Forstpavillon in Schwäbisch Gmünd
Parametrische Modellplanung für Holzschalenkonstruktion
Organisch und in etwa wie eine große Erdnuss geformt, schmiegt
sich ein hölzerner Ausstellungsbau in das Gelände der
Landesgartenschau Schwäbisch Gmünd. Beide Enden des
Forstpavillons sind raumhoch verglast und gewähren
gleichermaßen Ein- und Ausblicke von und in die Parklandschaft. Das
Gebäude mit einem besonderen Schalentragwerk ist im Rahmen des
EU-Verbundforschungsprojekts „Robotik im Holzbau“ an der
Universität Stuttgart entwickelt worden. Das prinzipielle Vorbild
für die Leichtbaukonstruktion ist in der Natur zu finden und dem
segmentierten Gehäuse des Sanddollars, einer flachen Seeigelart
abgeschaut, deren Schalenskelette sind aus vielen Kalkplättchen
zusammengesetzt. Beim Pavillon bilden dünne polygonale Platten aus
Schichtholz zugleich Tragwerk und Gebäudehülle.
Gallerie
Mit einer Schalenfläche von 245 Quadratmetern und äußeren Abmessungen von 17 x 11 x 6 Metern (L x B x H) bietet der Pavillon eine Nutzfläche von rund 125 Quadratmetern und ein Raumvolumen von 605 Kubikmetern. Modellbasiert geplant und innerhalb kurzer Zeit robotisch gefertigt, kommt die leistungsfähige Schalenkonstruktion aus Buchensperrholz mit einer Materialstärke von nur fünf Zentimetern aus. Lediglich zwölf Kubikmeter Holz wurden für die tragende Schale benötigt. Verbunden sind die Platten über gefräste Zinken an den Plattenrändern, die die Verbindungskräfte besonders gut aufnehmen können. Die äußere Deckschicht besteht aus drei Zentimeter dicken Lärchenholzplatten.
Das Innere des Pavillons gliedert sich in einen Eingangs- und
einen Hauptausstellungsbereich. In beiden ist die Schale
kuppelförmig ausgebildet und besteht aus konvex‐polygonalen
Platten. Dazwischen befindet sich eine sattelförmige Einschnürung
aus konkav‐polygonalen Platten. Die Besucher betreten das Gebäude
durch den südlichen Teil des erdnussförmigen Baukörpers und werden
durch die räumliche Einschnürung in den sechs Meter hohen Hauptraum
geleitet. Den Innenraum prägt vor allem das Muster der sichtbaren
und weitgehend unbehandelten Buchenholzkonstruktion mit ihren
charakteristischen Verzahnungen.
Planungsprozess und Fertigung
Ermöglicht wurde die
komplexe, stabile und leichtgewichtige Plattenstruktur des
Pavillons durch digitale Entwurfs‐ und Simulationsverfahren. Diese
erlaubten es den Wissenschaftlern aus mehreren Fachbereichen, die
bionischen Konstruktionsformen zu modellieren. Das im Rahmen des
Forschungsprojekts entwickelte parametrische Entwurfswerkzeug
bietet die Möglichkeit, von Beginn an Materialeigenschaften und
Herstellungsbedingungen in die Planung zu integrieren. Die Platten
wurden dabei nicht einzeln gezeichnet oder modelliert, sondern sie
fanden in einem digitalen Simulations‐ und Optimierungsprozess ihre
Lage, Größe und Form in Übereinstimmung mit den Möglichkeiten der
robotischen Fertigung von selbst. Parametrische Daten waren im
Gesamtmodell vordefiniert und aufeinander
abgestimmt. Die BIM-fähige Software diente dabei als zentrale
Projektplattform, die jeweils die aktuelle Schalengeometrie und
zusätzliche Informationen enthielt. Maßänderungen bedingten
automatisch Geometrieänderungen – und vice versa.
Die durchgehend computerbasierte Planung ermöglichte die
digitale, ressourcenschonende und wirtschaftliche Fertigung aller
Bauteile der Holzkonstruktion – von der Herstellung der 243
unterschiedlichen Platten bis hin zum Zuschnitt der Dämmung,
wasserführenden Schicht und Deckschicht. Die größte Herausforderung
und Innovation stellte dabei die Fertigung der 7.600 geometrisch
unterschiedlichen Zinkenverbindungen der Buchenholzplatten dar, die
dem Pavillon Stabilität verleihen. Hier kam der robotischen
Fertigung eine Schlüsselrolle zu, da sie einen sehr hohen
Freiheitsgrad bietet: Die Verbindungen, die in mikroskopisch
kleinem Maßstab auch der Seeigel nutzt, ließen sich mit einer
siebenachsigen Roboteranlage präzise umsetzen.
Die Qualitätskontrolle der robotisch gefertigten Platten
erforderte eine hochpräzise messtechnische Erfassung durch im
Sub‐Millimeter Bereich agierende Lasertracker. Zur mehrfachen
Vermessung des gesamten Bauwerks für eine Analyse des
Langzeitverhaltens nutzten die Wissenschaftler dreidimensionale
Laserscanner. Damit konnte aufgezeigt werden, dass die mittlere
quadratische Abweichung der Bauteile in der Bauteilebene, die ein
Maß für die Genauigkeit der Fertigung darstellt, lediglich 0,86 mm
beträgt.
Bautafel
Entwicklung: Institut für Computerbasiertes Entwerfen ICD (Prof. Achim Menges), Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen ITKE (Prof. Jan Knippers) und Institut für Ingenieurgeodäsie IIGS (Prof. Volker Schwieger) an der Universität Stuttgart
Umsetzung: Müllerblaustein Holzbau, Blaustein; Landesgartenschau Schwäbisch Gmünd; Landesbetrieb Forst Baden‐Württemberg (ForstBW), Stuttgart und Kuka Roboter, Augsburg
Bauherr: Landesgartenschau Schwäbisch Gmünd 2014
Fertigstellung: 2013
Standort: Himmelsgarten im Landschaftspark Wetzgau, Schwäbisch Gmünd
Bildnachweis: ICD / ITKE / IIGS Universität Stuttgart; James Nebelsick, Universität Tübingen
Fachwissen zum Thema
Baunetz Wissen Integrales Planen sponsored by:
Graphisoft Deutschland GmbH
Landaubogen 10
81373 München
Tel. +49 89 74643-0
https://graphisoft.com