Tragendes Lehmsteinmauerwerk
DIN 18940 eröffnet ökonomische und ökologische Perspektiven
Der ökologische Fußabdruck von Lehmbaustoffen ist beeindruckend. So beträgt etwa das CO2-Äquivalent von erdfeuchtem oder solargetrocknetem Lehmputzmörtel nur etwa fünf Prozent eines zementgebundenen Putzmörtels. Lehmsteine und Lehmmörtel sind in Deutschland bereits genormt, seit Juni 2023 ist es auch das Lehmmauerwerk. Mit Einführung der Norm DIN 18940: Tragendes Lehmsteinmauerwerk – Konstruktion, Bemessung und Ausführung ist ein wichtiger Schritt hin zur breiteren Anwendung (Gebäudeklasse I bis IV) dieser klimafreundlichen und ressourcenschonenden Bauweise erfolgt. Zukünftig könnte ein großer Teil der energieintensiven bzw. weniger klimafreundlichen Mauerwerksbaustoffe durch Lehmsteine ersetzt werden. Herkömmliche Ziegelsteine benötigen durch die hohen Brenntemperaturen viel Energie in der Herstellung. Bei Porenbeton-, Beton- oder Leichtbetonsteinen wiederum ist der Einsatz von Zement problematisch, bei dessen Herstellung große Mengen Kohlendioxid freigesetzt werden.
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Normierung von Lehmbaustoffen
In keinem anderen Land Europas werden so viele Lehmbaustoffe verwendet wie in Deutschland. Ein wesentlicher Grund für diese Entwicklung dürfte darin liegen, dass ihr Einsatz hierzulande durch Normen und andere Vorschriften geregelt ist. Die Anfänge der geregelten Entwicklung gehen bis ins Jahr 1951 zurück, als die weltweit 1. Lehmbauordnung in Deutschland eingeführt wurde. Die bis 1971 gültige Norm wurde eine wichtige Grundlage für die Zulassung der Lehmbau-Regeln 1999 und diese wiederum Basis für die in den 2010er-Jahren folgenden Normierungen. 2013 erschienen parallel die DIN 18945: Lehmsteine, die DIN 18946: Lehmmauermörtel und die DIN 18947: Lehmputze. Damit war es nicht nur langjährigen Experten des Lehmbaus möglich, diesen Baustoff zu nutzen, auch einer wachsenden Zahl von Architekt*innen, Ingenieur*innen und Handwerker*innen wurde er damit zugänglich.
Allerdings hatte die Veröffentlichung der Lehmbau-Regeln nicht dazu geführt, dass die Ausführung von Lehmmauerwerk bemerkenswert anstieg. In den vergangenen Jahrzehnten wurden Lehmsteine fast ausschließlich zur Fachwerkausfachung genutzt. Grund dafür könnte die Beschränkung des Deutschen Instituts für Bautechnik (DIBt) sein, die den Lehmbau auf zwei Geschosse und Wohnnutzung mit maximal zwei Einheiten begrenzte. Wie ist daher die Einführung der DIN 18940 einzuschätzen? Mit ihr sind tragende Lehmsteine zumindest bereits im Angebot der Hersteller erschienen. Die sogenannten Skaleneffekte, bei denen der Preis sinkt, indem mehr produziert wird, müssen sich natürlich erst einstellen.
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Möglichkeiten der Prozessoptimierung auf der Baustelle und Vorfertigung
Die DIN 18940 fordert einen Dicklagenmörtel und die Vermörtelung der Stoßfuge. Aufgrund dieser Anforderungen werden derzeit nur kleine Formate produziert. Die DIN sieht Steinformate bis 12 DF (24 x 36,5 x 23,8 cm) vor. Bei der Verwendung größerer Steine lässt sich die Verarbeitungszeit deutlich verringern. Für großformatige Steine mit einem Gewicht von mehr als 25 kg sind Hebegeräte auf der Baustelle vorgesehen. Dieses maschinenunterstütze Mauern mit Versetzgeräten, die auch auf Geschossdecken verfahrbar sind, erleichtert und beschleunigt die Baustellenabläufe erheblich. Eine weitere Möglichkeit ist das Herstellen von Fertigteilen im Werk. Der witterungsabhängige Bauablauf lässt sich damit deutlich verkürzen und durch die Versetzzeiten von wenigen Minuten bei Bauteillängen um die 8,00 Meter lassen sich komplette Stockwerke im Handumdrehen errichten.
