Veranstaltungs- und Bürogebäude Heizwerk in Erfurt
Umfassende Sanierung mit digitalen Planungsmethoden
Ehemalige Industriebauten stehen oftmals lange leer und werden
im schlimmsten Fall ihrem eigenen Verfall überlassen – auch wenn
sie über eine hohe Architekturqualität oder städtebauliche Präsenz
verfügen. Diesem Schicksal war auch das ehemalige Heizkraftwerk im
Erfurter Stadtteil Brühl ausgesetzt, bis die landeseigene
Entwicklungsgesellschaft als Eigentümerin parallel zum
Architekturwettbewerbes 2010 die Sicherung des Gebäudebestands
initiiert hatte. Das Wettbewerbsverfahren für die Sanierung und
Erweiterung des Heizwerks konnte das Büro hks | architekten für
sich entscheiden.
Gallerie
Sanierung nach dem Motto: Alt bleibt alt - Wie wenig ist genug?
Die über 125 Jahre alte und über die Zeit mehrfach umgebaute
Bausubstanz zeigt nach der Sanierung weiterhin Fragmente ihrer
früheren Nutzungen als Gewehrfabrik, später als Nähmaschinenfabrik
und dann als Heizkraftwerk. Der morbide Charme der Oberflächen und
Materialien sowie die verschiedenen Konstruktionen aus Mauerwerk,
Beton und Stahl sollten weiterhin ablesbar, der Industriecharakter
unbedingt erhalten bleiben. Somit blieb die äußere Hülle, in die
sich die neuen Funktionen integrieren, augenscheinlich fast
unberührt. Reparaturen wurden nur dort vorgenommen, wo sie
tatsächlich nötig waren und auf oberflächliche Veränderungen wie
Anstriche oder Verkleidungen wurde weitestgehend
verzichtet.
Mit Abschluss der Umbau- und Sanierungsarbeiten im Herbst 2021 bietet das denkmalgeschützte Heizwerk ein vielfältiges Nutzungsprogramm: Unter dem Konzept Kultur und Kommerz wurden Event-Locations, ein Apartmenthotel, ein Restaurant sowie Büros – unter anderem für die Bauherrengruppe des Heizwerks, zu der auch hks | architekten gehören – umgesetzt.
Alt und Neu verbinden
Eine äußerliche Veränderung brachte die Umsetzung eines neuen
Sheddaches hinter dem repräsentativen Schildgiebel der
Eingangsfassade sowie die Öffnung der ehemaligen Putzfaschen im
Giebel. Die Planung der Dachkonstruktion im Bogenverlauf des
Giebels als Neuinterpretation des klassischen Sheddaches war
besonders komplex, da sich dadurch kegelmantelförmige Flächen
ergaben, die mit zweidimensionalen Planungswerkzeugen schwer zu
fassen und umzusetzen waren. Um die nötige geometrische Präzision
in Planung und Umsetzung gewährleisten zu können, wurden die
benötigten geometrischen Informationen daher aus dem
BIM-Gebäudemodell bezogen.
Das Gesamtensemble wurde zudem um gänzlich neue architektonische
Elemente ergänzt: Dazu zählen eine neue Verbindungsbrücke sowie ein
gläserner Anbau auf der Rückseite des Ensembles. Die Brücke, die
als zweiter Zugang von der höherliegenden Straße auf der Rückseite
des Heizwerks dient, befindet sich an der gleichen Stelle einer
ehemaligen Stahl-Fachwerkbrücke, die während des Fabrikbetriebs für
den Transport der Kohle in den Kohlenbunker fungierte. Sie lagert
auf 21 Meter hohen Pylonen und wurde als unterspanntes Hängewerk
entworfen und konstruiert. Als zeichenhafte Landmarke ergänzt
dieses zeitgemäße Element den historischen Kontext und schafft neue
Wegebeziehungen aus der Umgebung. Für die Fertigung der Brücke
wurden die Planungsdaten aus der modellbasierten BIM-Planung des
Architekturbüros genutzt: Das Stahlbauunternehmen übersetzte dafür
die vom Büro gelieferten Datensätze in eine sogenannte STEP-Datei,
auf dessen Basis der Zuschnitt der Brückenteile per Laser
millimetergenau erfolgen konnte.
