Seit jeher war die österreichische Hauptstadt ausschließlich durch Kopfbahnhöfe an das Eisenbahnnetz angeschlossen, den Süd- und den Ostbahnhof. Obwohl es bereits im 19. Jahrhundert Bestrebungen gab, stattdessen einen zentral gelegenen Durchgangsbahnhof zu bauen, gelang dessen Umsetzung erst nach der Jahrtausendwende. Seit Dezember 2015 befindet sich der Hauptbahnhof Wien im Vollbetrieb, was nicht nur den Fernverkehr, sondern auch einen Großteil des Regionalverkehrs einschließt. Die durch den Abriss alter Gebäude und Gleisanlagen entstandene Fläche von rund 59 Hektar wird in zwei neue Stadtteile mit Wohnungen und Büros, Schulen, Kindergärten und einem großen Park umgewandelt; die Fertigstellung ist für 2019 angesetzt. So fungiert der neue Bahnhof mit seiner auffallenden Dachstruktur nicht nur als Verkehrsknotenpunkt, sondern als städtebauliches Leuchtturmprojekt und Landmarke eines im Wandel befindlichen Stadtviertels. Die Planung oblag dem Architektenteam Hotz/Hoffmann – Wimmer, mit dem Zürcher Architekturbüro Theo Hotz Partner, das verantwortlich für das gestaltprägende Rautendach zeichnete, sowie den Wiener Architekten Ernst Hoffmann und Albert Wimmer.

Gallerie

Südlich des Stadtzentrums erstreckt sich der Bahnhof mit einer metallisch schimmernden und gefalteten Dachlandschaft, die eine Fläche von 420 Meter Länge und an der breitesten Stelle 120 Meter überspannt. Aufgegliedert in fünf Stränge überdacht sie ebenso viele Einzelbahnsteige, die Höhe variiert zwischen sechs und 15 Metern. Charakteristisch ist das Motiv der Raute in Anlehnung an die standardisierten Überdachungen im Bahnverkehr der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB). Die Gleisanlagen sind als Brückentragwerk in sieben Meter Höhe über dem Stadtgrund errichtet; Bahninfrastruktur und Fußgängerebene sind also getrennt. Den Reisenden eröffnet sich aus den Zügen und von den Bahnsteigen ein weiter Blick über die neuen und alten Stadtquartiere der Umgebung.

Wie bei einem modernen Bahnhof üblich, gehört auch in Wien eine Shopping Mall mit Geschäften, Dienstleistungsunternehmen und Restaurants zum Programm. Diese befindet sich unterhalb der Gleisebene. Eine Etage darunter bietet eine Tiefgarage Platz für 600 Pkws sowie drei Fahrradgaragen mit rund 1.100 Stellplätzen.

Dach

Das Wahrzeichen des Bahnhofs ist seine aluminiumbekleidete, rhythmisch strukturierte Dachkonstruktion, die sich im Westen rautenförmig auffaltet und im Osten in lang gestreckten geraden Streifen ausläuft. Sie bildet eine Dramaturgie starker Innen- und Außenräume, die ein dynamisches Raumerlebnis erzeugen. Durch die Auf- und Abbewegung der geometrischen Dachstruktur, das seitliche Ausdehnen und Komprimieren wird der Verkehrsknotenpunkt zoniert und zieht alle Blicke auf sich.  

Die Dachlandschaft besteht aus insgesamt 14 mittig aufgefalteten, an den Enden gekappten Dachrauten sowie fünf Einzeldächern mit einer Abmessung bis 120 x 260 Meter. Die Faltdächer sind zueinander versetzt, so dass eine gegenläufige Wellenbewegung entsteht. Gehalten werden sie von einem räumlichen Stahlfachwerk, in dessen Zentrum ein rhombusförmiges Oberlicht (ca. 6,00 x 30,00 Meter) Tageslicht auf den Bahnsteig führt. Zwei konisch geformte, kantige und schräg stehende Stützenpaare (mit Beton ummantelter Stahl) sorgen für den Lastabtrag bei einer Spannweite von rund 38,00 Metern. In der Überschiebung der Rautenzüge entstehen seitlich erneut rautenförmige Öffnungen, deren geschuppte Glasfassade aus Dreiecksgläsern vor Wettereinflüssen schützt.

Die Entwicklung der Kraftlinien ist das Ergebnis einer frühzeitigen und engen Kooperation von Architekten und Ingenieuren. Nachdem Theo Hotz Partner Architekten das Rautendach mithilfe unzähliger analoger und digitaler 3-D-Modelle entwickelt hatten, vollendeten die Statiker und Konstrukteure der Unger-Gruppe bei Übernahme der 3-D-Daten den Planungsprozess mittels verschiedener CAD/CAM-Systeme. So wurden die Einzelrauten, in denen kein einziges Bauteil waagerecht ausgerichtet ist planerisch zusammengefügt. Eine technische und logistische Herausforderung stellten die 70.135 losen und 21.065 geschweißten Bauteile dar, denn aufgrund der Krümmung des gesamten Bauwerks gleicht keine Raute einer anderen. Rund 7.000 Tonnen Stahl wurden für die 35.000 Quadratmeter große Konstruktion verbaut.

Die Aluminiumpaneele in der Dachuntersicht sind sichtbar mit Nieten befestigt und bilden ein vielfältig facettiertes Faltwerk großflächiger Dreiecke, deren Licht- und Schattenspiel maßgeblich zur besonderen Erscheinung des Hauptbahnhofs beiträgt. Die Dacheindeckung besteht aus Aluminiumprofiltafeln. Oberseitig weisen sie eine blattähnliche Rillenstruktur auf, durch die das Regenwasser in Mittelrinnen zusammengeführt wird. Der Dachinnenraum dient als Medienkanal und kann betreten werden. Da durch den Verkehr von Güterzügen am Hauptbahnhof mit Hochbrandszenarien gerechnet werden muss, wird das Stahlfachwerk im Innern des Dachkörpers durch einen speziell entwickelten Hitzeschild geschützt. Die geschuppten Verglasungen zwischen den Rautendächern lassen sich im Brandfall zur Entrauchung öffnen.

Der Wiener Hauptbahnhof wurde mit dem Stahlbaupreis 2015 und dem best architects award 2017 ausgezeichnet.

Bautafel

Architekten: Architektenteam Hotz/Hoffmann – Wimmer: Theo Hotz Partner, Zürich (Rautendach), Atelier Ernst Hoffmann und Atelier Albert Wimmer, Wien
Projektbeteiligte:
ARGE Wiener Team: Werner Consult, ISP, Stoik und Partner, Tecton, Ingenieurbüro Pistecky – alle Wien (Masterplan und Gesamtkonzept); Werner Consult, Wien (Tragwerksplaner); FOB Face of Buildings Planning Stimakovits, Oberpullendorf (Fassadenplaner Rautendach); E+P Eipeldauer, Traiskirchen (Elektroplanung); Unger Stahlbau, Oberwart (Generalunternehmung Dach und Stahlbau); Zambelli, Grafenau/Haus im Wald (Profilblechdach); ICC Fassadentechnik, Mondsee (Rautendach Alucobondfassaden); GIG Fassaden, Attnang-Puchheim (Rautendach Glasfassade)
Bauherr:
ÖBB-Infrastruktur, Wien
Standort:
Alfred-Adler-Straße 107, 1100 Wien, Österreich
Fertigstellung:
2014
Bildnachweis: Roman Bönsch, Wien; Theo Hotz Partner, Zürich

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