Erweiterungsbau für die evangelisch-lutherische Landeskirche in München
Fein gefaltet
Bei dieser Lage dürfte jeder Entwerfende ins Schwitzen kommen:
Unweit des pompösen Königsplatzes, schräg gegenüber des einstigen
NSDAP-Verwaltungsbaus und umgeben von zahlreichen
denkmalgeschützten Gebäuden aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert
befindet sich der Erweiterungsbau für die
evangelisch-lutherische Landeskirche in Bayern. Deren einzelne
Abteilungen verteilen sich auf mehrere Baukörper an diesem
zentralen Ort am Rand des Münchner Kunstareals. Da die Kirche
zusätzlichen Platz benötigte, ließ sie ein bestehendes Eckgebäude
durch einen größeren Neubau ersetzen. Entworfen und geplant wurde
es von Wandel Lorch Architekten.
Gallerie
Mit dem Entwurf, so Büropartner und Projektleiter Thomas Wach,
werde sich intensiv mit der Dimension der Zeit auseinandergesetzt,
um in diesem historischen Umfeld eine angemessene bauliche Antwort
zu finden. Die neue Zeitschicht solle dabei das Vorhandene weder
kopieren noch negieren und dem Kontext damit auf ergründbare
und zeitgenössische Art Rechnung tragen. Entsprechend sei die
Aufnahme und Transformation von typischen Elementen der Umgebung
ein gestalterischer Leitgedanke.
Die Kunst der Transformation
So zeigt der Neubau etwa eine geradlinige Form, eine
traditionelle Gliederung mit Sockelgeschoss und regelmäßiger
Lochfassade sowie die Andeutung eines Walmdaches. Der Sockel jedoch
ist nicht verputzt oder gemauert, sondern mit Fertigteilen aus
Sichtbeton bekleidet. Diese zeigen ein
pyramidenartiges Relief, welches das gewöhnliche Material adelt.
Trotz des Verzichts auf formale Zitate erinnert die Struktur an
einen bossierten Natursteinsockel.
In den Obergeschossen wird das Relief in skalierter Form
fortgeführt. Die Bekleidung aus 30 Millimeter starken, in Form
gefrästen Silikatplatten ließ das Planungsteam verputzen und
filzen. Vor den hochrechteckigen Fenstern sitzen Prallscheiben, die
mit der Fassade bündig abschließen und im Sockelgeschoss sogar die
Faltung der Hülle aufnehmen. Das geneigte Dach schließlich stellt
sich bei genauerer Betrachtung als gitterartige Metallstruktur
heraus, die die Dachterrasse abschirmt und Ausblicke
erlaubt.
Sachlich versus erhebend
Der Zugang zum Gebäude ist seitlich zu einem Durchgang hin
orientiert, der in den grünen Hof des Ensembles führt. Auch der
Eingangsbereich ist – entsprechend der Nutzung als Bürogebäude mit
wenig Publikumsverkehr – eher schlicht gestaltet. Er leitet direkt
zur Treppe über, die sich zweiläufig im rechten Winkel um eine
durchgesteckte Öffnung legt und von oben belichtet wird. Im zweiten
Obergeschoss führt von diesem Haupttreppenhaus aus ein Übergang zu
einem benachbarten Gebäude – eine Stadtvilla, die im Zuge der
Neuordnung von der Kirche erworben und, ebenfalls von Wandel Lorch
Architekten, saniert wurde.
Vom Erdgeschoss bis ins vierte Obergeschoss beherbergt das
Verwaltungsgebäude die Büros, im obersten Stockwerk ist ein großer
Saal zu finden, der den Mitarbeitern als Kantine zur Verfügung
steht. Durch die gewölbeähnliche Anmutung weckt er Assoziationen zu
einem sakralen Raum. Zu der erhebenden Wirkung trägt auch das
Lichtspiel bei – bedingt durch die filigrane und durchlässige
Gitterstruktur, die die Dachterrasse begrenzt.
Schalung: Fertigteile mit Origami-Struktur
Das Relief des Betonsockels ließ sich mithilfe von elastischen
Matrizen als Schalungseinlage erreichen. Ausgangspunkt für die
Fertigung war ein Positivmodell, dessen Struktur mithilfe von
CNC-Technik in einen Plattenwerkstoff gefräst wurde. Die auf dieser
Grundlage gefertigten Matrizen ließ man nach dem Aushärten ins
Fertigteilwerk liefern, wo sie in die Schalung
verklebt wurden.