Grundsätzlich sollte der Einsatz von Lehmsteinen auf der Baustelle für jedes erfahrene Bauunternehmen zu bewältigen sein, da sich die Verarbeitung von anderen Mauerwerksarten kaum unterscheidet. Die Lieferung der Lehmsteine erfolgt auf Paletten, die in Folie eingeschweißt sind. Die Steine werden mit einem Lehmmörtel vermauert, Pass- oder Schlusssteine lassen sich zuschneiden. Bei starkem Regen sind die Arbeiten mit dem Material auszusetzen. Der Kopf einer Mauer ist wie bei anderem Mauerwerk abzudecken.
Planungsrelevante Besonderheiten
Im Gegensatz zu anderen Mauerwerksarten gibt es für Lehmmauerwerk den sogenannten Havarieschutz, der laut DIN 18940 vorsieht, dass auf der Rohdecke bis 5 cm über dem Fertigfußboden ein hydraulisch gebundener oder gebrannter Baustoff verwendet werden muss. Für die erste Mauerwerksschicht können beispielsweise Ziegel verwendet werden.
Nassräume sind im Gebäude zu konzentrieren. Ihre Anordnung sowohl vertikal übereinander als auch horizontal nebeneinander sollte bei der Entwurfsplanung berücksichtigt werden und ist prinzipiell nicht nur aufgrund der Materialwahl sinnvoll. In der Detailplanung können zum Schutz vor Wasser vorbeugende Maßnahmen wie Notabläufe oder Abdichtungen ergänzt werden.
Die Produktnorm 18945: Lehmsteine - Anforderungen, Prüfung und Kennzeichnung gilt ergänzend zur Bemessungsnorm 18940 und teilt die Lehmsteine in Anwendungsklassen ein:
- AK Ia: Verputztes, der Witterung ausgesetztes Außenmauerwerk von Sichtfachwerkwänden
- AK Ib: Durchgängig verputztes, der Witterung ausgesetztes Außenmauerwerk
- AK II: Verkleidetes, witterungsgeschütztes Außenmauerwerk, Innermauerwerk
- AK III: Trockene Anwendungen
Für die der Witterung ausgesetzte Hülle bestehen demnach mehrere Möglichkeiten. So ist beim Bauen mit Steinen der Anwendungsklasse AK Ib eine Kerndämmung bei mehrschaligem oder eine Innendämmung bei einschaligem, außen verputztem Mauerwerk möglich, was jedoch im Neubau sicherlich eher selten vorkommen wird. Steine der AK II eignen sich für den Bau einer Vorhangfassade oder in Kombination mit einer Außendämmung und werden voraussichtlich die Mehrzahl der Anwendungsfälle prägen. Alle Schichten der Hülle sollten nur punktuell verbunden sein, um eine Trennung und Wiederverwertung am Ende der Gebäudelebensdauer zu ermöglichen. Darüber hinaus ist die lösbare Verbindung von Lehmbaustoffen für ihre Kreislauffähigkeit von großer Bedeutung: Denn nur, was gut demontiert werden kann, lasst sich auch gut weiter- und wiederverwenden.
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Das bauaufsichtliche Regelungssystem
Hinsichtlich der Rolle der DIN 18940 im bauaufsichtlichen System ist folgendes wichtig: Normen sind Dokumente, die von – meist privatrechtlichen – Organisationen erarbeitet werden. Die gemeinsamen technischen Regelungen und Standards können Bauprodukte, Herstellungs- und Prüfverfahren oder die Bemessung betreffen. Die Anwendung der so erarbeiteten Normen ist zunächst freiwillig. Rechtliche Relevanz erhalten Normen und andere technische Regelungen, wenn sie staatlich in Bezug genommen werden (z.B. durch die Oberste Bauaufsichtsbehörde), um gesetzliche Anforderungen technisch zu konkretisieren. DIN 18940 ist veröffentlicht; derzeit findet die bauaufsichtliche Begleitung durch das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) statt. Im nächsten Schritt wird die Norm vom DIBt den Bundesländern zur Einführung vorgeschlagen, was voraussichtlich bis 2025 geschehen wird.
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