Zusätzlich wurde ein gläserner Anbau mit weiteren Büroflächen
geplant, mit dem das vorhandene, vormals im Grundriss L-förmige
Ensemble vollendet wurde. Der Anbau schließt zu zwei Seiten an den
Bestand an; die Schnittstellen sind jeweils durch transparente
Gebäudefugen markiert und nehmen einen neuen vertikalen
Erschließungsbereich auf, der sowohl dem Alt- als auch Neubau
dient.
BIM bietet großen Mehrwert – auch beim Denkmalschutz
Dass der Einsatz von BIM auch für Sanierungs- und Umbaumaßnahmen von
Vorteil ist, zeigt das Projekt in Erfurt eindrücklich: Der
Gebäudebestand wurde weit vor Planungsbeginn digital aufgenommen
und diente als Planungsgrundlage für die anschließenden
Architektur- und Fachplanungen. Die Planung fand also in diesem
Projekt von der Bestandsaufnahme über die ersten Modellierungen bis
hin zur Ausführungs- und Detailplanung durchgehend modellbasiert
statt.
Neben dem BIM-Planungsprogramm des Architekturbüros kam außerdem
eine Software zur regelbasierten Qualitätskontrolle zum Einsatz.
Über die IFC-Schnittstelle der Planungssoftware ließen sich die
verschiedenen Fachplanungen einbinden. Dadurch konnte eine
reibungslose fachübergreifende Planung, vor allem zwischen
Architektur-, Tragwerks- sowie TGA-Fachplanung, gewährleistet
werden. Da das planende Architekturbüro selbst Teil der
Bauherrengruppe ist, sind keine wie sonst üblichen Auftraggeberinformationsanforderungen (AIA)
erarbeitet worden. Vielmehr sind die individuellen Anforderungen
der verschiedenen Nutzerinnen und Nutzer im Zuge des
Planungsprozesses als integraler Bestandteil direkt in das
Gebäudemodell übersetzt worden.
Der Mehrwert der Arbeitsweise mit BIM – das stellt das
Architekturbüro resümierend heraus – ist dabei nicht allein in Zeit
zu messen. Die stringente und durchgängig digitale Planung sorgte
für eine geringere Fehlerquote in Planung und Ausführung und
ermöglichte zudem eine offene und zielgerichtete integrale
Zusammenarbeit der eingebundenen Projektbeteiligten. Außerdem wurde
von der ersten Punktwolke bei der Bestandsaufnahme bis hin zur
digitalen Montageplanung eine durchgehend hohe Qualität und
Präzision eingehalten, was aus dem hohen Detaillierungsgrad in der Planung und der
stringenten Toleranzstrategie bei der Zusammenarbeit mit den
ausführenden Unternehmen resultierte. -tw
Bautafel
Architektur: hks | architekten, Erfurt
Projektbeteiligte: Ingenieurbüro Dr. Krämer, Weimar (bis 2020), Ingenieurbüro für Bauwesen, Erfurt (Tragwerksplanung und Brandschutzgutachten); BAU.WERK Planungsbüro Bien, Freiensteinau (Tragwerk Dach); IBW Ingenieurbüro Wagner, Michael Wagner, Butzbach (Tragwerk Brücke); Ingenieurbüro Trabert + Partner, Geisa (Prüfung Tragwerk); MKP, Weimar (Bauuntersuchung); CAALA, Halle (Bauphysik); HKL Ingenieurgesellschaft, Erfurt (Haustechnikplanung); Lichtraum, Weimar (Lichtplanung); Proklang, Erfurt, MOTIV GROUP Eventtechnik, Erfurt (Veranstaltungstechnik), Christian Galle, Sömmerda (Küchenplanung); plandrei Landschaftsarchitektur, Erfurt (Landschaftsarchitektur); hochundweit/Kim Boris Löffler, Grebenhain-Ilbeshausen (3D-Konstruktion Tragwerk Dach und Brücke); b.a.u.w.e.r.k Ingenieurbüro für Architekturvermessung, Albrecht | Maye | Schettler, Weimar (Vermessung, Bestandsaufmaß und 3D-Laserscan)
Bauherr/in: HEIZcraftWERK Bauherrengemeinschaft, Erfurt
Standort: Maximilian-Welsch-Straße 6, 99084 Erfurt
Fertigstellung: 2021
Bildnachweis: Steven Neukirch Fotografie, Erfurt
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