Entwicklung des Betons ab 1950

Mit ihm wurden die Städte Europas in kurzer Zeit autogerecht umgebaut und Millionen von neuen Wohnungen fertiggestellt: In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg wird Beton zu einem der wichtigsten Baumaterialien. Besonders Stahlbeton ist gefragt für die Errichtung von großen Infrastrukturbauten wie Straßen, Brücken, Staudämmen, Kraftwerken und für die auf kurzfristigen finanziellen Ertrag ausgerichtete Produktion von Gebäuden. Damit ist der Baustoff spätestens seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eng verknüpft mit kapitalistischen und kolonialen Wirtschaftsstrukturen.

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Schnell, großmaßstäblich, kostengünstig

Beton war in den Nachkriegsjahrzehnten bei vielen Akteuren der Baubranche im politischen Westen wie Osten beliebt. Vieles sprach für ein schnelles, ertragreiches Bauen: Weiterentwickelte Betonzusammensetzungen und Fertigungsmethoden – vor Ort wie bei der Präfabrikation – erhöhten die Geschwindigkeit auf den Baustellen. Große Gebäudevolumen konnten von nun an in kurzer Zeit errichtet werden. Genauso können die Rohstoffe für Beton und Zement maschinell extrahiert und verarbeitet werden. Das gilt auch für die Kohle, die in Europa lange Zeit der Hauptbrennstoff für die in der Zementproduktion notwendige Hitze war. Durch die industrialisierte, stark skalierte Produktion von Beton-Baustoffen und -Bauteilen sank der Personalbedarf erheblich, speziell gegenüber dem zuvor weit verbreiteten Bauen mit Mauerwerkssteinen.

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Gestaltung mit Ortbeton- und Fertigbetonbauweise

Zur Verbreitung des Betons beigetragen haben auch die gestalterischen Vorlieben der Mitarbeitenden von Ingenieur- und Architekturbüros. An zahlreichen Museen, Kirchen, Kongresszentren und Firmenzentralen der 1960er- und 1970er-Jahre sind Tragstrukturen und Fassaden aus Beton als Gestaltungsmittel zu beobachten. Sie zeugen von einer Faszination der Gestaltenden für die freie Formbarkeit, die Belastbarkeit und die vielfältig bearbeitbaren Oberflächen des Betons. Mittlerweile stehen die Sichtbetonbauten der sogenannten Nachkriegsmoderne und des Brutalismus im Fokus der Denkmalpflege und einer breiteren, architekturinteressierten Öffentlichkeit.

Angesichts des enormen Bedarfs an standardisierten, komfortablen Wohnungen begannen Bauunternehmen und Planungsbüros – privatwirtschaftlich wie staatlich – seit den 1950er-Jahren zunehmend mit massenweise hergestellten Stahlbetonfertigteilen zu arbeiten. Genauso wurden standardisierte Betonelemente im Industriebau gängig. Die Geometrien und Oberflächen der Elemente und ihre Komposition erhielten besondere Aufmerksamkeit, um trotz der Serialität und Standardisierung abwechslungsreiche Fassaden und Grundrisse zu erzeugen.

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Robuste Strukturen

Viele Betonbauten erwiesen sich als dauerhaft und werden seit Jahrzehnten genutzt und wiederholt umgenutzt. Die aufgrund der korrosionsgefährdeten Stahlbewehrung oftmals großzügig dimensionierten Tragstrukturen halten An- und Umbauten stand. Ideal für lange Nutzungsdauern sind auch die offenen Grundrisse, die die großen Spannweiten, aussteifenden Treppenkerne und manchmal auch tragenden Fassaden des Betonbaus ermöglicht haben. Nicht zuletzt sprechen sich einige aufgrund der gestalterischen Qualitäten von Fassaden, Tragwerken und Raumzusammenhängen für den Erhalt von Betonbauten aus. Zahlreiche Schulen, Universitäten, Forschungseinrichtungen, Rathäuser, Bibliotheken und Wohnanlagen aus Beton sind in den Nachkriegsjahrzehnten entstanden und Teil des Stadtlebens in West- wie Ostdeutschland geworden.

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Normierung und Erfahrung

Gestalten, Planen und Bauen mit Beton und Stahlbeton wurde nach 1945 Teil des Kolloquiums an Hochschulen und dort auch intensiv beforscht. Zugleich wurden Bautechnik und Baustoff umfassend genormt. Im Laufe der Zeit zeigten jedoch ältere Beton-Bauwerke, etwa aus den 1960er- und 1970er-Jahren, deutliche Mängel bei Planung und Ausführung, die zum Beispiel zur Korrosion der Stahlbewehrung führten. Anhand dieser Erkenntnisse aus Praxis und Forschung wurden die Regelwerke grundlegend angepasst. Bei der Neufassung der Betonnormen im Jahr 2000 wurde die Dauerhaftigkeit mit den dazugehörigen Expositionsklassen Teil der Bemessung des Tragwerks.

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Materialfragen

Noch in den 1950er-Jahren war Beton ein sogenanntes einfaches Drei-Stoff-Gemisch aus Zement, Wasser und Zuschlag, sprich Gesteinskörnung. Im Laufe der Jahrzehnte kamen Zusatzmittel wie Betonverflüssiger, Fließmittel, Beschleuniger und Verzögerer und Zusatzstoffe wie Farbpigmente, Fasern oder mineralische Feinstoffe hinzu. Mit ihnen lassen sich Verarbeitung und Materialeigenschaften des Betons der Bauaufgabe gemäß anpassen. Ab den 1990er-Jahren ermöglichte die Entwicklung des selbstverdichtenden Betons, zuvor nicht realisierbare Geometrien umzusetzen. Mit zunehmendem Alter des Betonbestands und korrodierender Stahlbewehrungen geraten Fragen des Bauwerkserhalts, der Umnutzung und des Betonrecyclings in den Fokus. Der enorme Ressourcenverbrauch, insbesondere der Sand- und Energiebedarf, werden im 21. Jahrhundert von einer breiteren Öffentlichkeit abgelehnt und auch von den Unternehmen des Bausektors selbst thematisiert. Die Suche nach Alternativen ist Gegenstand vieler Forschungsvorhaben.

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Globaler Baustoff für eine globale Immobilienwirtschaft

An der Herstellung von Zement und Beton sind seit einiger Zeit global tätige Konzerne beteiligt. Viele der größten haben ihren Sitz in Europa. Sie versuchen über Beteiligungen und Übernahmen einen möglichst großen Teil der Wertschöpfungskette zu kontrollieren – von der Extraktion von Sand und Kies bis zum fertigen Beton.

Aktuell wird in China und Indien am meisten Beton und Zement verbraucht. Hier, wie in vielen Ländern Asiens und des globalen Südens, aber auch andernorts auf der Welt ist der steigende Verbrauch an Beton und Zement verzahnt mit rasanten Urbanisierungsprozessen, dem Ausbau von Transport- und Energieinfrastrukturen, einem Anstieg der Industrieproduktion und den Anlageinteressen von Banken und Immobilienunternehmen. Ein Ende des Wachstums ist daher trotz der gravierenden Umweltfolgen des Bauens mit Beton nicht in Sicht.

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