Das akustische Argument
Wissenschaft und Hörerfahrung in der Architektur des 20. Jahrhunderts
gta Verlag, ETH Zürich 2019
367 Seiten, 174 Abbildungen,
16,5 x 24,5 cm, Klappenbroschur
Preis: 48 EUR
ISBN 978-3-85676-354-1
Bis zur Entwicklung einer mathematischen Formel zur Berechnung der Nachhallzeit vom Physiker Wallace Clement Sabine um 1900 galt die Disziplin der Akustik lange Zeit als Randgebiet der Architektur und war von Zufällen und Überraschungen geprägt. Obwohl ab den 1920er-Jahren die Disziplinierung der Akustik als eigenständige Wissenschaft begann, wurde weit darüber hinaus bei akustischen Untersuchungen das menschliche Gehör als Messquelle eingesetzt. Wie baukulturelle Entwicklungen und Akustikplanung zusammenkamen, ist Thema der umfangreichen geschichtlichen Studie Das akustische Argument – Wissenschaft und Hörerfahrung in der Architektur des 20. Jahrhunderts von Sabine von Fischer.
Das 367 Seiten umfassende Buch basiert auf über zehn Jahren Forschungstätigkeit der Autorin sowie auf ihrer Dissertation „Hellhörige Häuser. Akustik als Funktion der Architektur, 1920 bis 1970“. Von Fischer illustriert die Akustik als vernachlässigten Teil der baukulturellen Entwicklung. Der weit bekannte Wettbewerb für den Völkerbund im Jahr 1927 spielt dabei eine zentrale Rolle und stellt anschaulich das Verhältnis der Architekten und Planer zum Thema Raumakustik zu dieser Zeit dar. Der gewünschte Versammlungssaal sollte Platz für fast 2.700 Besucher bieten und zugleich – was im Sinne des Völkerbundes liegt – eine gute Verständlichkeit begünstigen. So entfachte eine Debatte um die Frage, ob eine Verständigung in einer überdimensionierten Architektur mithilfe von elektronischer Verstärkung erfolgt oder ob nicht andersherum Proportion, Form und Material der Räume der Zweckmäßigkeit – also der Raumakustik – entsprechend gestaltet werden sollten.
Die Autorin betrachtet in ihrer Untersuchung vor allem die Zeitspanne von 1929 bis 1969 und beginnt den historischen Rückblick in ihrem ersten Kapitel Objektivierung: Schall im Labor mit einem der Hauptprotagonisten des Buches: Franz Max Osswald. 1929 hielt er seine Antrittsrede als Privatdozent an der ETH Zürich und errichtete dort das erste akustische Laboratorium. Von Fischer beschreibt weiter unterschiedliche Labore, Versuchsaufbauten und Methoden, die im Laufe der Jahre für akustische Untersuchungen entstanden sind. Den Abschluss bildet das Kapitel Erfahrung, in dem das Werk des amerikanischen Stadtplaners Michael Southworth beschrieben wird. Dieser publizierte 1969 eine „soundmap“ seiner audiovisuellen Experimente im Stadtraum. Dazwischen liegen in den Kapiteln Regulierung, Isolierung und Übertragung viele anschauliche Rückblicke in die Entwicklung der Bau- und Raumakustik als akademische Wissenschaft und als Parameter für die Gestaltung von Architektur und Stadtraum.
Jedes der Kapitel beinhaltet jeweils die Auseinandersetzung mit der gesamten Zeitspanne und thematisiert dabei ein übergreifendes Konzept. So wird etwa unter Isolierung die Bedeutung der Privatsphäre im verdichteten Stadtraum und die akustischen Herausforderungen bei neuen Konstruktionsarten, wie etwa dem Stahlbau beleuchtet, während der Abschnitt Regulierung sich der Prägung der akustischen Praxis durch Standardisierung und Bürokratisierung widmet.
Insgesamt schafft die Autorin einen umfangreichen diachronen Exkurs in die Welt der Akustik als eigenständige aber interdisziplinär zu betrachtende Disziplin und zeigt die Wechselwirkung auf die Entwicklungsgeschichte von architektonischer Praxis, Stadtplanung, Gesellschaft und Kultur. -si