Die Zahl unterschiedlich geformter Fertigteile wurde soweit wie
möglich reduziert. Die meisten Elemente sind als liegendes H
gestaltet. Die Bauteile sitzen jeweils zwischen den Öffnungen und
umfassen auf beiden Seiten einen halben Brüstungs- und
Sturzbereich. Auf der geschlossenen Rückseite des Gebäudes wurden
plattenförmige Elemente verwendet. Darüber hinaus kommen im Bereich
der Tiefgarage und der Eingänge speziell geformte Fertigteile zum
Einsatz. Weitere Sonderelemente finden sich in den
Eckbereichen.
Um die Ecke gedacht
An den Ecken sollte das Relief möglichst sauber fortgeführt werden. Das Planungsteam zog dafür unterschiedliche Methoden in Erwägung. Auf Gehrung betonierte Fertigteile schloss man aus, da sich damit die gewünschte Präzision nicht erreichen lässt. Die Idee, die Ecke in einem Stück zu schalen und zu betonieren wurde ebenfalls verworfen. Bei einer diagonalen Lagerung auf dem Schalungstisch hätte sich die hergestellte Oberfläche vor allem aufgrund der veränderten Zahl an Lufteinschlüssen von den anderen Bauteilen unterschieden. Auch das senkrechte Schalen war nicht möglich, da die Stärke der Bauteile nicht ausreichte, um einen Rüttler zu nutzen.
Letztendlich ließ man die Eckelemente zweiteilig mit stumpfem
Stoß herstellen. Besonderes Augenmerk lag dabei auf der sichtbaren
Stirnseite. Nach der Betonage zog man die beiden Eckbauteile noch
im Werk mechanisch zusammen, sodass die dazugehörige Fuge nur noch
als feine Linie sichtbar ist. Die gesamte Fassade wurde
abschließend hydrophobiert beziehungsweise mit einem Graffitischutz
versehen.
Reiz der Unvollkommenheit
Im Inneren zeigen die
vertikalen Flächen des Treppenauges ebenfalls eine gefaltete
Oberfläche. Diese ist allerdings von diagonalen Linien geprägt und
suggeriert mehr Leichtigkeit als die Fassade mit ihrem
kleinformatigen Muster. Für die vorgefertigten Brüstungselemente
ließ man keine Matrizen verwenden, die Schalungselemente wurden
gezimmert. Damit trug man der komplizierteren Geometrie und den
drei unterschiedlichen Stockwerkshöhen Rechnung.
Die Fertigteile wurden in die Schalung des Treppenlaufs und der
Geschossdecken integriert, die man in Ortbeton erstellen ließ. Ein
genauerer Blick auf das Relief zeigt den Charme der mit der
handwerklich hergestellten Schalung gegossenen Elemente, der sich
in Form von kleinen Unvollkommenheiten der Betonoberfläche zeigt. -chi
Bautafel
Architektur: Wandel Lorch Architekten – Andrea Wandel, Wolfgang Lorch, Florian Götze, Thomas Wach, Frankfurt und Saarbrücken (Projektteam: Thomas Wach, Dirk Lang, Christoph Betz, Cindy Tang)
Projektbeteiligte: Zinner Ingenieure, Krailling (Objektüberwachung); CL MAP, München (Projektsteuerung);nRealgrün Landschaftsarchitekten, München (Landschaftsarchitektur);
Ingenieurbüro Aster, München (Tragwerksplanung); Ingenieurbüro Spiegl, München (Haustechnik); Möhler und Partner, München (Bauphysik); K33, München (Brandschutz); Prof. Jürgen Schwarz Consult, München (DGNB-Auditor); Lang Fertigteilwerk, (Betonfertigteile); Reckli, Herne (Schalungsmatrizen)
Bauherrschaft: Evangelisch- Lutherische Landeskirche Bayern K.d.ö.R. , München
Standort: Katharina-von-Bora-Straße 7, 80333 München
Fertigstellung: 2015
Bildnachweis: Anton Schedlbauer, München (Teaserbild); Norbert Miguletz, Frankfurt am Main; Siegfried Wameser, München